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Repertorium für Kunstwissenschaft — 9.1886

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Litteraturbericht
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https://doi.org/10.11588/diglit.66023#0272

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242

Litteraturbericht.

erhaben genug. Aber verwünscht und verbannt seien die kleinlichen, be-
schränkten Veduten-Maler, und noch dazu, wenn sie es nicht sein wollen und
doch sind!« (S. 377.) Noch sympathischer als Koch’s Grösse wirkte auf Richter
die Schönheit und Anmuth, die blühende Phantasie und der Zauber der Ro-
mantik in Schnorr’s Schöpfungen: dieser stellte ihm seine Skizzen der italieni-
schen Landschaft zur Verfügung, und Richter konnte hier die Kunst lernen,
das Vielfache und Endlose der Natur zur Einheit und Abgeschlossenheit zu-
sammenzufügen, damit aus dem zufälligen Nebeneinander der Dinge in der
Natur ein Ganzes sich gestalte, das, wie mit Nothwendigkeit aus einem ein-
heitlichen Keime gewachsen, den Eindruck eines Organismus mache: nur so
wird aus der Vedute das Bild. Schnorr ist es auch, der Richter veranlasste^
die menschlichen Figuren in der Landschaft mit grösster Sorgfalt zu behan-
deln: diesem Winke folgend kam Richter allmählich dahin, die Staffage immer
mehr zu betonen, bis endlich in den Holzschnitten das figürliche Element das
Wesentliche wird, die Landschaft aber der Boden ist, der uns das Leben und
Weben der Menschen noch verständlicher macht. So kommt Richter 1876
gänzlich umgewandelt nach Deutschland zurück, aber er ist noch nicht dahin
gelangt, den reichsten Quell seines Schaffens zu finden. Er sinnt nur auf
italienische Motive (S. 316). Da thut er den weiteren Schritt, dass er er-
kennt die unmittelbare Anregung der Natur, die ihm jetzt für die italienische
Landschaft fehlt, aus der heimischen Natur zu gewinnen: eine Reise in das
böhmische Mittelgebirge öffnet ihm die Augen (S. 318) und damit eine neue
Bahn seines Wirkens. Und doch war die Sehnsucht nach der Darstellung der
deutschen Landschaft schon in Rom in ihm lebendig gewesen, und eben dort
hatte ihn diese Sehnsucht nach der Heimath das Gebiet finden lassen, auf dem
er vorzugsweise gross geworden ist. Gelegentlich entwarf er 1823 »eine
Gruppe sächsischer Landleute mit ihren Kindern, welche auf einem Pfade
durch hohes Korn einer fernen Dorfkirche zuwandern, ein Sonntagsmorgen im
Vaterland« (S. 161). Es war dies, wie er sagt, »der erste Ausdruck einer
Richtung, die nach vielen Jahren wieder in mir auftauchte, als ich meine
Zeichnungen für den Holzschnitt machte. Es waren liebe Heimathserinnerungen,
sie stiegen unwillkürlich aus einer Tiefe des Unbewussten herauf und gingen
darin auch wieder schlafen, bis sie später in der Mitte meines Lebens mit Er-
folg neu auferstanden.« So hat dieser römische Aufenthalt für Richter die
Bedeutung einer gänzlichen Umgestaltung seines künstlerischen Denkens und
Schaffens und trägt die Keime zum Grössten und Schönsten seiner späteren
Schöpfungen in sich. Gerade diese Erkenntniss bietet dieses schöne Buch als
Neues. Zugleich aber gibt es Aufschluss über des Künstlers geistige und reli-
giöse Entwicklung, deren Vorurtheilslosigkeit und Innigkeit ein wesentliches
Element seines Schaffens wurde. Mit seinen grossen Zeitgenossen auf dem
Gebiete der Malerei hat zudem Richter die Fähigkeit gemein, das Wort zu be-
herrschen, so dass er den rechten Ausdruck für seine Empfindung wie seine
Gedanken zu finden versteht, eine Thatsache, die nicht zum wenigsten zu dem
erfreulichen Eindruck beiträgt, welchen diese dankenswerthen »Lebenserinnerun-
gen« zurücklassen.
 
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