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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 3
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Veth, Cornelis: Adolf Oberländer
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0090
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Adolf Oberländer.

Qualität, diese abenteuerliche, verwitterte Schönheit, die man Häßlichkeit nennt, hat nichtS Ab-
stoßendes, sie ist nur komisch. Und vor allen Dingen ist sie unterhaltend. Sie ist Mitteilung;
sie will uns die Geschichte der Dinge, ihren Platz im Leben, die menschlichen Zustände, Alter,
Beruf, Sphäre — Charakter zeigen. Whistler zwar sagte, die Vergangenheit und Zukunft eines
alten Männchens, das er auf einer „Nocturne" bei einer Laterne malte, seien ihm nichtö, er
brauche das Männchen nur als Figur zu seiner Komposttion. Aber wenn anch unser Auge manch-
mal die behagliche Harmonie ohne alles Weitere genießen kann, Geist und Herz suchen das, in dem
Vergangenheit und Zukunft sich ahnen lassen, sei es auch dadurch vielleicht — unäsihetisch. Das Nur-
Ästhetische hat kaum gelebt, geliebt, gelitten und gelacht; ist kaum unterhaltend. Bei Oberländer
deutet alles auf Vergangenheit und Zukunft, zeigen alle Menschen ihre Sphäre, ihren Platz, ihren
Beruf, ihren Charakter.

Keine idealisierte Welt zeigt er uns also, und doch bietet sie uns Augenweide und Freude. Sein
Humor ist echt und weise. Er hat nicht nur daS ftetö wachsame Interesse für alles, auch daS
Geringste, was um ihn ift und geschieht, wie es in albernen Kriminalromanen fingierte Detektivs
besitzen; er hat auch eine köftliche, beinahe naive Freude an seinen eigenen possierlichen Übersetzungen
der Tatsachen. Und eben darum verzerrt er niemals, wie sehr er auch übertreibt, ist nie gewollt
und nie zu ingeniös, ift weder eigentlich boshaft noch harmlos, ift zur gleichen Zeit komisch und
wahr, zeigt eine Komik voller Pietät gegen die Wahrheit. Er charakterisiert ohne AuSschmückung
Menschen und Dinge. Die Falten im fetten Hals eineS Vielfraßes zeichnet er ebenso ausführlich
und sachlich wie die Wagenspuren auf der Landstraße, nicht etwa nachdrücklicher oder mit mehr
Mutwillen; die Menschen um uns her, wie sie durch „taälorisinA" und „äemorali^inA", wie Carlyles
Teufelsdröckh eS nennt, geworden sind, nicht mit mehr Spmpathie oder Antipathie als seine selbft-
erfundenen intelligenten und gemütvollen Löwen oder mittelalterlichen Ritter. Er ist auch nicht
wie Busch immer mit dem alltäglichen, trivialen Drama im Leben beschäftigt, er dramatisiert nicht,
sondern gibt Erzählungen.

Ein Melodrama allerdings existiert für ihn: seine wunderbaren Gauner, Gespenster und Teufel;
eine Farce gibt es für ihn: seine Schwiegermütter und Trunkenbolde. Das Märchen, der Ritter-
roman, die Tierfabeln und Iägergeschichten sind für ihn ebenso lebendige Objekte wie das Treiben
in den Münchener Bierhäusern; die Konditoreien, in denen alte Damen Gefrorcneö essen, sind nicht
wirklicher alö die Höhlen, wo Drachen geraubte Iungfrauen aufbewahren. Das Einhorn in Lewis
Carrols Buch „^LIioo in ^Vonäorlanä" meint, Kinder seien nur legendarische Monstren; Oberländers
seltsame Mcnschen und naturgetreue Drachen können mit gleichem Recht einander gegenseitig
dafür halten. Ist die Erklärung vielleicht darin zu suchen, daß allcö in gleichem Maße abstrakt und
konkret wurde, daß diese Wirklichkeit, von ihm übersetzt, als Vorstellung, und die Vorftellung
als Wirklichkeit erscheint? Dies Werk ist weder realistisch noch phantaftisch allein, es ift Phantasie
auf Kenntnis der Natur gestützt, und Naturalismus durch Phantasie gewürzt.

Seine Genauigkeit schließt die AuSgelassenheit ebensowenig aus, wie die stilgerechte Klarheit seineS
Vortrags abenteuerliche Verschiedenheit der Manier verwirst. Ihm liegen sogar, wie ehemals dem
kindlicheren George Cruikshank, die tollsten Situationen vielleicht am beften, und die Vielfältigkeit der
immer überraschenden Auffaffungen ist geradezu fabelhaft. Der Reichtum seiner starken Individualität
scheint darin unerschöpflich. Es ist freilich bezeichnend für seinen Humor, daß niemals wie bei den
großen Meistern des Komisch-Pathetischen und Komisch-Idyllischen, Shakespeare und E. T. A. Hoff-
mann, der Glaube an eine wirkliche Idylle oder eine wirkliche Tragödie auftaucht. Seine Dar-
stellung, so vertieft sie auch sein mag, ist immer nur-komisch, der Humor erscheint als das vollendete
Resultat seiner Anschauung und seineS DenkenS, und diesem Humor stehen nicht zur Abwechslung die
Sentimentalität oder der Zorn gegenüber, wie im Werke jedes französischen Satirikers. Aber seine
Mannigfaltigkeit der komischen Darstellung ist einzig. Er persifliert alleö, und er kann es, ohne
boshaft zu werden, weil er nur für einen zeichnerischen Zweck perstfliert. Seine künftlerische Aufgabe
ift das Parodieren deö süddeutschen Volkslebenö, der Märchen, Ritterballaden, Schäfer-Idylle und

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