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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 12.1906

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Nr. 12
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Fischer, Karl: Die Jubiläums-Ausstellungen in Karlsruhe
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https://doi.org/10.11588/diglit.26232#0278
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Fr. Lisstnann: Wald- und Wieseniäufer. (Jubiiäums-Aussteilung Karisruhe.)

auch gleich der Inhalt so — ich sage es nur,
weil es mir ais charakteristisch erscheint —
daß die unbedingte Strenge der Form an die
zweite Steiie rückt. Die Übersetzung der Natur
in diesem Bild ist sehr stark, sie scheucht jede
Konzession an das Gefailen unwiiiig von sich,
sie zwingt sogar den Bewundernden zur Frage,
ob in Haueisens Eigenart ein solches Zurück-
gehen auf eine primitive, beinahe symboli-
sierende Darstellung begründet liegt. Aber er
mag mit Goethe sagen:
,,Sie zerren an der Schlangenhaut,
Die jüngst ich abgelegt . .
Was wir zu empfangen haben, ist der
große inhaltiiche und formale Gedanke, ist die
Feierlichkeit dieses Bildes, die Erhebung eines
Familienporträts zum Typischen, das hier etwa
heißen mag: der Ernährer und Beschützer, die
Anmut und pflegende Liebe, das Träumen und
das Vertrauen des Kindes. Wenn ich dem
Bilde einen Titel zu geben hätte, würde ich es
,,Die Ruhe auf der Flucht" nennen. Jedenfalls
kann man von diesem Künstler sagen, daß er
einmal imstande sein wird, eine Madonna zu
malen.
Mit großer Freude entdeckt man in der Aus-
stellung die Spuren eines frischen, hoffnung-
erweckenden Nachwuchses. In einem der Kunst-
gewerbezimmer stößt man zuerst auf einige
Skizzen von Hans Meid, rasch hingesetzte
Szenen im Gewande des 18. Jahrhunderts, Ein-
fälle. Man muß die Formen beinahe suchen,
aber man spürt ein malerisches Temperament.
Die oberen Säle bringen von ihm zwei Porträts,
das männliche in der Farbe ertrinkend, das

weibliche, im weißen Kleid auf schwarzem
Hintergrund, dagegen anzusehen wie der Aui-
takt zu einem großen malerischen Stil. Von
einer andern Seite tritt Hans Brasch jr. herein.
Sein weibliches Bildnis packt durch die prächtige
Klarheit und Bestimmtheit der Form, durch
eine Lebendigkeit der Charakteroffenbarung, die
an sehr gute alte Meister gemahnt. Auch der
Akkord grün auf weiß bringt in das Bild einen
Ernst, dem man sich gern hingibt. Nur mit
zwei Aquarellen vertreten ist Friedr. Lißmann.
Wenn zugegeben werden muß, daß seine Kunst
sich an Liljefors gebildet hat, so ist das nur
eine Andeutung seiner Absichten: nicht das
Malerische schlechthin (Schramm-Zittau), son-
dern die Biegsamkeit der fast dekorativ zu
nennenden Linie (Japan), die feine Beweglich-
keit des Vogelkörpers, die prägnante Charakte-
ristik des jeweiligen Zustandes, Hiegen, bücken,
laufen. Malerische Probleme, verbunden mit
scharfer Zeichnung, stellt sich Adolf Hilden-
brand, Pforzheim; sein „Sonnenaufgang" erregte
viel Aufsehen. Mit den Namen Heinr. Freytag
als Tiermaler und Fr. von Amerongen als Land-
schafter ist die Reihe der Jungen nicht erschöpft,
aber ich muß sie trotzdem beschließen.
Die Plastik bringt — selbstverständlich —
Dokumente eines ausgezeichneten Könnens,
aber es fehlen Werke von großer Leidenschaft.
Und warum wird meistens nur die feierliche
Rundplastik ausgestellt? An den neuen Häusern
sieht man immer häußger ein frisches Auf-
atmen, den Mut eines heiteren Einfalles, aus
unserem eigenen Leben geboren. Das scheint
mir weitaus mehr „deutsche" Kunst zu sein,

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