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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Altenberg, Peter: Ausgewählte Skizzen
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Bab, Julius: August Bürger, 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0122

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Da ruhte ich von meiner dummen Irrfahrt aus,
und lebte mit, Familien-Kirchen-Frieden!
Da kam sie einmal aus dem Theater, in einem
schlichten braunen seidenen Kleide.
Doch der Hals war frei bis zu den Schlüsselbeinen
und dem Beginn des Brustblatts.
Der Friede ward zerstört-.
Ich blickte auf diese Märchenpracht, die ich nie vorhin
jemals so vollendet bei irgendeiner anderen gesehen!
Meine armen Augen wurden wieder friedlos, und
tranken die Schönheit dieser Linien in sich hinein, in
sich hinein-.
Der Friede ward zerstört-.
Ich ging, und kam nie wieder in dieses Heim,
Familien-Kirchen-Frieden-.
OlaloAue.
(Aus: „Bilderbögen des kleinen Lebens".)
dien, Ie<gnel vou8 pluit le plus cles cleux?!?"
,,d'ecrivg.in me plait plu8 c^us le sourn3.li8te
„Dori8 1e8 cleux 8ont de8 sourng.li8te8, madums
,,Le n'e8t pg.8 p088idle. 118 ont 1e8 mine8 tout-ü-lLit
<litierent68 — — —."
,,Lomment ca?!"
„bin jomnalitte pent tout eerire ce <gu'il pen8e,
c'e8t 8on tLlent! N3.I8 l'ecrivam ne pent pns tont
eerire ce <gu'il pen8e! Le M3.nc^ue cle t3.1ent, c'e8t
80 n t3.1ent!"
„Lt connnent celg. 8e mire-t'il dun8 leg rnine8?!?"
„ld'nn e8t ir3.nc et ouvert, cornme un m3.rcd3.ncl,
c^ui 3. clonne 868 meillenre8 mnrcd3.ncd8e8, l'nntre e8t
timicle et cle M3.uv3.i8e con8cience, p3.rce <gu'il 3. retenu
en 8oi-meme 868 disonx 1e8 pln8 precieux — — —!"
Liebesgedicht.
(Aus: „Märchen des Lebens".)
Ich sah dich den Amseln zärtlich Futter streuen —
Ich sah dich deinen alten Vater sanft betreuen —
Ich sah dich in einem Buche heilige Stellen an-
streichen.
Ich sah dich in Gesellschaft unadeliger Menschen
erbleichen.
Ich sah dich deine idealen Füße ungeniert nackt
zeigen.
Ich sah dich wie eine Fürstin dich edel-stolz ver-
neigen.
Ich sah dich mit deinem geliebten Papagei wie mit
einem Freunde sprechen.
Ich sah dich mit einem Manne wegen eines geringen
Taktfehlers für ewig brechen-.
Ich sah dich an Himbeerduft dich berauschen.
Ich sah dich der Stille eines Sommerabends lauschen.
Ich sah dich an dem Alltag wachsen, lernen.
Ich sah dich traurig stehn vor trüben Gaslaternen.
Ich sah dich dein Leben spinnen wie die Spinne
ihr mysteriöses Gewebe — — —
Ich schlich mich abseits, um dich nicht zu stören.
Ich werde dich aber lieben, solang ich lebe!

ugust Bürger. (Schluß.)
Daß Bürger kein Lyriker war, darf nicht aus den
Produktionen seines Anfangs bewiesen werden — die
ersten Gedichte des jungen Goethe zeigen auch nicht
mehr. Aber bald nach seinem Amtsantritt begann
für Bürger das einschneidendste seiner Erlebnisse, über-
kam ihn jenes Schicksal, um dessen lyrischen Ausdruck
er mit aller Kraft, aller Innerlichkeit, deren er nur
fähig war, gerungen hat, das alles mögliche seiner
Kunst abgewinnen mußte.
Im Jahre 1774 wohnte der Dichter im Örtchen
Niedeck, bei der Familie des Amtmanns Leonhardt,
und im Sommer 1775 verehelichte er sich mit dessen
ältester Tochter Dorothea. Der Eheschluß war einiger-
maßen erzwungen, denn bereits nach sechs Monaten
wurde ein Kind geboren — aber gleichwohl scheint
schon damals in Bürger die Liebe zu der jüngeren
noch kindlichen Schwester, Auguste Leonhardt, zu keimen.
Seine Ehe mit der braven, gutartigen, ein wenig trocken
gescheiten Dorothea war an sich nicht unglücklich, aber
bald wuchs die Leidenschaft zu der an Leib und Seele
reicher ausgestatteten, der sanften schwärmerisch schönen
Schwester in ihm zu unwiderstehlicher Gewalt. Wachend
und träumend begann sich sein ganzes Leben um diese
eine, seine „Molly", zu drehen, und nun kamen Jahre
des Ringens und Fliehens, Entsagens und Aueinander-
stürzens, bis endlich diese bitterlichen Kämpfe in eine
kaum leichter zu tragende geheime Doppelehe mün-
deten. 1784 starb die arme tapfere Dorette, und Bürger
konnte nun, kurz nach seiner Befreiung vom Amt,
seiner Habilitation an der Göttinger Universität, seine
Molly ehelichen. Sechs Monate seines Lebens war
er sehr glücklich; dann im Januar 1786 starb seine zweite
Frau, wie ihre ältere Schwester plötzlich nach der Geburt
eines Kindes hinsiechend. Seitdem hat nie wieder
reines Licht über Bürgers Leben gelegen. — Die ganze
Geschichte dieser Liebe hat Bürger mit Gedichten be-
gleitet, Gedichten, die voll rückhaltloser Wahrheit und hef-
tigster Erregung — und doch keine großen Lyrika sind.
-Es sind „Gelegenheitsgedichte" — aber nicht mit Goethe-
scher Kunst ins Reich aller Seelen gehoben, weil sie sich
nicht zum rein Gefühlsmäßigen gesammelt haben,
weil sie in der kalten Hitze des Begriffsmäßigen kreisen
und die spezielle Situation oft mit advokcttorischem Eifer
erörtern. Es fehlte Bürger jene tiefe mehr als sinnliche
Bezogenheit „zur ganzen Welt", durch die jede eigene
Erfahrung gleichsam transparent wird, sich in ein
Symbol allmenschlicher Erfahrung wandelt. Wir hören
zu viel von der Angelegenheit des Privatmanns und
(was stark damit zusammenhängt) vom Rang des
Dichters Bürger in diesen zu begeisterten Gedichten.
Er blieb immer in eng eigner Sache, solange nicht
eine epische Gewandung seinem Gefühl den wohl-
tätigen Abstand, die Freiheit gab. Es ist charakteristisch,
daß Bürger dasjenige von allen Mollygedichten, das
uns heute das ergreifendste ist, seinen Balladen ein-
reihen konnte: „Untreue über alles" ist allerdings
(obwohl ohne eigentliche Handlung) in der Märchen-
metapher, mit der das lyrische Thema illustriert wird,
im dialogischen Bau, in der refrainartigen Steigerung,

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