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Repertorium für Kunstwissenschaft — 9.1886

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O. Fischer: Die goldene Pforte zu Freiberg
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https://doi.org/10.11588/diglit.66023#0338

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294

0. Fischer

hat zuerst A. Springer unser Monument als Darstellung eines bestimmten zu-
sammenhängenden heilsgeschichtlichen Gedankenkreises aufgefasst. In seiner
Abhandlung »Ueber die Quellen der Kunstdarstellungen im Mittelalter« (Berichte
über die Verhandlungen der kgl. sächs. Gesellschaft der Wissenschaften zu
Leipzig. Leipzig, Hirzel 1880) weist er nach, dass Predigten und Hymnen
vorzügliche Hilfsmittel zum Verständniss mittelalterlicher Kunstdarstellungen
sind und verwendet als besonderes Beispiel für seine allgemeinen Ausführungen
die goldene Pforte. Hauptsächlich verweist er auf den süddeutschen Mönch
Honorius Augustodunensis, welcher zur Zeit Kaiser Heinrich’s IV. (1106—1125)
zahlreiche Schriften verfasste, unter denen ein von dem späteren Mittelalter
vielbenutztes- homiletisches Hilfsbuch unter dem Titel »Speculum ecclesiae«
am meisten bekannt ist, und auf die Hymnen de dedicatione ecclesiae. Mit
Rücksicht auf diese litterarischen Denkmäler erklärt er die zur Linken David’s
stehende Königin wohl mit Recht für Bafhseba, den Mann zur Rechten David’s
mit Schnaase für den Evangelisten Johannes, und sieht in dem Ganzen ein
»Hochzeitsbild«. »Alle acht Statuen der goldenen Pforte,« sagt er ('S. 37),
»finden in den Vorstellungen, welche der mittelalterliche Glaube an die Hoch-
zeit Christi mit der Kirche knüpfte, und welche die Sequenzen de dedicatione
ecclesiae poetisch und schwungvoll verkörperten, ihre vollständige Erklärung.
Immer sind es Beziehungen zum »sponsus«, welche die einzelnen gestalten ver-
binden und ihre Gegenwart bei der Hochzeit Christi rechtfertigen.« — »Sie
wurzeln (S. 40) in der Vorstellung, dass Christus sich, von zahlreichen Hoch-
zeitszeugen geleitet, mit der Kirche vermählte; sie feiern die Maria, als die an
die Stelle der Kirche getretene Braut, und preisen den himmlischen Bräutigam
des jüngsten Tages.« Dass sämmtliche Personen, welche nach der obigen
Ausführung in den Sculpturen der goldenen Pforte dargestellt sind, als Hoch-
zeitszeugen Christi in den Sequenzen auf das Kirchweihfest Vorkommen, wird
genau nachgewiesen.
Bei aller Hochachtung vor den trefflichen Ausführungen des hochver-
dienten Gelehrten sei es gestattet, denselben einen anderen Erklärungsversuch
der goldenen Pforte an die Seite zu setzen, welcher ebenfalls wesentlich auf
den von Springer hervorgehobenen Quellen beruht. Wir erblicken mit Springer
den Mittelpunkt der Darstellung in der im Bogenfelde dargestellten Jungfrau,
möchten sie aber in Rücksicht auf die Entstehungszeit des Monumentes und
die damals blühende Marienverehrung nicht mit ihm lediglich als eine Per-
sonification der Kirche ansehen, sondern annehmen, dass sie um ihrer selbst
willen dargestellt sei. Ein Gesammtblick auf das Monument zeigt uns Maria
gleichsam als den Mittelpunkt des ganzen Himmelreiches, umgeben von der
Trinität, von Engeln, Aposteln, Heiligen, Propheten und Patriarchen, und das
entspricht ganz der Anschauung jener Zeit von ihrer universalen Stellung im
göttlichen Heilsplane. Zu diesem Bilde passen als Unterschrift die Worte
Bernhard’s von Clairvaux, der einmal sagt: »Maria ist Allen Alles geworden,
damit von ihrer Fülle Alle etwas empfangen möchten: der Gefangene Er-
lösung, der Kranke Heilung, der Traurige Tröstung, der Sünder Vergebung,
der Gerechte Gnade, der Engel Freude, endlich die ganze Dreieinigkeit Dank,
 
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