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K. Brandt
vielfach schon blühenden und wohl ausgestatteten
klösterlichen Gemeinwesen, die unter Königsschutz
einen erhöhten Frieden genossen und aus Schen-
kungen der Könige und Großen eine sichere
Grundlage für ihr wirtschaftliches Dasein gewon-
nen hatten. Die weitere Frage ist also, ob wir
über die Anfänge auch der rechtlichen und wirt-
schaftlichen Lebensordnungen der Reichenau quel-
lenmäßig etwas aussagen können. Daß eine klöster-
liche Lebensgemeinschaft damals auch im Fran-
kenreich schon nach der Regel Benedikts leben
konnte, wenn deren allgemeine Einführung auch
erst seit 742 erfolgte, ist sicher. Wir mögen uns
also die Tagzeiten und die Ämter des Klosters
nach der Regel vorstellen und das Lebensgesetz
dem Ora et labora der Regel entnehmen. Wasi
wir darüber hinaus wissen möchten, ist die genaue
Bestimmung des Verhältnisses der später so mäch-
tigen und berühmten Reichsabtei zum karolingi-
schen Hause und die Art ihrer frühesten Aus-
stattung.
Zur Beantwortung bieten sich zwei Urkunden
an, die beide auf den Namen des Hausmeiers Karl
und auf das Jahr 724 lauten. Aber die beiden
Stücke sind Urschriften nicht des 8., sondern des
12. Jahrhunderts, so geflissentlich altertümlich
auch die Schrift gemalt und das Pergament alt
gemacht ist; das eine trägt dazu ein unversehrtes
Siegel — nicht Karl Martells, sondern Arnolfs von
Kärnten; beide Pergamente sind reskribiert, d. h.
nach Abradierung eines alten Textes auf dem
gerauhten Schreibstoff neu beschrieben. Da sie
beide auch inhaltlich viele Ungereimtheiten ent-
halten, die eine z. B. trotz der Ausstellung auf
den Namen Karl Martells noch die ganz unüber-
legte Signumszeile Signum domini Karoli Sere-
nissimi imperatoris augusti aufweist, so ist nicht
der geringste Zweifel, daß wir es mit groben
Fälschungen, und zwar (nach sicheren An-
haltspunkten) des 12. Jahrhunderts zu tun haben.
Allem dem aufmerksamen Leser beider Urkun-
den fällt alsbald zweierlei ins Auge. Einmal, daß
beide Urkunden eine Reihe sehr altertümlicher
Formeln und Namen enthalten, die man jeden-
falls ohne echte Vorlage so im 12. Jahrhundert
unmöglich erdenken konnte, und zweitens, daß
diese altertümlichen Teile beiden Urkunden in
der Weise gemein sind, daß weder die eine aus
der anderen, noch die andere aus der einen ohne
weiteres abgeschrieben sein kann; bald gibt die
eine, bald die andere etwas mehr oder etwas Bes-
seres. Der Schluß ist zwingend, daß beiden Ur-
kunden eine verlorene dritte zugrunde liegt, und es
ließ sich in der Tat beweisen, daß diese Vorlage
der beiden Fälschungen eine echte Urkunde
Karl Martells aus dem Jahre 724 gewesen
ist, ausgestellt am 25. April m der karolingischen
Villa Joppilla an der Maas. Die Untersuchung
war mit der größten Behutsamkeit anzustellen;
denn das Vergleichsmaterial echter oder gar ori-
ginaler Urkunden Karl Martells ist so gering-
fügig, daß alle in Formularen oder zeitlich nahe-
stehenden andern Urkunden vorliegenden An-
haltspunkte (z. B. die Sprachformen der m den
Urkunden vorkommenden etwa 30 Orts- und Per-
sonennamen) herangezogen werden mußten. Da-
für freilich winkte auch die Genugtuung, die Ur-
kunden Karl Martells und die Reichenauer Quel-
len um em wichtiges Stück zu vermehren.
Denn was könnte wohl wichtiger sein, als an
Stelle scheinbar heilloser Fälschungen den in we-
sentlichen Zügen echten Schutz- und Schenkungs-
brief Karl Martells für den Reichenauer Pirmi-
mus zurückzugewinnen und so für die Gründungs-
geschichte der Reichenau em über das bisher
schon herangezogene Quellenmaterial weit hm-
ausreichendes urkundliches Zeugnis zu gewinnen.
Die Untersuchung ist schon vor mehr als 30 Jah-
ren geführt und unter dem Beifall der Sachkun-
digen in Deutschland und Frankreich zu festen
Ergebnissen gebracht worden.
Fassen wir diese Ergebnisse in dem Text der Ur-
K. Brandt
vielfach schon blühenden und wohl ausgestatteten
klösterlichen Gemeinwesen, die unter Königsschutz
einen erhöhten Frieden genossen und aus Schen-
kungen der Könige und Großen eine sichere
Grundlage für ihr wirtschaftliches Dasein gewon-
nen hatten. Die weitere Frage ist also, ob wir
über die Anfänge auch der rechtlichen und wirt-
schaftlichen Lebensordnungen der Reichenau quel-
lenmäßig etwas aussagen können. Daß eine klöster-
liche Lebensgemeinschaft damals auch im Fran-
kenreich schon nach der Regel Benedikts leben
konnte, wenn deren allgemeine Einführung auch
erst seit 742 erfolgte, ist sicher. Wir mögen uns
also die Tagzeiten und die Ämter des Klosters
nach der Regel vorstellen und das Lebensgesetz
dem Ora et labora der Regel entnehmen. Wasi
wir darüber hinaus wissen möchten, ist die genaue
Bestimmung des Verhältnisses der später so mäch-
tigen und berühmten Reichsabtei zum karolingi-
schen Hause und die Art ihrer frühesten Aus-
stattung.
Zur Beantwortung bieten sich zwei Urkunden
an, die beide auf den Namen des Hausmeiers Karl
und auf das Jahr 724 lauten. Aber die beiden
Stücke sind Urschriften nicht des 8., sondern des
12. Jahrhunderts, so geflissentlich altertümlich
auch die Schrift gemalt und das Pergament alt
gemacht ist; das eine trägt dazu ein unversehrtes
Siegel — nicht Karl Martells, sondern Arnolfs von
Kärnten; beide Pergamente sind reskribiert, d. h.
nach Abradierung eines alten Textes auf dem
gerauhten Schreibstoff neu beschrieben. Da sie
beide auch inhaltlich viele Ungereimtheiten ent-
halten, die eine z. B. trotz der Ausstellung auf
den Namen Karl Martells noch die ganz unüber-
legte Signumszeile Signum domini Karoli Sere-
nissimi imperatoris augusti aufweist, so ist nicht
der geringste Zweifel, daß wir es mit groben
Fälschungen, und zwar (nach sicheren An-
haltspunkten) des 12. Jahrhunderts zu tun haben.
Allem dem aufmerksamen Leser beider Urkun-
den fällt alsbald zweierlei ins Auge. Einmal, daß
beide Urkunden eine Reihe sehr altertümlicher
Formeln und Namen enthalten, die man jeden-
falls ohne echte Vorlage so im 12. Jahrhundert
unmöglich erdenken konnte, und zweitens, daß
diese altertümlichen Teile beiden Urkunden in
der Weise gemein sind, daß weder die eine aus
der anderen, noch die andere aus der einen ohne
weiteres abgeschrieben sein kann; bald gibt die
eine, bald die andere etwas mehr oder etwas Bes-
seres. Der Schluß ist zwingend, daß beiden Ur-
kunden eine verlorene dritte zugrunde liegt, und es
ließ sich in der Tat beweisen, daß diese Vorlage
der beiden Fälschungen eine echte Urkunde
Karl Martells aus dem Jahre 724 gewesen
ist, ausgestellt am 25. April m der karolingischen
Villa Joppilla an der Maas. Die Untersuchung
war mit der größten Behutsamkeit anzustellen;
denn das Vergleichsmaterial echter oder gar ori-
ginaler Urkunden Karl Martells ist so gering-
fügig, daß alle in Formularen oder zeitlich nahe-
stehenden andern Urkunden vorliegenden An-
haltspunkte (z. B. die Sprachformen der m den
Urkunden vorkommenden etwa 30 Orts- und Per-
sonennamen) herangezogen werden mußten. Da-
für freilich winkte auch die Genugtuung, die Ur-
kunden Karl Martells und die Reichenauer Quel-
len um em wichtiges Stück zu vermehren.
Denn was könnte wohl wichtiger sein, als an
Stelle scheinbar heilloser Fälschungen den in we-
sentlichen Zügen echten Schutz- und Schenkungs-
brief Karl Martells für den Reichenauer Pirmi-
mus zurückzugewinnen und so für die Gründungs-
geschichte der Reichenau em über das bisher
schon herangezogene Quellenmaterial weit hm-
ausreichendes urkundliches Zeugnis zu gewinnen.
Die Untersuchung ist schon vor mehr als 30 Jah-
ren geführt und unter dem Beifall der Sachkun-
digen in Deutschland und Frankreich zu festen
Ergebnissen gebracht worden.
Fassen wir diese Ergebnisse in dem Text der Ur-