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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Bab, Julius: August Bürger, 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0123

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August Bürger.

der stark ausgemalten Situation dem balladesken Stil
verwandt; hier wird auch die Länge des vierundzwanzig-
strophigen Gedichtes ein Kunstmittel, weil uns die
immer wiederholte Musik dieser wiegenden Zeilen
allmählich das rauschende und berauschende Fluten des
Kornfeldes, das die beiden Liebenden birgt, ins Gefühl
zwingt. — Sonst ist eben die Länge der Bürgerschen
Liebesgedichte (von der „Elegie als sich Molly losreißen
wollte" bis zu dem „Hohen Lied", das er 12 Jahre
später der Toten als Ehrenmal errichtete) verräterisch
für ihre lyrische Schwäche: es ist der Redner, der seine
Begeisterung ins Bleite strömen läßt, und einer in
kunstvollen Vergleichen gesteigerten Quantität von
Worten jene Wirkung zutraut, die der Lyriker ihrer
Qualität sicher entlocken würde. Es ist eine gleichsam
durch Reibung erzeugte Wärme, die diese Gedichte
schließlich verströmen, nicht die Glut, die der Blitz des
Genies mit einem Schlag zündet. Alle Kunst, die
Bürger — ein überaus gewissenhafter und bewußter
artistischer Arbeiter — auf die Musik des Verses, die
Schönheit des Bildes wendet, dringt nicht in jenen
Kern, wo das eigentlich lyrische Wunder geschieht,
wo Wortzauber eine Privatangelegenheit zur Mensch-
heitsangelegenheil verwandelt. Seine Pflege des
Klanglichen, die so übergern mit Naturlauten arbeitet,
mit dem huhu, trala, hopp hopp usw., trifft mehr das
Ohr als das Herz; und die Vulgarität des Ausdrucks,
die er kunstvoll bewußt pflegt, ist kein Ersatz für die
adlige Schlichtheit des großen Lyrikers. Nur als Bürgers
delikater Formsinn das Sonett neuentdeckte, stellte
sich einige Wirkung von außen nach innen ein; der
wohltätige Zwang dieser „dichtesten" Form hat einige
seiner wärmsten, im Gefühl konzentriertesten Gedichte
als Totenklagen um Molly geschaffen. Im übrigen
scheinen mir kleine Gelegenheitsstücke, wie die reizenden
Verse „Zum Spatz", das einheitlich feste „Trinklied",
manch politischer Aornspruch, manch literarischer Scherz,
manch liebenswürdige Epistel an Freunde über den
großen feierlichen Liebesoden zu stehen: sie zeigen,
was für ein starklebendiger, herzlich wohlwollender
und ehrlicher Mann dieser Dichter im Kern war, den
sein Schicksal in eine so überall heillose Situation ge-
stellt batte.
Allgemach, von vielen Seiten zugleich, in viel ver-
schiedener Gestalt überkam das eine innerlich geforderte
Schicksal seinen Mann. — Bürger war seit der „Leo-
nore" eine Berühmtheit in Deutschland, und die erste
Ausgabe seiner Gedichte (1778 mit den hübschen Chodo-
wieckischen Kupfern) war auch buchhändlerisch ein großer
Erfolg. Aber Dichten hat in Deutschland kaum je den
Berühmtesten ernährt; der Erfolg der zweiten, sehr
vermehrten Ausgabe von 1789 enttäuschte auch materiell.
Die gemeine Not wuchs für Bürger nach der Nieder-
legung seines Amtes, mit dem Hinschwinden seiner
Vermögensreste mehr und mehr. Auch als Dozent
der Universität war seine Lage in keinem Sinne golden;
in dem alten Dionysier war noch unruhiger Geist genug,
um seine akademische Würde der Kollegenschaft wie
der leitenden Behörde verdächtig und mißliebig zu
machen. Wieder wie im juristischen Amte begann
das trübe Spiel im Kreise von Not, Überdruß, Ärgernis,

Kränkung und Projekten, Gesuchen, Entwürfen, Flucht-
gedanken. — Da kam 1790 die Katastrophe für seine
soziale Situation, seinen menschlichen Halt. Vier Jahre
nach Mollys Tode ging Bürger, dessen unruhige Sinne
bei aller innersten Trostlosigkeit doch längst wieder
unter den Frauen irrlichterten, eine neue Ehe ein. —
Eine spielerisch leicht geschlossene Ehe; durch die anonyme
Andichtung eines Schwabenmädchens eingeleitet,
von Bürger mit echt romantischer Laune als „eine
artige Anekdote in der Geschichte der deutschen Lite-
ratur" weitergeführt. Schließlich hatte sich der Dichter
über alle ernsten Einwände hinweg in eine heftige
Leidenschaft hineinphantasiert und führte aus Stuttgart
die Verfasserin heim. Die hübsche und begabte Elise
Hahn war aber von Natur eine ausgesprochene Dirne,
die den Mann fast vom ersten Tag an und mit vielen
Männern fast zugleich betrog. Alle „Rettungen" sind
hier angesichts der einfachen Tatsachen läppisch. Aber
„auch ein Schurk hat recht" sagt Hebbel, und Elise
hatte für sich noch anzuführen, daß sie der doppelt so
alte Mann fast gewaltsam bei ihrem poetisch scherz-
haften Heiratsanerbieten festgehalten hatte —, und
das, obwohl sie bald erkennen mußte, daß im Grunde
seiner Seele nur eine Tote lebendig war: Molly. —
Mit unauslöschlichen Göttinger Skandalen ging diese
höchst unglückliche Ehe auseinander; sie zerrüttete nicht
nur Bürgers soziale und materielle Position vollends,
sie erschütterte auch sein Selbstgefühl, seine seelische
Selbstsicherheit aufs gefährlichste. Von allen Gedichten
ist keines in seinem menschlichen Ton so ergreifend,
wie das Sonett, in dem der Dichter von Mollys Geist
für diese unselige Ehe Vergebung verlangt. — Ein
paar solcher reinen, erlöschenden Klagelaute sind Bürgers
letzte Kunstwerke. Sonst nur noch allerlei Schnitzel-
werk für den Musenalmanach, dessen Herausgeber er
seit 1778 unter vielem Verdruß war, — Übersetzungs-
arbeiten, Editionen (die verdienstliche des „Münchhausen"
ist darunter), Bearbeitung schlechter Dichter und andrer
Brotdienst — dazwischen nur etwa ein paar starke
fragmentarische Strophen, mit denen der alte Rebell
den Ausbruch der großen Revolution drüben grüßt.
So geht Bürgers Dichtung zu Ende.
Denn der privaten Katastrophe trat weniger eklatant,
aber von Bürger kaum minder schwer empfunden, die
literarische zur Seite. Dem prinzipiellen Libertiner,
der doch von so vielen Instinkten gut bürgerlichen
Anstands gehalten war, hatte Elise Hahn uä oeulos
demonstriert, was wirklich zügelloser Libertinismus sei;
sein phantastisch sinnlicher Spieltrieb hatte ihm zum
letztenmal einen bösesten Streich gespielt. — Nun
mußte er erfahren, daß in diesem unvergeistigten un-
geordneten Fortbrodeln sinnlicher Leidenschaft auch
seine so stolz, so heftig geliebte Kunst nicht mehr für ganz
und groß geachtet wurde von den Führern der Zeit,
die längst aufgehört hatten, schwärmerische Naturalisten
und rebellische Libertiner zu sein.
Der Dichter des „Götz" und der Dichter der „Leo-
nore" hatten enthusiastische Bruderbriefe ausgetauscht
— als aber 1783 bald nach Übersendung seiner zweiten
„Gedichte" Bürger den immer noch geliebten großen
Goethe endlich in Weimar persönlich aufsuchte, da

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