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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Dünwald, Willy: Hebbels Verklärung
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Hamlet: Unerbauliche Betrachtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0168

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Hebbels Verklarung.
konnte: „Elise ist nicht mehr; am 18. November 1854
gegen Morgen ist sie verschieden. Lange vorher schon
war für sie nichts mehr zu erhoffen und also nur der Tod
noch zu erwünschen; so erschütterte mich die Schmerzens-
kunde im Moment des Eintreffens denn nicht so sehr,
als sie in mir nachzitterte und nachzittern wird. Welch
ein verworrenes Leben; wie tief mit dem meinigen
verflochten, und doch gegen den Willen der Natur und
ohne den rechten, inneren Bezug! Dennoch werde ich
niemand lieber, als ihr, in den reineren Regionen be-
gegnen, wenn sie sich mir dereinst erschließen."
„Wenn sie sich mir dereinst erschließen"... er war
nun 45 und ahnte nicht, daß dies in fünf Jahren schon
sein sollte; doch zur Stunde vermeinte er, es müßte
sogleich geschehen. Er vergaß Wien und das Heim mit
Frau und Töchterchen; vergaß die kränkende Zurück-
setzung, die seine Zeit ihm und seinen Werken angetan;
vergaß das Irdische und Wirkliche ganz; fühlte sich wie
himmelsauffahrend, von der Poesie erhoben, zu einem
besseren Sein. „Ich bin bereit". Er glaubte gesprochen
zu haben, was Genoveva eben, das Werk schließend,
gesagt. Trompeten erschollen, Begeisterung ertönte im
dunkeln Hause.
Im poetischen Erleben noch ganz verstrickt, verließ
der Verklarte unter fürstlichem Geleit der Muse
Haus. Seine Augen — ihm selbst nicht bewußt —
ließen nicht ab von dem Märchen ihm zur Seite;
von Prinzeß Marie, deren duftende Huldigung er
trug. Die aber schämte sich gesenkten Hauptes, im
Zwielicht der Loge mehr geoffenbart zu haben, als
höfisch und weiblich schicklich. Doch diese dumme Enge
überwand ein höheres Gefühl: ihr raffaelischer Kopf
hob und wandte sich dem Manne zu, der — o hohes
Glück — ihr zur Seite ging. Und ihr Mund jauchzte
kluge Worte über sein Schaffen; und dies derart, daß
Friedrich Hebbel, als solch herrliche Resonanz der
Schönheit zu tönen anhub, nur dem Wunsche Worte
geben konnte: Fortab alles Geschaffene in ihren
Augen spiegeln zu dürfen, ehe die Welt ihr Teil dran
nehme. Da ward sie wiederum vor Stolz und Freude
stumm. . .
Und stumm blieb das Glück dieser Stunde und der
folgenden Tage in ihm. Diesen Schatz verklärenden
Erlebnisses, herrlich und golden wie der Nibelungen Hort,
versenkte er als grimmer Hagen hinab in die Tiefen
seiner Brust. Willi Dünwald.
1 ^«erbauliche Betrachtung.
Schwer ist, du meiner Weisheit trüber Sohn,
des Daseinszirkels Rektifikation.
Und wolltest du statt „schwer": „unmöglich" sagen —
kaum könnt auch das ich zu verneinen wagen.
Denn dauernd wohl darf man darauf verzichten,
geschlossnen Kreis nach Wunsch gerad zu richten.
Zwar wärs begehrenswert, ja hochwillkommen,
wenn auf dem Pfad, den unser Fuß genommen.

wir, ob auch nicht zum hohen, zum genehmen,
doch zu 'nem Ziel, und mindstens vorwärts kämen!
Wie möchten wir uns freun, wenn unsre Fährte
vernünftgen Schlusses nicht so gar entbehrte!
Jedoch der Lebenslinie runde Tücke
führt vorwärts stets, und führt zugleich zurücke.
Du läufst, und findest dich, dir selbst zum Torte,
gleich wieder an dem schon vertrauten Orte,
und wie du wegeilst von der Unglücksquelle:
bald höhnet neu dich die verhaßte Stelle,
und wieder erst erkennst du sie, gebadet
im Sturz schon jenes Nasses, das dir schadet.
Du Irrender! beglückt magst du dich nennen,
wenn noch ein ebnes Jrrfeld dir vergönnen,
ein leidlich ebnes Jrrfeld deine Götter,
bei nicht zu kühlem, nicht zu schwülem Wetter
in topographisch mäßig schöner Lage,
sanft zu verschleudern deines Lebens Tage,
die öden, lässgen Schritts, in Langerweile
durchmessend seine weit gekrümmte Zeile,
daß nichts dir regt den trägen Sinn, den dumpfen,
als periodisch das gewohnte Plumpfen
gewohnten Falles, dem gewohnterweise
das Aufstehn folgt zur fernern Zirkelreise.
Doch wehe! hat dem Schicksal es gefallen,
den Kreis (dem du nun einmal bist verfallen)
zu hängen in die vertikale Lage,
daß du im Rad dich quälst in knechtscher Plage!
Da lischt der Blick an gleichbewegter Wandung!
Das Ohr betäubt die ungeheure Brandung,
der Wogenschwall und Braus der Jammertöne
der Weggefährten, und des Rads Gestöhne,
so unablässig mischt sich dem Gezeter,
Wutschrei der Flucher und Gekreisch der Beter.
— Des Tretens Mühsal wird dir wenig frommen,
und schwerlich wirst ans Licht der Höhe kommen.
Vergeblich klopft das Herz und tropft die Stirne,
und kaum siehst jemals du den Glanz der Firne!
Wie brav du stapfst und steigst und hebst die Lasten
des schweren Erdenkörpers — immer fasten
und fasten wird sie, deine liebe Seele,
und nie entsteigen ihrer Hungerhöhle,
die Närrin, die, betrogen, reine Düfte
erhofft statt Stanks der Dunst- und Modergrüfte: —
Weil unter dir — begreife! — der dich trüget,
der Pfad, der schnöde, abwärts stets sich weg et;
und keiner Kunst noch Wissenschaft wird glücken,
gekrümmten Kreis nach Wunsch gerad zu biegen:
Unmöglich ist, o trüber Weisheitssohn,
des Airkeldaseins Rektifikation.
(Hamlet.)

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