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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Halm, August Otto: Über pathetische Musik
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Benn, J.: Vom Unterhaltungsroman
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0042
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Über pathetische Musik.

sondern vielmehr entstehen will, und sich gerade den
heftigen Beschwörern zu verweigern liebt, ist das schon
im Obigen erklärt worden. Es gilt aber auch noch eine
andere Seite zu beachten. Pathos ist ein Charakter, zu
dem die Musik sich bestimmt, es ist kein Blitzlicht. Und
so wenig als ein Moment der Inspiration genügt, um
es erstehen zu lassen, ihm den Weg zu bereiten, so wenig
genügt ein solcher, um das erschienene festzuhalten. Die
Kunst fordert mehr, als die Inspiration gewahrt; diese
nämlich gibt nur den Keim; wo und wie er Wurzel schlage
und Nahrung finde, wie er wachse: das ist die Sorge
des Künstlers, des besonnenen, gut beratenen Arbeiters
von hochgerichtetem und starkgespanntem Wollen.
Je treuer dessen Sorgen, je größer sein Glaube an
die Kunst, seine Ehrfurcht vor ihrer Würde und Heilig-
keit ist: desto weniger wird er an sein persönliches Er-
gehen, an seine Einzelgefühle als an den Stoff für das
Kunstwerk denken, da er dann überhaupt seine Person
nicht groß wichtig nehmen wird — und desto mehr wird
er bereit sein, den Gesetzen der Kunst nachzugehen, als
den „Weisungen des Himmels".
VII.
So haben wir denn freilich von einem Zusammen-
hang des Menschlichen mit dem Werk gesprochen, und
daß das Tun den Täter irgendwie kennzeichnet, daß
nicht jeder alles kann, daß insofern das Werk der Aus-
druck der Persönlichkeit ist: das umzustoßen kam uns
nicht in den Sinn. Aber es ist das eine Binsenwahrheit,
die wir etwas häufiger wiederholt hören, als ihrem Wert
zukommt, und die häufig auch ins Irrtümliche aus-
gedeutet wird; eine Selbstverständlichkeit, die es höchstens
da zu betonen gilt, wo noch der Aberglaube von dem
fast untätigen, jedenfalls unverantwortlichen Zustand
des Inspirierten bekämpft werden muß.
Verhängnisvoll war es schon, wenn aus dem Ein-
druck der Persönlichkeit auf den Wert des Werks (als
welches ja deren Ausdruck sein sollte) geschlossen wurde,
und keines Geringeren als Anton Bruckners Verhäng-
nis wurde dieser Irrtum. Bruckners zum Teil groteskes
Gebaren und Erscheinen, sein weitgehendes Verzichten
auf die Bildungswerte und den Geistesbesitz seiner Zeit:
das zusammen in ein Gesamtbild von Persönlichkeit
verschmelzen und von diesem aus seine Musik als un-
kultiviert verdächtigen: das war freilich ebenso bequem
als verkehrt. „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen":
dieses Wort ist an solche gerichtet, die den Stolz und den
Mut zum Urteilen finden können, es ist ein Ruf zu Stolz
und Mut. Verhängnisvoll war es ferner zu glauben,
man müsse zuerst und vor allem die eigene Persönlich-
keit kultivieren, durch Erlebnisse die Gefühle züchten,
um dann von diesen zu singen und zu sagen. Ist es
nämlich eine Eigenschaft guter Musik, daß sie hohe Ge-
fühle auslöst, so ist es darum noch längst keine Eigenschaft
der hohen Gefühle, gute Musik hervorzubringen. Es
wäre gut, wenn wir von diesem Verhältnis mehr
kennten. Ist es zwar bekanntermaßen schwierig, sich
bei geistiger Arbeit noch außer dem Arbeiten zu beob-
achten, so dürften doch die Zeugnisse der Komponisten
darüber, wie sie sich als Zuhörer des eignen Werkes im
Vergleich zu dem, ob auch nur dunkel und unbestimmt

erinnerten Zustand beim Komponieren verhalten, wert-
vollen Ausschluß geben. Ich vermute, daß sich oft er-
hebliche Unterschiede zwischen beiden Zuständen zeigen,
und zwar läßt mich das eine Erfahrung vermuten, die ich
hier kundgebe. Als Zuhörer meiner Fuge in D-Dur für
Streichorchester* hatte ich bei einer Stelle den Eindruck
des bis in die Nähe der Größe gesteigerten Pathos, und
ich empfand als Zuhörer dadurch selbst ein Hochgefühl,
das ich beim Komponieren eben nicht an dieser Stelle,
sondern, und zwar in viel geringerem Maße, an einer
früheren Stelle, nämlich da empfand, wo der neue
Charakter auftrat, der sich so ins Pathetische entwickeln
und kräftigen sollte. Mein künstlerisches Gefühl sagte
mir, daß es nicht genüge, ihn anzurufen; daß, technisch
gesprochen, noch einige „Einsätze" in diesem Charakter
nötig sind; und mein persönliches Gefühl war ein sehr
aufrichtiges Bedauern darüber, das nur eben der Treue
zu dem Gedanken gegenüber nicht standhielt. Diese
allein war es, die das Pathos wirklich schuf. Noch eines
sei erwähnt: Man erzählt, daß Haydn in Ohnmacht fiel,
als der Schwall des 6-Vur-Akkords aus ihn hereinbrach,
bei dem „Es werde Licht" seiner „Schöpfung". Und
zwar bei der Aufführung. Daß er in Ohnmacht sank,
als er die Stelle komponierte, wird nicht berichtet.
A. Halm.

om Unterhaltungsroman.
Willman das Wesen der Unterhaltungskunst nicht
nur so obenhin, sondern mit Ernst bis in seine letzten
Eigentümlichkeiten bestimmen, so muß man, was man
überhaupt nicht oft genug tun kann, sich zuerst ver-
gegenwärtigen, daß die echte Kunst ganz dieselbe Wurzel
hat wie die Religion: Auch die Kunst ist eine Aus-
einandersetzung, eine willensvolle Sichinbeziehungsetzung
der Einzelseele mit der Gesamtheit der Welt, in die
sie durch ihr Leben hineingesetzt worden ist, der Ab-
sicht entsprungen, das gegenseitige Verhältnis nach
Abhängigkeit und Unabhängigkeit, nach Verwandt-
schaft und Fremdheit abzuschätzen und womöglich zur
Harmonie zu bringen. Dabei steht die Dichtung der
Religion insofern noch besonders nahe, als auch die
Religion sich in ihren Äußerungen vielfach der sprach-
lichen Logik bedient, ähnlich dem Drama außerdem
auch schon zur Vorführung sinnbildlicher Handlungen
fortschreitet.
Tatsächlich ist die epische und dramatische Handlung,
die der Dichter in seinem Werke aufbaut, wenn auch
sehr oft nur fragmentarisch selbst der Gefühlsgang des
kürzesten lyrischen Gedichts geradeso ein symbolisches
Spiel, in dem der Mensch seine Stellung zum All und
zu Gott feststellt, wie im Leben der Gemeinde die lithur-
gische Handlung in der Kirche, wie im Leben des Ein-
zelnen — mag dies auch im ersten Augenblick sonderbar-
klingen — das Gebet im stillen Kämmerlein. Hier wie
dort wird zuerst ein Ich, eine den Menschen symboli-
sierende Einzelperson gegenübergestellt einem Du, das
sich in der Dichtung in einer Masse von Lebensbedin-
* Veröffentlicht für Klavier zu vier Händen, bei G. A. Zum-
steeg, Stuttgart. (Heft II der Kompositionen für Pianoforte.)


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