as Porträt der Gräfin Anna.
Novelle von Otto Zoff.
Es gab kein Mittel, den Grafen Herbert von Weltern
aus seinem großen Leide zu retten. Er hätte schon
jeden Versuch einer Tröstung auf das entschiedenste
abgelehnt. So lebte er in seiner Einsamkeit wie in
einer Feste, indem er seinen Angestellten und Be-
diensteten nicht erlaubte, ihm näher zu kommen, als
es gerade notwendig war, und auch mit seinem Vater,
dem bald Siebzigjährigen, sich nur höchst selten in ein
längeres Gespräch einließ. Niemand hätte es zu sagen
gewußt, womit er eigentlich seine Zeit verbrachte;
denn für das gewöhnliche blieb er in seinem Zimmer
verschlossen, wo man ihn von Zeit zu Zeit langsam,
mit einem schleifenden Schrittgeräusch, auf und nieder
wandeln hörte. Manchmal, gewöhnlich in den Stun-
den der Dämmerung, schlug er auf dem Harmonium
Akkorde an, die in einer beinahe bizarren Traurigkeit
in irgend ein Dunkel suchen gingen, um, schnell er-
müdet, gewissermaßen auf dem Wege zusammenzu-
brechen. Seine Wohnung aber verließ der Graf nur,
um das Grab der Gräfin Anna aufzusuchen, das am
Ende des weiten und sehr verschwiegenen Parkes lag.
Dort verweilte er dann immer einige Zeit. Jedoch
länger zu bleiben, widerlief seinem auf das äußerste
verhaltenen Wesen, das, vor den anderen das Innerste
aufzudecken, sich ängstlich scheute. Und jener gewisse
Blick des Mitleids, den er immer noch von jedem Ein-
zelnen seiner Umgebung erleben mußte, erschien ihm
schon wie eine zu nah getretene Intimität, die ihn ver-
letzte und noch verschlossener machte.
So lebten die beiden Grafen, Vater und Sohn,
eigentlich wie zwei Getrennte, die einander nur zu den
Mahlzeiten begegneten, oder abends, vor dem Schlafen-
gehen, hin und wieder eine Stunde verplauderten. An
solchen Abenden versuchte dann der Alte, den ganz in
Trauer Verlorenen wieder den äußeren Dingen zu ge-
winnen, indem er das Gespräch auf die Jagd oder das
Forstwesen brachte, diese und jene Neuerung vorschlug,
oder indem er ihn seiner kunsthistorischen Arbeiten er-
innerte, die scheinbar seit Monaten nicht mehr weiter
gediehen waren. Es zeigte sich dann, daß das Interesse
des Grafen Herbert für all dies nicht erloschen war,
daß er aber, um in einer Arbeit ganz aufzugehn, nicht
mehr genug Kampfkraft und Leidenschaftlichkeit besaß.
Vielmehr ließ er sich durch die Tage hingleiten. Und da
auch der alte Graf ganz weltfern und nur der Lektüre
vergessener Chroniken lebte, so sank das ganze Palais,
welches niemals sonderlich von Lebendigkeit erfüllt ge-
wesen war, nun ganz in jene Dunkelheit ein, die sich
gewissermaßen schon von außen durch die versteckte Lage
des grauen Gebäudes inmitten des sehr verwilderten
Parkes kundgab.
In den ersten Tagen des Frühlings ließ sich der
akademische Maler Albert Zanetti mit dem Bedeuten
anmelden, er hätte soeben ein Bild vollendet, das
vielleicht des Ankaufes wert erscheinen würde. Der
Graf, in seiner Gleichgültigkeit, ließ den Maler vor,
weil er ihn nicht gerade abweisen wollte. Als dieser
eintrat, fand sich der Graf einem noch jungen Manne in
salopper Kleidung gegenüber, der, gleich nach einer sehr
gewandt vorgebrachten Entschuldigung und einigen
Höflichkeitsphrasen seitens des Grafen, das mitge-
brachte Bild enthüllte. Es war aber ein Porträt der
verstorbenen Gräfin. Der Graf, auf das tiefste über-
rascht und erregt, trat schnell einen Schritt zurück und
schlug die Hände an die Brust, wie um das auf und
nieder wallende Herz zu beruhigen. Nachdem er aber
wieder die äußere Fassung gewonnen, ging er auf das
Bild zu und betrachtete es lange. Dann fragte er, ohne
die Blicke abzuwenden, nach dem Preise, wobei er mit
einer verstohlenen Verlegenheit fühlte, wie seine Stimme
ihren gewöhnlichen Klang nicht fand. Dies wieder ver-
wirrte ihn innerlich derart, daß er Mühe hatte, sich der
wenigen Worte deutlich zu entledigen.
Albert Zanetti nannte eine ziemlich hohe Summe,
und der Graf trennte sich vom Anblick des Bildes, um
sogleich das Geld anzuweisen. Hierauf lud er den Maler
ein, auf einem Fauteuil neben dem Schreibtisch Platz
zu nehmen, und indem er Zigaretten anbot und Feuer
reichte, fragte er ihn, äußerlich sehr ruhig, wieso er dazu
gekommen wäre, seine verstorbene Frau zu malen. Der
Maler holte ziemlich weit, doch mit gewandten Worten
aus, erzählte, er wäre ein geborener Welternsdorfer,
wenngleich auch sein Vater Italiener gewesen, wäre
hier aufgewachsen und erzogen worden, .hätte ihm,
dem Grafen Herbert, schon als dem Knaben, bei den
einsamen Spielen zugesehn und wäre mit der armen
Gräfin, die ja damals nur das Annerl des Oberlehrers
gewesen, in die Schule gegangen und ihr auch noch
weiterhin Spielkamerad gewesen. Er wäre freilich
später in die Welt hinaus und hätte sich wie ein Wind
durch die Länder gejagt, hätte aber immer wieder,
von Zeit zu Zeit, Heimkommen müssen und hätte dann
oft mit der Annerl gesprochen, ja mit ihr lustige Wande-
rungen über Wiesen und Straßen unternommen.
Obwohl nun diese Erzählung von der Freundschaft
des Malers mit der Verstorbenen dem Grafen ein Gefühl
erweckte, das wie mit unzähligen schnellen Stichen durch
seine Brust lief, so war doch die Art, wie es erzählt
wurde, eine so durchaus vornehme und vertrauen-
erweckende, daß dieses leis schmerzliche Gefühl durch das
Interesse, von der Toten zu hören, und durch das neuer-
dings wild aufbrechende Leid um ihren Verlust nieder-
gehalten wurde. So konnte es geschehen, daß der
menschenentfremdete Graf der oftmals geäußerten Ab-
sicht des Malers, aufzubrechen, einen beinahe flehenden
Widerstand entgegensetzte, so daß sie weit in die Dämme-
rung hinein einander gegenüber saßen und von der
Gräfin Anna sprachen. Und als Zanetti endlich wirklich
gegangen war, fühlte der Graf zum ersten Male die
Wucht der Einsamkeit. Aber nur für kurze Weile. Denn
als er die Lampe entzündet und ihr Licht zu einem
fahlen, rötlichen dämpfte, und als das Bild aus dein
fliehenden Dunkel gleichsam aufzuwachen schien, war
der Graf wieder nur den Erinnerungen hingegeben.
Wehmut ohne Ermessen füllte sein Herz. Vor den
sich verschleiernden Augen verschwand mählich das
Bild, und die fernen Tage schlossen sich auf, als rauschte
ein Vorhang von ihnen zurück. Er sah in sie hinein wie
7/ 6!
Novelle von Otto Zoff.
Es gab kein Mittel, den Grafen Herbert von Weltern
aus seinem großen Leide zu retten. Er hätte schon
jeden Versuch einer Tröstung auf das entschiedenste
abgelehnt. So lebte er in seiner Einsamkeit wie in
einer Feste, indem er seinen Angestellten und Be-
diensteten nicht erlaubte, ihm näher zu kommen, als
es gerade notwendig war, und auch mit seinem Vater,
dem bald Siebzigjährigen, sich nur höchst selten in ein
längeres Gespräch einließ. Niemand hätte es zu sagen
gewußt, womit er eigentlich seine Zeit verbrachte;
denn für das gewöhnliche blieb er in seinem Zimmer
verschlossen, wo man ihn von Zeit zu Zeit langsam,
mit einem schleifenden Schrittgeräusch, auf und nieder
wandeln hörte. Manchmal, gewöhnlich in den Stun-
den der Dämmerung, schlug er auf dem Harmonium
Akkorde an, die in einer beinahe bizarren Traurigkeit
in irgend ein Dunkel suchen gingen, um, schnell er-
müdet, gewissermaßen auf dem Wege zusammenzu-
brechen. Seine Wohnung aber verließ der Graf nur,
um das Grab der Gräfin Anna aufzusuchen, das am
Ende des weiten und sehr verschwiegenen Parkes lag.
Dort verweilte er dann immer einige Zeit. Jedoch
länger zu bleiben, widerlief seinem auf das äußerste
verhaltenen Wesen, das, vor den anderen das Innerste
aufzudecken, sich ängstlich scheute. Und jener gewisse
Blick des Mitleids, den er immer noch von jedem Ein-
zelnen seiner Umgebung erleben mußte, erschien ihm
schon wie eine zu nah getretene Intimität, die ihn ver-
letzte und noch verschlossener machte.
So lebten die beiden Grafen, Vater und Sohn,
eigentlich wie zwei Getrennte, die einander nur zu den
Mahlzeiten begegneten, oder abends, vor dem Schlafen-
gehen, hin und wieder eine Stunde verplauderten. An
solchen Abenden versuchte dann der Alte, den ganz in
Trauer Verlorenen wieder den äußeren Dingen zu ge-
winnen, indem er das Gespräch auf die Jagd oder das
Forstwesen brachte, diese und jene Neuerung vorschlug,
oder indem er ihn seiner kunsthistorischen Arbeiten er-
innerte, die scheinbar seit Monaten nicht mehr weiter
gediehen waren. Es zeigte sich dann, daß das Interesse
des Grafen Herbert für all dies nicht erloschen war,
daß er aber, um in einer Arbeit ganz aufzugehn, nicht
mehr genug Kampfkraft und Leidenschaftlichkeit besaß.
Vielmehr ließ er sich durch die Tage hingleiten. Und da
auch der alte Graf ganz weltfern und nur der Lektüre
vergessener Chroniken lebte, so sank das ganze Palais,
welches niemals sonderlich von Lebendigkeit erfüllt ge-
wesen war, nun ganz in jene Dunkelheit ein, die sich
gewissermaßen schon von außen durch die versteckte Lage
des grauen Gebäudes inmitten des sehr verwilderten
Parkes kundgab.
In den ersten Tagen des Frühlings ließ sich der
akademische Maler Albert Zanetti mit dem Bedeuten
anmelden, er hätte soeben ein Bild vollendet, das
vielleicht des Ankaufes wert erscheinen würde. Der
Graf, in seiner Gleichgültigkeit, ließ den Maler vor,
weil er ihn nicht gerade abweisen wollte. Als dieser
eintrat, fand sich der Graf einem noch jungen Manne in
salopper Kleidung gegenüber, der, gleich nach einer sehr
gewandt vorgebrachten Entschuldigung und einigen
Höflichkeitsphrasen seitens des Grafen, das mitge-
brachte Bild enthüllte. Es war aber ein Porträt der
verstorbenen Gräfin. Der Graf, auf das tiefste über-
rascht und erregt, trat schnell einen Schritt zurück und
schlug die Hände an die Brust, wie um das auf und
nieder wallende Herz zu beruhigen. Nachdem er aber
wieder die äußere Fassung gewonnen, ging er auf das
Bild zu und betrachtete es lange. Dann fragte er, ohne
die Blicke abzuwenden, nach dem Preise, wobei er mit
einer verstohlenen Verlegenheit fühlte, wie seine Stimme
ihren gewöhnlichen Klang nicht fand. Dies wieder ver-
wirrte ihn innerlich derart, daß er Mühe hatte, sich der
wenigen Worte deutlich zu entledigen.
Albert Zanetti nannte eine ziemlich hohe Summe,
und der Graf trennte sich vom Anblick des Bildes, um
sogleich das Geld anzuweisen. Hierauf lud er den Maler
ein, auf einem Fauteuil neben dem Schreibtisch Platz
zu nehmen, und indem er Zigaretten anbot und Feuer
reichte, fragte er ihn, äußerlich sehr ruhig, wieso er dazu
gekommen wäre, seine verstorbene Frau zu malen. Der
Maler holte ziemlich weit, doch mit gewandten Worten
aus, erzählte, er wäre ein geborener Welternsdorfer,
wenngleich auch sein Vater Italiener gewesen, wäre
hier aufgewachsen und erzogen worden, .hätte ihm,
dem Grafen Herbert, schon als dem Knaben, bei den
einsamen Spielen zugesehn und wäre mit der armen
Gräfin, die ja damals nur das Annerl des Oberlehrers
gewesen, in die Schule gegangen und ihr auch noch
weiterhin Spielkamerad gewesen. Er wäre freilich
später in die Welt hinaus und hätte sich wie ein Wind
durch die Länder gejagt, hätte aber immer wieder,
von Zeit zu Zeit, Heimkommen müssen und hätte dann
oft mit der Annerl gesprochen, ja mit ihr lustige Wande-
rungen über Wiesen und Straßen unternommen.
Obwohl nun diese Erzählung von der Freundschaft
des Malers mit der Verstorbenen dem Grafen ein Gefühl
erweckte, das wie mit unzähligen schnellen Stichen durch
seine Brust lief, so war doch die Art, wie es erzählt
wurde, eine so durchaus vornehme und vertrauen-
erweckende, daß dieses leis schmerzliche Gefühl durch das
Interesse, von der Toten zu hören, und durch das neuer-
dings wild aufbrechende Leid um ihren Verlust nieder-
gehalten wurde. So konnte es geschehen, daß der
menschenentfremdete Graf der oftmals geäußerten Ab-
sicht des Malers, aufzubrechen, einen beinahe flehenden
Widerstand entgegensetzte, so daß sie weit in die Dämme-
rung hinein einander gegenüber saßen und von der
Gräfin Anna sprachen. Und als Zanetti endlich wirklich
gegangen war, fühlte der Graf zum ersten Male die
Wucht der Einsamkeit. Aber nur für kurze Weile. Denn
als er die Lampe entzündet und ihr Licht zu einem
fahlen, rötlichen dämpfte, und als das Bild aus dein
fliehenden Dunkel gleichsam aufzuwachen schien, war
der Graf wieder nur den Erinnerungen hingegeben.
Wehmut ohne Ermessen füllte sein Herz. Vor den
sich verschleiernden Augen verschwand mählich das
Bild, und die fernen Tage schlossen sich auf, als rauschte
ein Vorhang von ihnen zurück. Er sah in sie hinein wie
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