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Repertorium für Kunstwissenschaft — 9.1886

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Litteraturbericht
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https://doi.org/10.11588/diglit.66023#0531
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Litteraturbericht.

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auf das Gebiet der Kunstindustrie, wogegen im zweiten und dritten Band,
welche der Kritik der Gottesideale der verschiedenen Völker gewidmet sein
werden, die Monumentalkunst in ausführlicher Weise berücksichtigt werden
soll. Nichtsdestoweniger war der im ersten Band zu bewältigende Stoff ein
sehr umfangreicher: umfasste er doch die Denkmäler der Sepulcralkunst der
orientalischen Völker, Griechenlands und Roms bis in die christliche Periode
hinein. Man wird den Reichthum der angezogenen Thatsachen, die ausge-
breitete Litteraturkenntniss, den kritischen Tact in der Wahl autoritativer
Berichterstatter sich nur erklären können, wenn man im Auge hält, dass
der Verfasser seit zwanzig Jahren die Materialien für sein Werk sammelte
und sichtete. Hat ihm so vieljährige Arbeit die Herrschaft über das Mate-
rial gegeben, so hat sie doch nicht sein Auge getrübt, sein Urtheil be-
fangen oder gar unselbständig gemacht. Allen mystischen Träumereien, allen
spitzfindigen Deutungen abhold, tritt er an die Kunstwerke heran, und will
nur das aus ihnen herauslesen, was sie unmittelbar einem vorurtheilslosen
Beschauer anvertrauen. In einzelnen Fällen mag diese Unbefangenheit zu
weit gehen, mögen der geschichtlichen Bedingtheit des angerufenen Werkes
zu wenige Zugeständnisse gemacht worden sein; um so unbefangener aber
wird dann seine Zeugenschaft für die noch wirkungskräftigen Eigenschaften
der Kunstwerke längst untergegangener Völker. Hierher gehören gleich die
anziehenden Gapitel über die sepulcrale Kunst der Aegypter, deren welt-
licher naiver Charakter gerade in der älteren Periode mit besonderer Liebe
gewürdigt wird. Von der Kleinkunst wird gerühmt: »Die Kleinkunst und
das von der Kunst berührte Handwerk entstellten und verzerrten die Natur-
formen nicht aus Gefälligkeit für Götter, drückten nicht das Uebernatür-
liche durch unnatürliche Formenverbindungen aus« (S. 200). Mit beson-
derer Ausführlichkeit, der aber die Liebe zur Sache und das Verständniss
derselben völlig entspricht, wird die Sepulcralkunst der Griechen behandelt.
Bis auf die Ergebnisse der jüngsten von Wien und Berlin ausgerüsteten Ex-
peditionen herab beherrscht der Verfasser den ganzen antiken Denkmäler-
schatz und verwerthet denselben als Urkundensammlung des Gultur- und
Geisteslebens jener Epoche. So vermag er auch das Bild des Kampfes reli-
giöser Vorstellungen bis zur klaren fest umrissenen Personification, aber auch
das Wachsthum der Gemüths- und Geistescultur bis auf seine letzte Höhe
hinauf zu zeichnen. Einer oder der andere mag damit nicht einverstanden
sein, dass der Verfasser aus der Grabsculptur die symbolische Deutung grund-
sätzlich ausgeschlossen oder sie doch auf wenige naheliegende Beziehungen
eingeschränkt haben will (»die Darstellungsstoffe der Stelenreliefs beziehen sich
nicht auf Glaubens-, sondern auf Herzenssachen«), immerhin muss man diese
vorbehaltlose Operation gegen die in der Litteratur noch nicht ganz getilgte
Nachwirkung der Creuzer’schen Richtung willkommen heissen. Welche warme
Schönheitsbegeisterung aber, welch feines Formenverständniss kommt in dem
Gapitel über die Tonbilder von Tanagra zum Durchbruch! — Ueberhaupt der
wissenschaftliche Naturalismus des Verfassers fühlt sich wohl und wie daheim
bei dem naiven Naturalismus des Hellenenthums. Wenn sich hie und da eine
 
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