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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Halm, U.: Parsifal
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Hansen, Margret: Eine Stunde
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0458

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die äußere „Handlung" des Dramas einmündet und
ihr einen Strom von größter Wucht zuführt.
Das sowohl als auch die erste große Gralsszene
nehme ich als typisch für Wagner, weil es einem grund-
sätzlich aufs Große, Überpersönliche gerichteten Wollen
und Denken entstammt. Dieser Künstler gehört deshalb
zu den Überwindern seiner Zeit und ihrer Enge, vor
allem der Romantik, welcher idiozentrisches Fühlen
eignet, ja welche nur eine Selbsttäuschung ist, nämlich
„sinnliche Ubersinnlichkeit" ;Egoismus, der, berauscht, zwar
das Bewußtsein seiner, keineswegs aber sich selbst ver-
loren hat; der Romantik, die man prinzipiell kultur-
feindlich nennen muß, und vor der es sich um so mehr
zu hüten gilt, je mehr sie zugleich das gute Gewissen
der Unpersönlichkeit verleiht und den Grund des guten
Gewissens zerstört, den starken Willen zu Überper-
sönlichem in Schwelgen und Andacht auflöst.
Gewiß, von dieser Romantik gab es für Wagner
in sich selbst viel zu überwinden. Die Formel für den
„Wagnerianer" äe pur sanZ kann beinahe von dieser
Tatsache allein herbezogen werden: dieser bewundert
das, was Wagner zu besiegen hatte, aber nimmt nicht
an dem Sieg teil; er folgt nicht Wagners Tun, sieht
nicht den Weg, den sein Schaffen nimmt. Und zwar
schon mit „Tristan" nimmt.
Freilich haben die Meistersinger stofflich die größere
sichtbare Verwandtschaft mit Parsifal; ihr Held ist wieder-
um keine Person, sondern die Gilde, die Zunft mit der
Gefahr und der Hoffnung, die sich an sie knüpfen. Dort
Rittertum, hier Bürgerlichkeit; dort ein höfisches, hier
städtisches Ensemble. Aber bei aller Beschränktheit
der Personen und Gruppen der Handlung: wie hoch
doch der Standpunkt des Dichters und des Zuschauers,
wie ihn der Dichter will! wie erhaben selbst über das
lächelnde Wohlwollen gegenüber dem Kleinen, in
mittelalterliche Mauern Eingeengten! Denken wir an
andere Dramen oder Opern, die in bürgerlichen Kreisen
spielen — denken wir nur einmal an den Anfang des
Corregidor. Ja, das ist beschränkt bürgerlich, ist klein-
bürgerlich, noch mehr: einzelbürgerlich — und damit zu-
fällig. In Wagners Meistersingern aber lebt der Geist
des Bürgertums, er gibt da nicht ein Bild als Aus-
schnitt eines Historischen, einer beliebigen, nur novel-
listisch absichtlich bearbeiteten Vergangenheit, sondern
etwas wie Urbild oder Vorbild; er gestaltet ein Ge-
wesenes zum Mythischen.
Und damit haben wir auch das seinen Dramen
Gemeinsame genannt. Es scheint nur selbstverständlich,
daß der Ring den Eindruck des Mythus macht; der
mythische Stoff gibt keine Garantie dafür; im Gegen-
teil: bei näherem Überlegen finden wir eine böse
Gefahr, die diesem seinem Charakter von der Sichtbar-
keit der Bühnenhandlung her droht. Immerhin aber
werden wir Wagners künstlerische Tat besser erkennen,
wenn wir das Zustandekommen des mythischen Cha-
rakters da untersuchen, wo der Stoff, wie er vorlag,
desselben entbehrte: und in diesem Betracht gehören
Parsifal und Tristan als Geschwister zusammen, und
also schließt sich ein Kreis mit dem Abschluß des gewal-
tigen, unvergleichlichen dramatischen Bildens: das erste
eigentliche Werk Wagners begegnet sich in demselben
Zeichen mit dem letzten. A. Halm.

/«Tine Stunde.
Von Margret Hansen.
Auf der Höhe steht, geduckt, das Häuschen, hart an
dem einzigen Landwege, der aus der kleinen Stadt
hinaus und zu ihr hereinführt, denn von allen übrigen
Seiten umschließt sie der bewegliche Wall eines Flusses,
dessen grüne Wasser noch zittern vom tosenden Sturz
aus den Bergen. Hoch und steil stehen die Uferwände,
das Gelb des Sandes leuchtet grell in der Sonne.
Droben ist das Land eben und zieht stundenweit ohne
Hebung und Senkung fort, in der Ödheit unendlicher
Fichtenwälder. An Föhntagen sieht man ferne die
starren Wellen des Gebirges.
Die Stadt liegt wie versenkt in ihrem Tale. Wer
auf der Höhe wandert, sieht sie nicht, bis er nahe am
Rande des Abhangs steht, und auch der im Tale Wan-
dernde wird ihrer unvermittelt gewahr, denn der Fluß
läuft in mannigfachen Windungen und schließt immer nur
ein kleines Stück des kommenden Weges dem Blicke
auf; seinen größten Bogen legt er um die Stadt. Mit
ihren engen Gassen drängt sie sich um ein altes Schloß
empor und hat von weitem das Aussehen einer riesen-
haften Burg. An Sommertagen kann die Stadt fast
prunkend daliegen, das Weiß der Häuser leuchtet und
blendet, mit tausend blitzenden Lichtern wandert der
Strom, und rings prahlen die Uferwände wie gelber Sam-
met, von dem Grün der dichten Wälder dunkel besäumt.
Diese Schönheit, voll Stolz, liegt dem unscheinbaren
Häuschen droben recht eigentlich zu Füßen. Aus seinen
kleinen Fenstern blinzt es auf die Stadt hinab, die
alt ist, viel älter als das Häuschen. Eines Tages ist
dieses wie ein häßlicher Flecken auf dem grünen Wälder-
saum erschienen und stört durch seinen Anblick die vor-
nehme Stadt, auf die es zwar herabsieht, aber nach
deren Reichtum es giert.
Während drunten die Häuser weiß sind, wie das
Schloß in der Mitte, ist das Häuschen von stumpfem
Grau, mit Schindeln gedeckt, denn es steht frei, allen
Winden ausgesetzt, und sieht den Gewittern, die über
die Wälder Heraufziehen, ins Gesicht. Wenn die Gewitter
kommen, und die schweren Wolken drohend über den
Rand der Wälder sich wälzen, so glaubt man, sie hätten
nichts anderes im Sinn, als über die steilen Hänge
hinab in das Tal zu rollen und die erbleichende Stadt
in dem so wohl dazu bereiteten Kessel mit ihren Blitzen
zu erschlagen und mit ihren Wassern zu ertränken.
Das Häuschen aber auf seiner Höhe ist wie ein böchs
graues Auge anzuschauen, welches das Wetter herauf-
beschwor.
Und jeder Wagen, der in die Stadt hinab muß,
jeder Reiter, jeder Wanderer, jedweder, der sie wieder
verläßt, alles Fröhliche, alles Traurige, bergab, bergauf,
spiegelt sich in den Fenstern des kleinen Hauses.
Heute ist ein heißer Tag hoch im Juli, mit blauem
Himmel, leer von Wolken, mit weißem Staub auf
Bäumen und Büschen an der Landstraße, mit träge
gehenden Menschen. Die Luft steht zitternd vor Hitze über
den Feldern.
Von der Stadt her kommt ein Wanderer des Weges,
ein Fremder, der seinen Reisesack auf dem Rücken trägt.

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