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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Benn, J.: Vom Unterhaltungsroman
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0043

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Vom Unterhaltungsroman.

gungen und anderen Menschen verkörpert, in der Religion
ganz direkt als Gott erscheint. Das Ich muß erkennen,
wie klein und erschütterlich es vor dem großen Du steht,
erkennen, daß es sich bei aller Gegenwehr dessen Willen
schließlich beugen, ihm opfern muß; das Opfer kann er
selbst sein, oder ein Teil von ihm, eine Hoffnung, die er
hegte, oder ein Fremder, an dessen Ergehen er doch
auch menschlich teilnimmt. Aber aus dem Schmerz,
den das Opfer für den Opfernden mit sich bringt, blüht
eine Wollust, über die Zertretenheit wächst in der Seele
des Opfernden ein Triumphgefühl, diesen Opferzwang
hinnehmen zu können, das er selbst als göttlich empfindet
und auf Gott zurückführt: Der Mensch entdeckt, daß er,
der scheinbar Gott unterlag, aus der Niederlage mit
Gottes Hilfe einen Sieg macht; Gott hat ihn sich nur zum
Schauplatz eines Haders mit sich selbst gemacht, um sich
in ihm großartiger zu fühlen, um den Menschen stärker
zum Herde göttlichen Feuers zu machen . . . Auf die
Aharmonie folgt, im religiösen Spiel wie in der Dichtung,
nach Abhaltung eines Opfers, die Harmonie. — In
Zeiten, wo sich ein Volk in einem Glauben fest vereint
hat, ist deshalb auch die Grenze zwischen der Dichtung
und der Religion aufgehoben: das eine ist so sehr das
andere, daß jede Dichtung eine Art religiösen Beispiels
und unmittelbar religiös verwendbar, etwa in der Kirche
aufführbar ist; umgekehrt wird die religiöse Handlung
unmittelbar als Dichtung empfunden. In Zeiten, wo
das Volk individuell übermäßig zerspalten ist, zelebriert
jeder Dichter in seiner Dichtung seinem eigenen Gott
die Messe nach eigenen Riten, die sehr verschieden,
insbesondere sehr verschieden grausam sein können; aber
der religiöse Grundcharakter echter Dichtung ist damit
auch nicht in Frage gestellt.
Nur aus der religiösen Ergriffenheit der in der Aus-
einandersetzung mit der Welt begriffenen, unerbittlich
forschenden Seele läßt sich ja in Wahrheit wohl auch
der subjektive Ernst verstehen, mit dem der Künstler bei
seiner Arbeit sitzt, läßt sich die objektive, von uns „Kunst"
genannte formale und damit inhaltliche Geschlossenheit
erklären, die sein Werk bei dieser Arbeit bekommt. Wo
der Mensch schreibt und dichtet aus keinem anderen
Grunde, als weil er nicht leben kann, bevor er seinen
Eindruck vom Leben im Großen und Kleinen, in den
Zusammenhängen und den Einzelheiten herausgearbeitet
und sprachlich versinnbildlicht hat, wo er sich — als
eine Seele, die nicht in der Vagheit und Unbestimmtheit
existieren kann — mit seiner Darstellung überhaupt erst
die inneren Lebensmöglichkeiten schafft: da muß natürlich
jedes Wort, das für die Darstellung gewählt oder geschaffen
wird, in einem unvergleichlichen Maße dem angepaßt
sein, was wirklich ausgedrückt werden soll, muß weiterhin
auch die Gesamthandlung bis in ihre letzten Einzelheiten
und Episoden vollkommen klar geordnet sein. Denn ein
Gebet, das nicht die letzte Ehrlichkeit besäße, ein religiöses
Spiel, das nicht wirklich den innersten Gefühlen Ausdruck
gäbe, eine Auseinandersetzung, die es sich nur an einer
einzigen Stelle bequem machte, wäre ja zwecklos und
schlimmer als der Verzicht auf die Auseinandersetzung!
Schneidet man der Kunst die religiöse Wurzel fort,
nimmt man ihr die Bedeutung einer ernsten Auseinander-
setzung der Einzelseele mit der Welt — diese Auseinander-
/ zz

setzung kann natürlich auch die Form des komischen
Romans haben — so nimmt man ihr zugleich den
zwangvollen Trieb zur Einheit, zur Rundung aller
Teile zu einem organischen Ganzen, d. h. überhaupt den
künstlerischen Charakter; denn Kunst ist ja nichts anderes
als die Ordnung eines Vielteiligen und Zusammen-
gesetzten zu einem organischen Ganzen, das in uns kos-
mische Gefühle weckt schon durch seine Form, abgesehen
von dem Gesamtinhalt, an dem sie zum Ausdruck kommt.
Dann ist — in der Dichtung — das einzelne Wort nicht
mehr mit der letzten Gewissenhaftigkeit aus der innersten
Anspannung heraus gewählt oder gebildet, dann mag der
Satz nach einem gewissen äußeren Maßstabe gemessen
wohl noch glatt und flüssig sein, falls er nicht gar lässig,
zufällig oder gar schlecht geformt ist: aber er steht gewiß
nicht mehr in dem merkwürdigen Verhältnis zum Ganzen,
in dem sonst an einem Organismus der Teil zum Ganzen
steht, er ist nicht mehr dessen verkleinertes Spiegelbild.
Was dieses Ganze anbetrifft, so ist es nicht zu jener
spezifisch künstlerischen unlöslichen Einheit geworden,
sondern setzt sich sichtlich aus mehreren schlecht ver-
arbeiteten Themen zusammen, die nach dem zugrunde
liegenden zufälligen Wirklichkeilserlebnis verknüpft sind.
Da sich der Schreibende in der Handlung nicht persönlich
mit der Welt auseinandersetzt, sondern nur von außen
her an sie herantritt, hat er ja auch kaum einen Blick
dafür, inwiefern er sie reiner ausgestalten könnte, und sie
bleibt ihrerseits bei so mangelhafter Ausgestaltung ein
Einzelfall aus den: Leben ohne typische Bedeutung für
den Menschen. Das Fehlen des innermenschlichsten Inter-
esses gleicht der Schreibende in solchen Fällen gern in
der Weise aus, daß er etwas äußerlich Interessantes, ein
seltenes Milieu etwa in den Vordergrund schiebt, wäh-
rend in der echten Kunst das Milieu doch Hintergrund
bleibt: Mangelnde Sorgfalt in der Gestaltung des Ein-
zelnen wie des Gesamtbaus in Verbindung mit der Ver-
schiebung des Interesses vom Innern auf ein Äußerliches,
Gegenständliches ist aber das Wesen der Unterhaltungs-
kunst, insbesondere des Unterhaltungsromans.
Gerhart Hauptmann hat vor kurzer Zeit einen neuen
Roman* veröffentlicht, an dem man das Wesen des
Unterhaltungsromans geradezu studieren kann, besser als
sonst irgendwo deshalb, weil das Buch eben doch von
einer bedeutenden Persönlichkeit stammt, die sich inner-
halb des unterhaltungsmäßig gestalteten Romanschemas
fast in jeder Zeile offenbart, und dadurch die Möglichkeit
gibt, echte Kunst und Unterhaltungskunst ausnahmsweise
einmal am selben Werke zu kontrastieren. Das erste,
was an dem Buche auffällt, ist die Sprache: Gepflegt
und sauber, ist sie eleganter und dünnflüssiger, als man
sie von dem Verfasser mancher naturalistischer Dramen
und noch des Romanes von dem „Narr in Christo"
erwartet hatte; sie entspricht bis ins letzte einer ganz
bestimmten, am ehesten mondän zu nennenden mo-
dernen Sprachkonvention. Aber damit steht sie in
einem merkwürdigen Gegensatz zu dem dichterischen
Ernst, der visionären Ergriffenheit, aus der das Buch
zwar nicht als Ganzes, jedoch immer wieder in gewissen
Teilen geboren ist, und ist offenbar nicht aus inneren
sondern aus äußeren Gründen gewählt. Was danach
* Atlantis. S. Fischer, Verlag, Berlin.

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