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G. Dehio:
Wer die Art dieses mit unglaublicher Emsigkeit sammelnden und ab-
schreibenden, selber aber durchaus unfruchtbaren Gelehrten aus seinem
reichen Handschriftennachlass kennen gelernt hat, wird von vornherein
überzeugt sein, dass er auch in Bezug auf dieses Buch nur Copist,
nicht Autor ist. Ich lasse in Kürze die Beschreibung folgen.
Der Einbanddeckel, noch der ursprüngliche, trägt die Aufschrift
»ars litteraria«. Die ersten drei Blätter fehlen und sind wohl über-
haupt unbeschrieben geblieben. Auf Fol. 4 beginnt ein Brief des
Johannes Lascaris an Piero de Medici (»Cum graecas litteras etc.«) über
die Nothwendigkeit, der wiederhergestellten griechischen und lateinischen
Litteratur nun auch die alte, echte, edle Gestalt ihrer Schriftzeichen
wiederzugeben. Die Epistel umfasste zehn Blätter, wovon jedoch nur
das erste unversehrt geblieben, die übrigen aber ausgeschnitten sind. —
Mit Fol. 14 beginnt der Tractat, auf den der Titel »ars litteraria« in
vorzugsweisem Sinne sich bezieht. Nach einigen einleitenden Sätzen
(»Litteras antiquae formae deducturus, quas plerique majusculas appel-
lant« etc.) kommen die ausführlichen Vorschriften für die Construction
der einzelnen Buchstaben, zunächst der römischen Capitale; erläuternde
Figuren sind jedesmal beigezeichnet; Fol. 32 — 40 giebt das griechische,
Fol. 46—53 das hebräische Alphabet, diese beiden nur in Zeichnungen,
ohne Text. Nach einigen leeren Blättern ist dann der ganze Tractat
noch einmal wiederholt, Wort für Wort unverändert, mit der gleichen
unermüdeten kalligraphischen Sorgfalt — eine Leistung des fast zur
Manie gewordenen Abschreibefleisses, dergleichen in den Schedel’schen
Handschriften mehrfach zu finden ist. Da die dicke Papierlage hiermit
aber noch immer nicht aufgebraucht war, so sind die übriggebliebenen
Blätter nach und nach, wie der Zufall es brachte, mit Mustern der in
Deutschland damals noch die Alleinherrschaft geniessenden »Textur« ausge-
füllt, theils mit der Hand eingezeichnete Alphabete, theils eingeklebte Holz-
schnitte und Kupferstiche2), alles ohne erklärende Beischriften. — Aus
dem, wie man deutlich erkennt, allmäligen Anwachsen des Codex ist
zu schliessen, dass die erste Eintragung mehr oder minder lange Zeit
vor 1514, d. i. dem Todesjahre Schedel’s, gemacht sein müsse;
andererseits die Grenze nach rückwärts ergiebt sich aus der Epistel
des Lascaris, wie sich gleich zeigen wird.
Deren arge Verstümmelung in unserem Codex ist nämlich ein
wohl zu verschmerzender Verlust. Ich habe gefunden, dass sie an
2) Unter den letzteren befindet sich ein seltener Schatz, ein vollständiges
Exemplar des Figurenalphabetes von 1464. Es wird demnächst in photographischer
Reproduction herausgegeben werden, im Verlage von J. Aumüller in München.
G. Dehio:
Wer die Art dieses mit unglaublicher Emsigkeit sammelnden und ab-
schreibenden, selber aber durchaus unfruchtbaren Gelehrten aus seinem
reichen Handschriftennachlass kennen gelernt hat, wird von vornherein
überzeugt sein, dass er auch in Bezug auf dieses Buch nur Copist,
nicht Autor ist. Ich lasse in Kürze die Beschreibung folgen.
Der Einbanddeckel, noch der ursprüngliche, trägt die Aufschrift
»ars litteraria«. Die ersten drei Blätter fehlen und sind wohl über-
haupt unbeschrieben geblieben. Auf Fol. 4 beginnt ein Brief des
Johannes Lascaris an Piero de Medici (»Cum graecas litteras etc.«) über
die Nothwendigkeit, der wiederhergestellten griechischen und lateinischen
Litteratur nun auch die alte, echte, edle Gestalt ihrer Schriftzeichen
wiederzugeben. Die Epistel umfasste zehn Blätter, wovon jedoch nur
das erste unversehrt geblieben, die übrigen aber ausgeschnitten sind. —
Mit Fol. 14 beginnt der Tractat, auf den der Titel »ars litteraria« in
vorzugsweisem Sinne sich bezieht. Nach einigen einleitenden Sätzen
(»Litteras antiquae formae deducturus, quas plerique majusculas appel-
lant« etc.) kommen die ausführlichen Vorschriften für die Construction
der einzelnen Buchstaben, zunächst der römischen Capitale; erläuternde
Figuren sind jedesmal beigezeichnet; Fol. 32 — 40 giebt das griechische,
Fol. 46—53 das hebräische Alphabet, diese beiden nur in Zeichnungen,
ohne Text. Nach einigen leeren Blättern ist dann der ganze Tractat
noch einmal wiederholt, Wort für Wort unverändert, mit der gleichen
unermüdeten kalligraphischen Sorgfalt — eine Leistung des fast zur
Manie gewordenen Abschreibefleisses, dergleichen in den Schedel’schen
Handschriften mehrfach zu finden ist. Da die dicke Papierlage hiermit
aber noch immer nicht aufgebraucht war, so sind die übriggebliebenen
Blätter nach und nach, wie der Zufall es brachte, mit Mustern der in
Deutschland damals noch die Alleinherrschaft geniessenden »Textur« ausge-
füllt, theils mit der Hand eingezeichnete Alphabete, theils eingeklebte Holz-
schnitte und Kupferstiche2), alles ohne erklärende Beischriften. — Aus
dem, wie man deutlich erkennt, allmäligen Anwachsen des Codex ist
zu schliessen, dass die erste Eintragung mehr oder minder lange Zeit
vor 1514, d. i. dem Todesjahre Schedel’s, gemacht sein müsse;
andererseits die Grenze nach rückwärts ergiebt sich aus der Epistel
des Lascaris, wie sich gleich zeigen wird.
Deren arge Verstümmelung in unserem Codex ist nämlich ein
wohl zu verschmerzender Verlust. Ich habe gefunden, dass sie an
2) Unter den letzteren befindet sich ein seltener Schatz, ein vollständiges
Exemplar des Figurenalphabetes von 1464. Es wird demnächst in photographischer
Reproduction herausgegeben werden, im Verlage von J. Aumüller in München.