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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Benn, Joachim: Frauen
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Zweig, Arnold: Das Postpaket
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0160

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Frauen.

die ein Jahrzehnt lang einen unserer größten Künstler
in seiner kranken Haltlosigkeit soweit ausrecht erhalten
mußten, damit er uns einige der schönsten Bilder deut-
schen Lebensstrebens geben konnte. Mit ihrer Kränk-
lichkeit, ihrer Wesensdünnheit ist diese Frau nicht das
Idealbild deutscher Frauen, deutscher Weibschaft; das
Muster denken wir uns runder und voller, nicht unver-
wandt den guellenreicheren Gestalten Goethes, Kellers
und Dürers. Aber es ist das Idealbild geistiger Mutter-
schaft, das in dem Idealbilds deutscher Frauenschaft,
das wir ersehnen, immer wird mit enthalten sein
müssen. Joachim Benn.
Postpaket.
/ Erzählung von Arnold Zweig.
„Nein doch, lieber Doktor," wehrte Claudia mit
tiefer und sanfter Stimme, als er sich bereit erklärte,
ihr die Sorge um die Garderobe abzunehmen, „das hat
James bereits getan," und wirklich näherte sich ihnen
der livrierte noch junge Diener in gelbgrauem Rock
und weißen Hosen, die in Stulpstiefeln steckten, mit dem
zartroten Abendmantel und den dünnen Schals seiner
Herrin. Doktor Rohme stand in Überzieher und hohem
Hut ein wenig hilflos in diesem von Geschwätz wider-
hallenden Foyer. Noch immer fühlte er unter allen
Erregungen dieser kunsterfüllten Abendstunden den Ent-
schluß schwingen, gespannt und summend, eine tiefe
Saite, der ihn heute hierher geführt hatte, zehnmal
widerrufen und dennoch nicht aus dem Tatwerden
gedrängt; und während Claudia sich von ihrem Lakeien
unter knappen Bewegungen, die Geübtheit verrieten,
einhüllen ließ, grübelte er, verkniffenen Mundes und
mit abseits träumenden Augen, von den um ihre Über-
kleider Kämpfenden gestoßen und unfreundlich ange-
sehen, über jene bittere Wallung des Nichtmehrertragen-
könnens, die ihn gestern abend überfallen und heute
hierhergestoßen hatte, wie die Woge eine Qualle auf
den Felsen wirft. Er hatte, von der Theateranzeige
veranlaßt, in Goethes Götz erst geblättert, dann mit
Entsetzen gelesen, und Weislingens Schwanken zwischen
dieser und jener Partei hatte ihn wie ein roher Schlag
mitten ins Gesicht getroffen. Ekel und grauenvolle
Verachtung gegen sich stieg ihm in den Hals dafür,
daß er seit drei Wochen die Notwendigkeit eingesehen
hatte, Entscheidung und Klarheit in seine Beziehungen
zu diesem Mädchen zu bringen, das er mit demütiger
Sehnsucht liebte, ohne den Mut zum Entschluß zu finden.
Denn augenscheinlich, nach der ruhig befreundeten Art
ihres Benehmens, wußte sie nicht im geringsten, wie
unmöglich er für sie war. Sein Reinlichkeitsgefühl
empörte sich; er kam sich beschmutzt vor, besudelte fast
auch sie — so hatte er sich die Qual dieser Vorstellung
verordnet, und das Mittel hatte gewirkt. Noch heute
abend alles beendigen, sich vor ihr noch heute entblößen,
auf die Gefahr hin, für immer entlassen und ins Dunkel-
kalte hinausgewiesen zu werden: das wars, was not-
tat, und das war unlöslich beschlossen.
Als ihr Gesicht verändert, selbst fremd aus dem
weißen Seidenstoff hervorlächelte, legte sie ohne ein

Wort ihren Arn: in den des befreundeten Mannes und
ließ sich, während in Wirklichkeit sie den Weg andeutete,
scheinbar von ibm zu dem bekannten blauen Automobil
der Eggeling führen, das James bereits herbeigewinkt
hatte und das inmitten der vielen Leute, die aus den
Portalen herausdrängten, wie eine Bestie toste. Er
fühlte ihre Leitung mit einer scharfen Beschämung,
die ihm wiederum grundlos schien, und hätte sich am
liebsten verabschiedet, aber das ging ja nicht an; und
als sie in dem dunklen Fahrzeug verschwand, ohne ein
Wort an ihn zu richten, mußte er ohnehin nachsteigen.
Der Chauffeur fuhr an, kaum daß er sich hatte setzen
können; so fiel er beinahe in das Lederpolster zurück
und argwöhnte ein Lächeln ihres beweglichen Mundes,
das ihn unglücklich gemacht hätte. Aber ihr schönes
blasses Gesicht war in stiller Freundlichkeit unverändert;
während sie emsig ihre Gewänder ordnete, sah sie ihn
mit Hellen Blicken an, und er fand sich wieder in der
lieben Gefahr dieser großen schwarzen Augen voll ver-
ständigen Glanzes. Einen Augenblick lang schwirrte
das leichte Rauschen und Erzittern des hastenden Fahr-
zeugs durch die Stille ihrer Gedanken, die nachgenießend
an dem Schauspiel hingen, welches sie soeben verfassen
hatte: man hatte den Götz von Berlichingen gespielt,
wie um zwei großen Akteuren Gelegenheit zu geben,
ihre Kunst an Goethes Jugendwelt zu erweisen, indem
die strömende Genialität des einen den wenig differen-
zierten Ritter in einem reichen Zuge schuf und lebte,
während der andere mit lauter kleinen, unendlich ner-
vösen und verfeinerten Einzelheiten dem unbeständigen
Weislingen als einem heutigen Menschen nachtastete,
dessen halbe und unvollendete Gesten und Betonungen
e'ndringlich und modern zu dem ähnlich gearteten
Publikum gesprochen hatten. Beide hatten einander
aufgewogen und beiden hatte starker Beifall gelohnt.
Unterdessen quälte er sich unausgesetzt, ein Mittel aus-
findig zu machen, einen Weg, der ihm gestattete, ohne
bei ihr Anstoß zu erregen und ganz geradezu von
seiner Lage zu reden — wobei sie wohl nur mit hoch
hinaufgezogenen Augenbrauen den Mund abweisend
schmal gemacht hatte — seine innere Verfassung vor
ihr hinzubreiten: Sieh, so bin ich, nun entscheide
dich . .. Aber das war schwer, und nichts wollte sich
finden.
Endlich begann Claudia ihn leichthin, wie aus
Schicklichkeit zu fragen: „Eine eigentümliche Aufführung,
Doktor, oder?" Er glaubte zu fühlen, jedoch nicht
schmerzhaft, wie soeben das rauschende Schweigen als
etwas Lebendes zerbrochen war, nahm sich zusammen
und erwiderte hoch, ein wenig umschleiert, leicht vor-
tragender Weise: „Eigentümlich, gewiß. Unzeitgemäß,
aber modern, wird man urteilen können. Ob Goethe
seinen Weislingen so gesehen hat?" Sie lächelte fein:
„Sie denken an Weislingen? ich an den Götz ... die
Frage darf ich behalten: ob er den Götz so gesehen hat?"
Er nahm die Brille ab und rieb sie mit einem weißen
Tuche, während er sehr langsam sprach: „Ich weiß
nicht, Fräulein Claudia, ob es augenblicklich so sehr
auf Götz ankommt. Die Leute, die mit uns heute abend
diese beiden sahen, werden sicherlich von dem anderen
mehr sprechen. Er ist einer von ihnen . . . von uns.

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