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Repertorium für Kunstwissenschaft — 9.1886

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Dahlke, Gotthilf: Romanische Wandmalerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.66023#0189

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Romanische Wandmalereien in Tirol.

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lehnt und fragend nach der Verführerin schaut. Beide Figuren erscheinen
gedrungener als bei der Schöpfung, der Mund des Mannes breiter, die Augen
gerundet, die Stellung des linken Fusses steif und der Blick unter sprechender
Geberde der vorgestreckten Rechten auf das Ungethüm gerichtet; an der hagern
Brust des Weibes treten die oberen Wirbel in scharfen Linien hervor und die
Miene kündet spannungsvolle Erwartung, indess den weicheren Zügen des
Mannes ein Anflug ernster Wehmuth sich verwebt. Vor jeder Figur streckt
ein Stämmchen gebogene Aeste mit Früchten an der Spitze aus, so dass ein
Apfel hier wie dort die Scham verhüllt; der Uebermaler hat die Zweige noch
mit Laubwerk umzogen, dem historischen Feigenblatt naturgemässeren Ersatz
zu geben. Die Zwickel füllen Hahn und Gans, beide gross, in freier Haltung,
mit gehobenem Kopf und angezogenen Füssen, wie zum Aufflug von einem
Bäumchen, dessen Zweige durch bogenförmige Umrahmung die Regelmässigkeit
der Blattvertheilung erhöhen.
Die einfache Architektur dient unverändert zum Rahmen für die folgende
Scene, in der das Strafgericht Jehova’s sich vollzieht. Der Himmelsbote schwingt
hier als Rächer der Schuld das breite gerade Schwert zum Schlage auf das
sündige Menschenpaar und schiebt den Körper des zögernden Mannes nach
dem Ausgang der Halle, unter deren Bogen das Weib noch einen verlangen-
den Blick auf die entschwindende Herrlichkeit wirft. So trefflich in dem
gehobenen, nur mit den Zehen aufgestützten linken Fuss und der leicht
gebogenen Hüfte, in dem flatternden Mantel und dem zurückgestreckten,
vom Winde ausgebreiteten Flügel die Bewegung des Engels, in dem Blick die
Strenge des Richters angedeutet ist, so klar verkündet das zurückgewandte
Angesicht des Mannes Unmuth und Betrübniss über die Folgen der Schuld.
Der Maler hat den Uebergang von dem Naturzustande zur ersten Stufe der
Erkenntniss durch die Gewandung und das bedeutungsvolle Mienenspiel der
Ausgestossenen bezeichnet, den Kopf des Weibes voller gerundet, den vorge-
streckten linken Schenkel spindelförmig ausgezogen, die Glieder etwas feiner
als auf dem vorigen Bilde modellirt und das Beiwerk in den Zwickeln ohne
Abweichungen wiederholt.
Auf dem letzten Bilde sieht man auf freiem Felde das Paar nach
dem Gebot des Herrn (1. Mose 3, 19) den Kampf um das Dasein beginnen,
den Mann in vorgebeugter Stellung die Hacke zur Lockerung des Erdreichs
heben und das Weib auf einem Felsenblock als Spinnerin. Eva’s Linke
zieht den Faden aus dem Rocken, ihre Rechte dreht die Spindel und die
Augen starren wie verloren auf den Gatten, der mit ihr das Los mühevoller
Beschäftigung theilt. Spärliches Pflanzenwerk entspriesst dem Felsenboden,
über das Blattgesträuch schweben Vögel und der Fuss wird durch keine
Schranke beengt, aber die Erinnerungen an verlorenes Glück verdüstern die
Miene, trüben der Freiheit Glück. Beide Figuren sind schlanker und ent-
falten freiere Beweglichkeit als in dem Sündenfall: wenn Adam noch mit
steifen Händen, etwas unbeholfen und nicht ohne Ungewissheit oder Zweifel
die Arbeit beginnt, so bewahrt Eva in der leichten Haltung ungesuchte
Natürlichkeit. Das gürtellose Aermelkleid lässt nur die Unterarme und die
 
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