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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Coellen, Ludwig: Die künstlerische Möglichkeit des Futurismus
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Strauß, Ludwig: Zwei Gedichte: Entschlafende Landschaft. Abschluß.
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0380

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Die künstlerische Möglichkeit des Futurismus.

in der Mitte steht zwischen der gegenständlichen Auf-
fassung und der dynamischen; man kann ihn logisch
ebensowohl nehmen als einen Zustand des Seins, wie
als einen bloßen Moment des Geschehens. Der Im-
pressionist freilich faßt ihn nur als Zustand eines objek-
tiven Seins, weil ihm die neue Haltung noch gänzlich
fremd ist. Der Futurist geht weiter, er malt die Auf-
einanderfolge solcher Momente.
Heute wird jeder zugeben, daß der Impressionismus
ein Kulturausdruck unserer Zeit war; alle Gründe dafür
aber kommen dem ihm verwandten Futurismus nicht
weniger zugute.
* *
*
Indem der Futurismus und mit ihm die gesamte
expressionistische Malerei über den Impressionismus
hinwegschreitet, vollzieht sich eine künstlerische Entwick-
lung, welche in sich folgerichtig und notwendig war; und
darin liegt der tiefste Rechtsgrund für die neue Malerei
überhaupt.
Der Impressionismus, wie gesagt, faßt sein Moment-
bild als ein unmittelbar erscheinendes, zuständliches
Außenwelt-Sein. Das ist seine geistige und den Kunst-
willen bestimmende Haltung, die für Art und Leistung
seines Schaffens entscheidend wird. Das äußere Seiende
ist ihm das Primäre, die eigentliche Materie, an welcher
er die künstlerische Formung vollzieht. Ein objektives
Sein ist es, welches aus sich heraus die Formung zwingend
bestimmt und begrenzt. Nennt man solche Gebunden-
heit an einen objektiven Stoff Naturalismus, so ist eben
der Impressionist grundsätzlich auch Naturalist.
Die folgende Malerei kehrt hier das Wertverhältnis
um zwischen dem Wirklichkeilsmaterial und der künst-
lerischen Form. Sie lockt nicht mehr gleichsam die Form
aus dem gegebenen Material heraus, die Form wird ihr
vielmehr das durchaus Bestimmende. Die reine Form
als eine rhythmisch-melodische Organisation wird ihr
das an und für sich gewollte Ziel; und das sinnliche
Empfindungsmaterial, die gegebene Wirklichkeit, hat
demgegenüber nur noch die Bedeutung eines dienenden
Mittels: es bestimmt die Besonderung des allgemeinen
Formgesetzes, es gibt nur den besonderen Einzelfall an,
zu dem sich das allgemeine Gesetz konkresziert. Das ist
näher zu verstehen durch eine veränderte Bewußtseins-
haltung des Künstlers: der Künstler läßt das Geistig-
Persönliche in sich walten und über die Materie herrschen;
er wird im Gegensatz zum naturalistischen der freie
Phantasiekünstler. An die Stelle der naturalistischen tritt
die „reine" oder, könnte man sagen, „absolute" Malerei.
Bei jener ist das Kunstwerk geformte Materie, bei dieser
eine in der Materie verwirklichte Form. Der Naturalist
gibt sich gleichsam an die Natur hin, der freie Phantasie-
künstler hat die Natur nur noch als die freilich notwendige
Erfahrungsvoraussetzung für sein freies Formgestalten.
Die Form aber gewinnt dadurch einen ideellen Sinn, sie
offenbart die Sphäre des Geistigen, in der sie wurzelt;
und mag auch der gegenständliche Jndividualwert noch
so sehr hervortreten, so steht er dann doch ganz unter
der Herrschaft dieses geistigen Sinnes der Form.
In solchem Verstände ist die jüngste Kunst die Abkehr
von der naturalistischen zur absoluten Malerei, und an

ihr nimmt auch der Futurismus teil. Das leuchtet sofort
ein, wenn man noch eine Eigentümlichkeit in dem Ver-
halten des Phantasiekünstlers beachtet. Dieser verhält
sich dem Naturerlebnis gegenüber stark reaktiv: das
Naturobjekt liefert ihm die subjektiven Reaktionen, und
in ihnen vollzieht sich erst das formende Schaffen. So
könnte man auch dem naturalistischen den „reaktiven"
Künstler gegenüberstellen. Auf solchen reaktiven Bestand
aber ist der Futurist gänzlich angewiesen; denn die Hin-
gabe an das ruhige Dasein der Natur ist ihm versagt, er
kann das Geschehen, welches er malen will, nur als ein
Gebilde seiner reaktiven Phantasie haben und formen,
ein Gebilde, dem auch nicht einmal die festen Gestalten
der Dinge als Erinnerungsbilder einen Gehalt an „Natür-
lichkeit" lassen können. So erklärt sich das Unnatürliche
in seinen Gemälden als eine äußerste Beziehung auf
die reine, absolute Form: Alles Materielle ist darin
formbestimmt. Das rhythmisch-melodische Ganze ist da
als das künstlerische Erlebnis gleichsam zur Freiheit ent-
lassen; in einer lebendigen Bewegung, die sich durch den
Raum des Bildes hindurch frei auswirkt, vollzieht es
sich an einem Minimum materieller Hemmung.
Viele Möglichkeiten bietet die Kunst; auch solche, die
tiefer in das geistige Wesen der Welt hinableuchten, als
es der Futurismus bisher konnte. Andere Arten der
jüngsten Malerei haben ihn darin schon übertroffen; aber
eines muß anerkannt werden: eine dem allgemeinen
Ziele der Kunst höchst angemessene Art ist auch er.
vr. Ludwig Coellen.
O wei Gedichte von Ludwig Strauß.
Entschlafende Landschaft.
Von schweren Zweigen zittern wehnde Schleier
vor breite Wiesen, die vergehend dunkeln,
vor goldne Fenster, vor den blonden Weiher,
indes wie träumend frei Gestirne funkeln.
O Stille, nur im Laube scheint zu hängen
der Liebsten leise flatterndes Gelächter,
denn dort ertönt in schmalen Himmelsgängen
verlöschend noch ein Zwitschern zarter Wächter.
Dies alles ist zu süß, um wach zu bleiben.
Es scheint in seufzend matten Wind getaucht
auf leichten Schwingen selig hinzutreiben,
bis es, ein Kuß, auf meinem Aug verhaucht.
Abschluß.
Gestalten, ein Kranz, die mein Lager umgehn,
wie Geister beruhigt, wie Tanzende schön:
du hast und du nachtlang bei mir geruht,
dein Wort ward mir Atem, dein Kuß mir Blut.
O eure seidenen Stimmen wehn
über meine Wiege wie Schleier von Feen:
Segen und Fluch
zittert mir dunkel ans Herz euer Spruch.
Das nimmt ihn versöhnend in läuternden Schlag,
daß einig mich finde der kommende Tag.
 
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