Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Repertorium für Kunstwissenschaft — 9.1886

DOI Artikel:
Neuwirth, Josef: Italienische Bilderhandschriften in österreichischen Klosterbibliotheken
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.66023#0449
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Italienische Bilderhandschriften in österreichischen Klosterbibliotheken. 385
Von diesem Mittelbilde läuft nach der unteren Leiste ein schmaler Streifen,
dessen brauner Grund mit zarten Goldornamenten bedeckt ist; auf demselben erscheint
unter einem ganz in Blau behandelten Engel mit rothen Flügeln ein zweiter rosa-
farbener mit grünen Flügeln, der nach dem unteren Blattrande auf blauem kreis-
förmigem Untergründe und von Goldstrahlen umflossen rechts einen Schild mit dem
rothen Wolfe im silbernen Felde, das Wappen von Passau,- und links einen zweiten
Schild hält, auf welchem im schwarzen und gelben Felde der grüne Rautenkranz
des sächsischen Hauses sich zeigt; die letzteren beiden Merkmale sind für die
Bestimmung der Handschrift wichtig, mit deren Fol. 117a »Lectura circa arborem
consanguinitatis et affinitatis« beginnt. Diese Beigabe wurde auch die Grundlage
für den Miniaturenschmuck von Fol. 117 b und 118a.
An erstgenannter Stelle findet sich, von einer blauen und grünen Leiste
umgeben, ein 28.2cm X 16.6cm violetter Rahmen, der aus mehreren Kreisen und
Vierecken von 1.3cm Durchmesser oder Seitenlänge gebildet ist; innerhalb desselben
sticht von dem Goldgründe ein bärtiger Mann ab, der mit rosafarbener Reschuhung
auf blauem Polster steht und über der grauen, oben und unten goldgesäumten
Dalmatica einen rothen, weissgefütterten Mantel trägt, in der unteren Hälfte aber
von dem Texte der »arbor consanguinitatis« verdeckt wird. Mit beiden Händen fasst
er zwei von einander sich trennende Zweige, die nach oben links einen roth-
gekleideten Jüngling mit grüner Kappe und rechts eine Jungfrau in grünem Gewände
auf blauem Grunde umfassen und nach unten in Spiralen sich aufrollend auf jeder
Seite zwei sorgfältig ausgearbeitete Köpfe mit ihren Ranken einschliessen.
Fok 118a bietet in einem Fol. 117b vollständig gleichen Ptahmen die Dar-
stellung der »arbor affinitatis«, 27.2 cm X 16.8 cm; den unteren Theil derselben füllt
der Text, durch einen kuppelförmigen Abschluss von der oben erscheinenden Gruppe
getrennt, die zu beiden Seiten eines grünenden Baumes nach den Geschlechtern
sich sondert. Von links naht mit sieben Begleiterinnen, von denen zwei in rothem
und blauem Gewände eine Art Diadem in den Haaren tragen , eine den Unterleib
stark vorstreckende Jungfrau in rosafarbenem, golddurchwirktem Kleide dem rechts
mit fünf Gefährten erscheinenden Manne in blauem Kittel und rosafarbener, hauben-
artiger Kopfbedeckung, die bei dem goldstrahlenden Jünglinge am Rande zu einer
Art blauer Flügelhaube wird. Unter den Männern fällt noch der vor letzterem
stehende in grünem Unterkleide und rothem, pelzbesetztem Ueberwurfe auf; seine
braune Mütze ist auch mit weissem Pelze verbrämt. Alle schreiten gut bewegt über
den Boden hin, zwischen dessen Steinen grüne Blätter emporschiessen.
Die geschilderten Miniaturen zeigen eine durchwegs tüchtige Zeichnung, die
besonders in der Steinigung des hl. Stephanus eine ausserordentlich lebendige und
originelle Auffassung verräth. Die Bewegungen, z. B. der Steinwerfer, sind theil-
weise von überraschender Natürlichkeit und gut motivirt, der Faltenwurf ist in
Giottos Manier malerisch breit, unten ziemlich gerade verlaufend und doch voll
ansprechender Linien, die mitunter eine Bewegung durchklingen lassen. Die fein
durchgebildeten Gesichter, deren Falten ausdrucksvoll herausgearbeitet und durch
graue Schatten verständnissvoll betont sind, erhalten durch eine zarte, nur sparsam
weisse Lichter aufsetzende Carnation viel Anmuthendes; die Behandlung des Bart-
und Haupthaares, das bei der Hauptfigur von Fol. 117b nur etwas schematisch
gekräuselt ist, ist von besonderer Genauigkeit. Den Frauenköpfen ist eine gewisse
Sentimentalität des Ausdruckes eigen. Durch die Verbindung des »über sextus decre-
talium cum regulis iuris cum apparatu Joannis Andree«, der im Anfänge der Glosse
als »ego Joannes Andree Bononiensis« bezeichnet wird, erwächst die Wahr-
 
Annotationen