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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Halm, August Otto: Leitmotiv und Bedeutung
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0340

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Leitmotiv und Bedeutung.
Bekanntlich gibt es Texte zu Wagners Musik-
dramen, in denen immer die gerade im Orchester
ertönenden Motive angezeichnet sind, und zwar mit
Namen, die, häufig unzutreffend, teils zum Notbehelf
gebraucht werden mögen, teils auch irreführen. Nahmen
wir aber an, sie seien alle gut gewählt: was wollen auch
dann noch solche Textbücher? welchem Bedürfnis kommen
sie entgegen? Sehen wir die Walhall auf der Bühne:
genügt es da nicht, daß uns das musikalische Thema
den Eindruck eines würdigen, prächtigen, gemessenen
und hochragenden Gebäudes gibt, uns Sicherheit und
Glanz empfinden läßt? Wozu das Schulmeistern: „das
ist, müßt ihr wissen, das musikalische Walhall-Bild",
oder: „gebt mir ja acht, wenn Loge kommt oder wenn
die Rede auf ihn kommt — so sieht er dann, gleichzeitig,
musikalisch aus". Ist es nicht, als ob die Musik selbst
ein Lehramt übernommen und einen Stock in die Hand
bekommen hätte, damit sie auf Tafeln deute, wie es im
Anschauungsunterricht der Brauch? Doch, es ist so —
und wie mancher ist schon mit Wonne in diese Klein-
kinderschule gegangen!
Antworten wir nur ruhig auf die gestellte Frage:
vielfach ist, was hier treibt und auch seinen Willen
durchsetzt, das Bedürfnis, vorn anzufangen, wieder in
die Schule zu gehen, gegängelt zu werden: eine Sehn-
sucht, die oft sonst tüchtige und reife Menschen befällt;
sie wollen ein Gebiet haben, in dem sie unfrei und
unverantwortlich sind; auch ein Karl der Große brauchte
seinen Alenin.
Außerdem scheint da ein gebahnter Weg zum Ver-
ständnis der Musik zu führen, sehr bequem, sehr kurz
und daher einladend genug.
Ich mache eine Pause, um einen Einwand anzu-
hören, den ich auf einigen Lippen, sprungbereit, lauern
sehe: „Das ist uns ja doch gar nicht die Hauptsache!
Sie hören die Akkorde des Loge-Themas, da Fafner
singt: „Getreuster Bruder, merkst du Tropf nun Be-
trug?" Loge ist nämlich, wissen Sie, nicht nur der
Gott des Feuers und nicht nur Gestalt, sondern auch
Gesinnung und Wesen; nämlich Unbeständigkeit, Un-
verläßlichkeit und Tücke; die Musik zeigt also hier auf
die geheimen Beziehungen, welche unter der Ober-
fläche sich verstecken, sie hebt den Schleier der Maja,
das principium inciivicluLtionis, von unsern Augen;
sie erteilt also gerade nicht Anschauungsunterricht, son-
dern lehrt uns ins Tiefe schauen, das Nahe durchschauen."
Das lasse ich gelten. Die Musik lehrte zwar auch dann;
aber das Lehren ist nicht überall von einerlei Art, und
das Bild von Stock und Tafel ist in diesem Fall ungerecht,
wenn auf Wagners Musik angewandt; gerecht aber
dennoch, wenn auf diese Textbücher angewandt. Die
Musik lehrt schauen, indem sie selbst schaut; durch ihr
Vorbild, nicht durch Worte. Die Worte aber, die Namen
der Leitmotive, gehören in das Reich der Maja, sie
verdichten den Schleier, den die Musik lüftet. Überdies:
dieser Fall ist, nach meiner Kenntnis, gar nicht häufig.
Von den Göttern allen ist außer Loge nur noch Freia
persönlich und überpersönlich zugleich oder abwechselnd,
also zu beidem fähig, sowohl Gestalt als auch Wesen zu sein.

So viel ist sicher: wer immer die Motive „verfolgt",
der folgt der Musik nicht, in der er sie aufspürt: wozu
ihn jene Textbücher eben anleiten. Und auch in solcher
Tätigkeit selbst befriedigt sich schon ein Bedürfnis so,
daß wir in Gefahr kommen, etwas erfüllt, ein Ziel
erreicht zu wähnen, wenn sie uns gut gerät. Bei vielen
Zuhörern ähnelt das Erkennen der Motive (das mehr
nur ein Benennen ist), sowie das Wiedererkennen der
verwandelten, einem sportsmäßigen Identifizieren.
Sport ist ein Stehenbleiben bei der Tätigkeit, das Sich-
abwenden von dem Sinn das Tuns.
Gewiß ist nun freilich auch, daß wir die Motive
erkennen müssen, wenn die Beziehungen für uns zum
Erlebnis werden sollen. Aber das bewußte Suchen
und Finden muß dann schon überwunden sein; solang
wir noch jagen, mit einer gewissermaßen polizeilich
gerichteten geistigen Gebärde Haschen und fangen, um
dann einzustellen und in Rubriken zu ordnen: so lange
sind wir dem naiven, unberatenen Zuhörer unterlegen,
sind zwar auf dem Weg zu größerer Höhe, aber zurzeit
noch in einer Talsenkung zwischen ihr und dem kleinen
Hügel, auf dem dieser steht.
Nachdem ich jüngst von dem musikalisch formalen Wert
der wiederkehrenden Motive gehandelt habe, in welchem
ich freilich das Wichtigste sehe, lasse man mich hier noch
von dem reden, was man das Poetische nennen mag,
und was manche das Ubermusikalische nennen möchten.
1. In dem rasselnden, krachenden und heulenden,
dem schwer arbeitenden irdischen Unwetter, dem Vor-
spiel der Walküre, hören wir, nach einiger Zeit, das
Motiv des Donner, das wir in dem überirdischen, leicht
funktionierenden, angenehmen und ungefährlichen „Ge-
witterzauber" gegen das Ende des Rheingold kennen
gelernt hatten. Da war es ein mächtiger Ruf und
Befehl; jetzt ists drohender Ernst; der schreckliche Gott
bedrängt und rüttelt die Erde; er selbst ist herabgefahren
und reitet nun auf dem Sturm. Dieses: „Er selbst"
erregt uns hier, und es entsteht nur durch unser Wissen
um jene Episode im Rheingold; sonst hörten wir das
Motiv nicht anders denn als eine gewaltige Fanfare.
„O süßeste Wonne! Seligstes Weib!" frohlockt
Siegmunds Glück; und das Motiv der Freia erkl ngt
im Orchester. Auch hier teilt sich ein Vorhang, öffnet
sich der Blick in die höhere Welt. Bisher vernahmen
wir das Sehnsuchtsmotiv, nahmen teil an der Geschwister
persönlichem Geschick. Jetzt aber ist Persönliches auf
Augenblicke vergessen; die Göttin ist nahe, die Liebe
erscheint als kosmische Tatsache, die Geschwister, ihr
als einer Weltmacht pflichtig und zu Dienst, sind Typen
geworden, zu mythischen Gestalten geweiht.
2. Loge erzählt im Rheingold: „der Nibelung, Nacht-
alberich, buhlte vergebens um der Badenden Gunst".
Das Orchester spielt die Weise, mit der nach dem Vor-
spiel zuerst die menschliche Stimme eingesetzt hatte.
Schon lang verklungen, und in ihrer heiteren Sorg-
losigkeit schon lang nicht mehr möglich, mutet sie hier,
wiederaufgenommen, wie eine Legende an: die unver-
änderliche, nicht mehr verletzbare Vergangenheit wird
in ihr laut.
Ganz ähnliches begegnet uns, wenn Siegmund
schließt: „Wund und waffenlos stand ich; sterben sah

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