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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Rüttenauer, Benno: Die neue Neue in München
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Schäfer, Wilhelm: Von zwei Kulturen der Musik
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0499

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Und so ist auch jetzt noch der Eindruck, den ein unbefangener
fremder Besucher wahrscheinlich als ersten empfängt, ein sehr böser.
Denn dieser Unbefangene wird vom Vestibül (oder Saal der
Stifter) aus fast notwendig den ersten großen Saal betreten, da
ja ein Inscincks OAni sperniisg, voi cU'entrLts nirgends davor
angebracht ist. Und so wäre es nicht zu verwundern, daß der
Mann, wenn er besonders empfindliche Nerven hat, unverweilt
die Flucht ergriffe vor diesen Zwanzig-Meter-Leinwänden der
Piloty und W. Kaulbach, besonders, da der Saal keine andere
Ausflucht gewährt als die, durch welche man eingetreten ist.
Verdammte Introduktion.
Aber in xrineipio ernt — error, der Unbefangene hat sich
nur geirrt, verirrt. Er hätte — die Münchner Schutzleute rufen
das Gegenteil in den Straßen! — links gehen sollen. Manchmal
muß man doch in Deutschland links gehen, um recht zu gehen. Und
sieh, er ist bekehrt und geht links und fällt zu seinem nicht geringen
Erstaunen in einen kleinen Saal voll von Leibl, Schuch, Trübner
und Verwandten, kurz, sieht sich zwischen den höchsten Herrlich-
keiten moderner deutscher Kultur in Farben und seine gekränkten
und erschreckten Nerven erholen sich. Wegen dieses Saals oder
Kabinetts, und eines ferneren, wovon gleich die Rede sein soll,
wird man in Zukunft, außer anderem, nach München reisen.
Dieser erste Raum wirkt dergestalt stark und einzigartig, daß das
zweite Kabinett mit Diez und Schülern dagegen schon beträchtlich
abfällt, trotz Wertvollstem von A. v. Keller, geschenkten Studien,
eine ganze Wand. Auch die folgenden Sälchen, mit Habermann,
Liebermann, Uhde, Thoma und zuletzt Lenbach können es weder
durch Stärke der Einzelleistung, noch besonders durch harmonischen
Zusammenklang mit dem ersten aufnehmen, wo eben das Auge
gleich auf unverhältnismäßig hohe Ansprüche eingestellt wurde.
Nach meinem Gefühl hätte hier eine umgekehrte klimaktische
Reihenfolge objektiv und subjektiv günstiger wirken müssen. Über
die Lenbach-„Aufmachung" im letzten Kabinett ein Wort. Wenn
man ein hohles, leeres Frauenbild — Weibsbild hätte ich fast
gesagt, — ein einfach kitschiges Ding, zwischen einem Leo XIII.
und Bismarck, Höchstschöpfungen Lenbachs, altarartig in die Mitte
der Wand hängt, dazu in Prachtrahmen ganz ohnegleichen, so ver-
sündigt man sich unverzeihlich an den Unschuldigen, und den andern
gibt man ein schlimmes Ärgernis; das eine wie das andere wäre,
denk ich, in einer öffentlichen Galerie peinlich zu vermeiden.
Eine andere Bemerkung macht man in dem anstoßenden Mittel-
saal, wo die „Jüngsten" ein wenig in Masse auftreten dürfen. Einer
gehört eigentlich nicht dazu. Wie kam er dennoch da hinein? Um zu
beweisen, was unnötig war, daß er alle überstrahlt? Er tut das sehr
auffallend, es ist der große „Pflüger" von Segantini. Sonst war in
diesem Saal der Ordner (Herr Ur Braune) gut beraten, daß er
die zahlreichen Bilder der Scholle alle in den zweiten Rang herauf-
gehängt hat, hoch über die andern. Sie wirken da oben sehr lustig.
Sie verlieren damit nichts. Ihre Wesenheit als Dekorationen
wird da klarer als je.
Und nun zum großen Neuen, wirklich Neuen. Nach dem
dritten der oben besprochenen Kabinette folgt ein freierer Raum,
mit Feuerbach, Böcklin, Thoma, zwei Prachtlandschaften von
Stäbli (etwas zu hoch gehängt) und mit weiter hoher Bogenöffnung
nach einem der großen Mittelsäle, in dem nun, vollkommen ab-
geschlossen nach den andern Wänden, des Marses gesammeltes
Werk, soweit es im Besitz des Staates, seine Aufstellung gefunden
hat. Hier hat der Neuordner sich vollkommen bewährt. Der
mächtige Eindruck übertrifft hier unsere kühnsten Erwartungen.
Selbst wenn man die Aufstellung des Maröesschen Werkes durch
Meier-Gräfe, in München und Berlin, noch in lebhafter Erinnerung
hat, wird man doch aufs neue überrascht von der Kraft und gött-
lichen Harmonie, die da von einem großen Menschen ausströmt,
trotzdem er sein Werk in brüchigem Zustand der Welt überlassen
mußte, man glaubt ein Wunder zu erleben. Dieser Saal ist das
Zweite, um derentwillen in den nächsten Zeiten viele nach München
reisen werden.
Zwei Münchner Malersleute beobachtete ich in dem Saal,
alte Knaben schon, mit verbissenen, trocken grimmigen Gesichtern.
Einer zuckte ratlos die Achsel. Bei solchen Gelegenheiten empfindet
man die Mittelmäßigen in der Kunst wie schädliches, giftiges Ge-
würm und möchte . . . halt, nein, das sind des lieben Gottes An-
gelegenheiten.
Und was soll ich nun von den kleinen Kabinetten auf der
andern, der Nordseite, sagen? Man erinnert sich der massenhaften
Münchner Veduten, die wie mit Zirkel und Reißschiene gemacht

schienen. (Verdammter Reim!) Wahrlich, die Münchner Pina-
kothek war einzig in der Welt durch diese Summe von biedermeier-
lichen Naivitäten. Mir persönlich, ich gestehe es offen, waren sie
dennoch lieber als die großen Wilhelm Kaulbach. Sie waren, wenn
ohne Poesie, so doch auch ohne die gespreizte hohle Phrase. Sie
spiegelten die Seele ihrer Zeit immer noch von einer liebens-
würdigen Seite. Nun sind sie zum großen Teil verschwunden;
aber wird der Ersatz besser vor einer späteren Nachwelt bestehen?
In vielen Fällen wenigstens scheint mir diese Frage nicht allzu
unberechtigt. Quaglio hat man mit richtigem Gefühl unvermin-
dert gelassen, Rottmann und besonders Spitzweg glücklich ver-
stärkt, Eduard Schleich richtig betont, und neu für die Malerei
entdeckt hat man Wilhelm Busch.
Und besitzt München keine Franzosen? Einige, nicht überwäl-
tigende, Courbet hängen im Leibl-Saal, einige andere in einem
der eben besprochenen Kabinette, in welchem sonst Constable die
höchste Note angibt. Die andern französischen Ankäufe waren
wahrlich derart, daß sie jetzt, nicht ohne Berechtigung, verschwunden
sind! Aber andere dagegen haben ihren glorreichen Einzug ge-
halten. Eine Anzahl reicher Leute (Herr Baron von Heymel, Frei-
herr von Cramer-Klett, Herr Sternheim und andere) haben zum
Gedächtnis Egidis von Tschudi nichts geringeres als eine kleine
französische Galerie gestiftet — von Manet und Daumier über
Monet und Cszanne, bis van Gogh und Gauguin —, drei Kabi-
nette; man findet sie im Erdgeschoß, weitab vom Übrigen, aber
sonst nicht ungünstig untergebracht, und diese Tschudi-Stiftung
wird das Dritte fein, warum in den nächsten Jahren Fremde
mit künstlerischer Kultur die so lange übelbeschriene und ver-
spottete Pinakothek besuchen werden. Benno Rüttenauer.
on zwei Kulturen der Musik.*
Wer von unseren Lesern die Aufsätze von August Halm in
den Rheinlanden verfolgt hat und wer nur seine kurzen Worte
über Richard Wagners Tristan in dieser Nummer liest, dem brauche
ich zur Empfehlung seines Buches kaum etwas anderes zu sagen,
als daß es nicht etwa eine Sammlung solcher Aufsätze vorstellt,
sondern eine großzügige Einführung in den inneren Betrieb der
Musik. August Halm ist mehr als ein Musikkenner; selbst als schöpfe-
rischer Künstler mit ungewöhnlich klarem Bewußtfein in allen
Gründen der musikalischen Produktion orientiert, und dadurch
von selbst zu strengen Forderungen kommend, vermag er — dein
Bildhauer Adolf Hildebrand darin nicht unähnlich — seine Forde-
rungen geistig in einer Kühnheit und Weite zu begründen, die durch-
aus über den Kreis des Musikbetriebes hinaus geht: Er spricht
von der Musik als Kunst und spricht deshalb so, daß sich seine Worte
fast immer auf die anderer Künste, also der Kunst überhaupt über-
tragen lassen. Ich halte ihn, kurz gesagt, für einen Kopf ersten Ranges,
für einen der wenigen großen Schriftsteller, die unsere Sprache
neuerdings erlebte, wobei natürlich nicht im geringsten an geist-
volles Blendwerk, sondern an die seltene Fähigkeit gedacht wird,
Kunstfragen als Lebensdinge darzustellen.
Von der Absicht des Buches mögen die nachstehenden Aus-
züge das ihrige sagen:
„Als Leser dieses meines Buches denke ich mir, wie ich schon
andeutete, jene Freunde des künstlerischen Verstehens, die mit dem
unbestimmten Eindruck sich nicht zufrieden geben, sondern zu den
Ursachen zu gelangen gewillt sind, die auch nicht mehr die schein-
baren Erklärungen, welche in Wirklichkeit nur den Verzicht auf
Klarheit verdecken und nicht einmal verdecken, gelten lassen wollen,
die eine Hermeneutik ablehnen, welche Vorstellungen und Emp-
findungen anderer Regionen benutzt, um die Musik nach ihrem
fogenannten Inhalt zu deuten, das Bildliche nicht nur zum Gleich-
nis nimmt, sondern am Bild kleben bleibt, und in ihm das Stoffliche
der musikalischen Vorgänge zu sehen und sehen zu lehren vorgibt:
kurz, ich erhoffe mir als Leser jene lebhaft vordringenden Geister,
wie sie Goethe nennt, deren Anzahl in unserer Zeit mächtig anzu-
wachsen beginnt, für deren Gemeinde mehr Anhänger zu werben
wohl auch meinem Werke beschieden sein möchte."
„Von zwei Kulturen spreche ich, da ich deutlich zwei, in den
Anfängen jedenfalls wesentlich verschiedene Ideale des Kompo-
nierens wahrnehme: das Ideal der Form und das des Stils.

* Verlag Georg Müller, München 1913.


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