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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Bab, Julius: August Bürger, 2
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Halm, August Otto: Humor und Musik
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0125

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Humor und Musik.

rang, ist Bürger nie geglückt: so mit der Fügung ein-
fachster Worte, in der Führung eines erschütternd
fallenden Klanges in die letzte Tiefe eines ganz un-
begreiflichen Gefühls reichend.
Dafür aber — und das mag mit der immerhin
größeren Stabilität seiner Art Zusammenhängen —
genoß Bürger der epischen Gabe, die dem Schlesier
fast ganz versagt war, der fabulierenden Kraft, die
packende Schicksale erbaut, um in den Worten und
Taten der erdachten Menschen das eigene Gefühl zu
befreien. Auf diesem üppigen Umwege der Phantasie
schuf Bürger sein Meisterwerk, die epische „Leonore".
Hier reichte Bürgers irdisch starke Natur hin, um aus
den Resten alter Volkskultur ein neues höheres, geistig
gehaltenes und doch ganz und gar fühlbares, ein edles
Volks-Kunstwerk zu erschaffen. So wurde die Leonore
(mit den andern Bürgerschen Balladen, die einzeln
jener nicht ebenbürtig doch im Gesamtgewicht mächtig
mitwogen) Ausgang einer großen Tradition. Die
ganze lyrisch-epische Poesie deutscher Sprache, auch
die Schillersche und selbst die Goethesche nicht ganz
ausgenommen, vor allem aber die romantische Dichtung
bis zur Ballade Heines und Hebbels, steht tief in ihrer
Schuld. Und diese Balladenpoesie ist noch heute der
lebendig wirksame Teil der Bürgerschen Dichtung.
Damit soll aber nicht gesagt sein, daß das lyrische
Werk des Molly-Sängers für uns einfach tot und abgetan
sei. Sind diese Gedichte nicht Lyrik höchsten Ranges,
Lieder, die von ihrem Ursprung gelöst in höchster Frei-
heit jeden zu jeder Stunde wie eigenstes Leben er-
schüttern können — als menschliche Dokumente
bleiben sie von großer Kraft, von reichem Wert. Die
deutsche Literaturgeschichte braucht nur vom Dichter
der „Leonore" zu wissen, aber die Menschengeschichte
soll alle diese Dokumente hüten, in denen mit größter
rednerischer Inbrunst sich eine Seele ausspricht. Eine
Seele, die vom Schicksal um ihre Siegesstunde wahr-
haft furchtbar betrogen ward, die uns aber verehrungs-
würdig bleibt, weil sie Kraft und Adel genug hatte,
diesen Betrug schwer bis zur Selbstvernichtung zu
empfinden. Diese Verse gelten als die letzten, die
Bürger geschrieben:
Ja, o ja, ich bin betrogen,
wie nur je ein Erdenmann.
Dennoch sei sich der gewogen,
welcher so wie ich betrogen
und verraten werden kann!
Julius Bab.

umor und Musik.
Man spricht häufig von Humor in der Musik, als
ob das weiter gar keine problematische Sache
wäre. Nun hängt aber die Möglichkeit des Humors von
der Möglichkeit ab, uneigentlich zu wirken, Verstecken zu
spielen, sich zu verkleiden, zu lügen: und zwar so, daß
der Zuhörer es merken kann und mit der Absicht, daß
er es merke. Mag Schopenhauers bekannte Definition
des Humors treffend und genügend sein oder nicht: das
wenigstens trifft zu, daß der Humor aus der Kompliziert-

heit einer geistigen Situation erwächst, aus einer Dis-
krepanz des Redens oder Handelns mit der seelischen
Stimmung des Redenden oder Handelnden, wobei der
Zuhörer oder der Zeuge hinter das Gesagte und Getane
sehen und die verhüllte Stimmung fühlen und empfangen
soll. Kann also Musik humoristisch sein?
Weisen wir zuvörderst einen offenkundigen Miß-
brauch des Wortes Humor mit ein paar Worten ab. Es
ist unberechtigt, von Humor zu reden, wo man mit
Witz, oder Spaß, einen musikalischen Vorgang treffend
bezeichnen kann. Diesen Fehler aber begeht man nicht
selten. Ich kann es nicht humoristisch finden, wenn mir
ein Komponist einen jähen Paukenschlag versetzt; es ist
vielmehr ein Fastnachtsscherz, den ich, je nachdem, mir
gefallen lassen oder als grob empfinden werde; über-
haupt gehören erschreckende Überraschungen in das
Gebiet der Späße, und zudem meistens der unfeinen
Späße. Nicht als humoristisch, sondern als grotesk spaß-
haft empfinden wir es, wenn in dem Finale der Orford-
Symphonie von Haydn das Horn seinen Murky-Baß
tutet, dagegen kann es uns als hübsche Art der Komik
erheitern; im Till Eulenspiegel von Richard Strauß
entdecke ich lustige Kapriolen, grimmige Grotesken, aber
kaum etwas von Humor: außer etwa in dem ruhigen,
liebenswürdigen ^-Vur-Thema. Vielleicht ist Liebens-
würdigkeit von Humor unzertrennlich; und den leichten
Schimmer von Humor verdankt der Anfang des Finales
der V-Vur-Sonate für Klavier ox>. 10 von Beethoven
wohl eben seinem nicht unliebenswürdigen Wesen. Das
kurze Thema, nicht jäh und schroff, sondern geschmei-
dig, flüchtig und bescheiden auftretend, den Fortgang
sich zuerst versagend, als ob es erst „sicherte": es
wäre dennoch besser mit neckisch als mit humoristisch
charakterisiert. Seien auch wir bescheiden, und sichern
wir erst!
Besser steht es aber doch wohl um den Humor bei
einem durchgeführten Spiel des Autors mit dem Zu-
hörer? Denken wir an das Finale des großen L-Vur-
Trios ox>. 97 von Beethoven. Die Trivialität, die sich
in ihm breit macht und förmlich produziert: wirkt sie
nicht als burschikoser Übermut? Ist es hier nicht deut-
lich, daß der ernste und tiefe Tondichter sich ein fremdes
Gewand umgeworfen und überdies eine Maske vor-
genommen hat, die sein Antlitz verbirgt und nur
einem dünnen Strahl Raum gibt, der, und freilich nicht
gerade kräftig, uns manchmal von einem leuchtenden
Auge Kunde gibt? Und wenn es so ist: haben wir dann
nicht hier von Humor zu reden, oder sind nicht wenigstens
seine Daseinsbedingungen erfüllt?
Ich stelle die Gegenfrage: woher wissen wir, daß
Beethoven sich hier maskiert? Sagt uns das diese Musik
selbst, oder wissen wir es nur eben, weil wir den anderen,
den wirklichen Beethoven kennen, daß es ihm hier
nicht ernst sein kann? nicht ernst sein darf? Ich fürchte,
man wird das letztere bejahen müssen, und dann steht
es schlecht um dieses Finale; jawohl, sehr schlecht. Denn
man muß von jeder Komposition verlangen, daß sie
für sich wirkt, ohne daß der Zuhörer musikgeschichtliche
Kenntnisse zu Hilfe nimmt, auch ohne daß er den sonstigen
Habitus ihres Autors kennt, ja ohne daß er weiß, wer
ihr Autor ist. Überhaupt wäre es besser mit der Kunst
HZ
 
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