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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Halm, August Otto: Humor und Musik
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0126

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Humor und Musik.
bestellt, wenn die Autornamen unbekannt bleiben
könnten. Ein Philosoph kann und muß oft verlangen,
daß man sein System kenne, damit man eine einzelne
Abhandlung, einen einzelnen Satz, ja auch einen ein-
zelnen Ausdruck verstehe. Ein Kunstwerk steht aber für
sich, und es ist ein um so besseres Kunstwerk, je mehr
es auf die Erinnerung seines Zeugen, des Zuhörers
oder Betrachters, an andere Kunstwerke verzichten darf.
Das ist seine auszeichnende Pflicht, daß es sich selbst
genug sei, und wer darin den hohen Vorzug der Kunst
erkennt, der wird sich nicht an das gesamte Lebenswerk
eines Autors verweisen lassen. Von dem „Lebens-
werk" pflegt man da am meisten zu sprechen, wo die
einzelnen Werke des vollen Lebens ermangeln. Gewiß,
die Kenntnis anderer Werke kann den Eindruck eines
einzelnen Werkes heben und verstärken: aber sie soll
nur der Schwachheit des Empfangenden, nicht der
Schwachheit des Kunstwerkes aufhelfen. Für die letztere
gibt es keine Hilfe! Und wo wir gar einen tiefen, künst-
lerisch sittlichen Widerspruch zwischen den einzelnen
Werken eines und desselben Autors feststellen müssen:
da weigern wir uns durchaus, eine Anleihe als möglich
gelten zu lassen, einen tüssaurus meritorum anzu-
erkennen, aus dessen Vorrat Mängel gedeckt, durch den
Sünden bedeckt und getilgt werden. Ein solcher nicht
ehrlicher Versuch scheint es mir nun zu sein, wenn man
Trivialität humoristisch nimmt, weil man sie eben einem
Komponisten nicht zutrauen will und sie ihm zuzuerkennen
sich nicht getraut, von dem man sonst schon ernste und
erhabene Dinge vernommen hat; und der Komponist
selbst müßte, wenn er mit solcher Bereitwilligkeit des
Zuhörers rechnete, des Mangels an Reellität, ja der
Berechnung oder der Leichtfertigkeit, und zudem des
demoralisierenden Einflusses auf den Zuhörer geziehen
werden.
Wenn ein Edler Unedles tut, so ist das eben schlimmer,
als wenn ein Schlechter schlecht handelt. Viele werden
mir, was das erwähnte Finale anbelangt, nicht recht
geben, und etwa Folgendes entgegenhalten: Sie sprachen
von besseren, geistigeren oder lichtvolleren Stellen in
dieser Musik; solche können doch über die andern, die
von geringerem Charakter und plumperer Erscheinung
sind, Aufschluß geben und uns ins klare darüber setzen,
wo das Sein und wo der Schein ist. Und in höherem
Maß darf sich das ganze Finale auf die vorhergehenden
Sätze berufen und beziehen; es ist einmal keine einzelne
Komposition und hat das Recht, im Zusammenhang
gewürdigt zu werden. Dieser zeigt doch wohl so ernste
Qualitäten auf, daß die Leichtigkeit des Finales nicht
als Leichtfertigkeit aufgefaßt werden kann. Es ist eben
die Kompliziertheit, die zum Humor gehört, auseinander-
gelegt; der Ernst des ersten Allegros und des Adagios
wird nicht so rasch vergessen, daß er nicht auch noch
beim Finale nachwirken sollte, und so ergibt das Nach-
einander im Gedächtnis ein Zusammen; auf dem Papier
nur ist das Komplizierte auseinandtrgelegt, in der
lebendigen Wirkung erfahren wir die Synthese; das
Finale darf also nicht für sich beurteilt werden; es ist
für sich unverständlich oder notwendig mißzuverstehen,
aber diese Art von Gedächtnis innerhalb einer und der-
selben Komposition zu beanspruchen ist dem Autor

doch gewiß erlaubt; nein, viel mehr noch: verbindet er
die einzelnen Teile zu einem Ganzen, indem er jedem
folgenden Teil den das Vorhergehende notwendig er-
gänzenden Charakter verleiht, und zuletzt einen Gesamt-
charakter erreicht, so beweist er die Fähigkeit der großen
Konzeption, deren Sinn ihm in der Arbeit an den ein-
zelnen Sätzen nicht verloren geht, er komponiert dann
wirklich ein mehrsätziges Werk, er reiht nicht nur Musik-
stücke aneinander: und gerade in dieser großzügigen
Art der Komposition ist Beethoven ein großer Meister,
der größte Meister der klassischen Zeit. Hier nun, in
dem L-Vrw-Trio, ist es noch besonders zu schätzen, wie
die Charaktere verteilt, die Gegensätze vorbereitet und
dann verstärkt werden. Auf den ersten, feierlich heiteren
Satz folgt das muntere Scherzo, das Heimliche der
innigeren Momente des ersten Satzes ist in dessen Trio
ins Geheimnisvolle gesammelt, das Gefühlvolle aber,
das hier ausgelöscht oder sistiert ist, steigert sich zu der
schweren Elegie des Themas des langsamen Satzes,
dessen Variationen, den Ernst bewahrend, nur scheinbar
ins Spielerische gehend, den Klang zu genießen einladend,
die Schwere lösen; und nach ihnen hebt das schwung-
volle, sorglose, ausgelassen lustige Finale an, dessen
Unbekümmertheit sich freilich bis an die Grenze des
Unverfrorenen wagt.
Ja, „wenn mans so hört, möchts leidlich scheinen."
Ließe sich nur auch das Werk so hören: es wäre dann
nicht nur leidlich, sondern sogar gut. In Wirklichkeit
ist es teils gut, teils mäßig gut, teils unleidlich. So froh
wir sind, wenn wir fröhlicher und auch lustiger Musik
begegnen: wir lehnen ab, wenn Banalitäten uns zur
Lust einladen wollen, wir glauben da nicht an Lust;
und wenn der Übermut uns mitreißen soll, so muß er
alles Rohe und Plumpe peinlich vermeiden! Und wenn
wir in dem letzten Satz etwa ein Remedium gegen
das Schwermütige des vorhergehenden sehen sollen,
so sagen wir: ein Gegengift ist Gift, und wo es
nötig ist, da war schon vorher Giftiges; also hier etwa
Schwäche und Sentimentalität. Es handelt sich hier
nicht um psychologische Unterschiede, sondern um Gut
und Böse.
Und das sind nun wirklich ein für allemal Gegensätze,
die sich nicht „ergänzen". Ein Stück, in dem Gutes und
Ungutes enthalten ist, ist eben unverläßlich; Ungleich-
wertigkeit kann nicht humoristisch gedeutet werden.
Allen Ernstes: da hört der Humor auf. Wo alles gut
sein sollte, da entschädigt uns das Gute für das weniger
Gute keineswegs. Dieses Stück bietet uns mitunter
eine Art von Musik, die ich einfach taktlos nenne; und
ich weiß wohl, daß die Besitzer unsicherer und ängstlicher
Gemüter es lieben, das ins Humoristische zu deuten, was
sie abwehren sollten, zu lächeln, wo sie sich im Namen der
verletzten oder doch gefährdeten guten Sitte verwahren
müßten. Diese letztere finde ich in gewissen Stellen
dieses Finales wirklich verletzt, und erhebe also Ein-
spruch und Klage gegen solche Musik. Sodann gebe ich
die Frage zu erwägen, ob die feineren Stellen ihre
Qualität an sich oder mehr nur durch den Gegensatz
zum Gröberen ihrer Umgebung haben.
Es wird deutlich sein, daß wir im Obigen durchaus
noch nicht das Prinzip abwiesen, die Erinnerung des
 
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