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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Benn, J.: Vom Unterhaltungsroman
DOI Artikel:
Schmitt, Carl: Die Philosophie und ihre Resultate
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0044

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Vom Unterhaltungsroman.

den Inhalt angeht, so ist auch hier das Interesse von
einer unerbittlich folgerichtig durch- und zu Ende ge-
führten Haupthandlung auf die Darstellung eines
Milieus abgelenkt: Das Buch spielt auf einem großen
Ozeandampfer und kulminiert für das Gedächtnis
zweifellos in einem großartig geschilderten Schiffs-
untergang; ein zweiter Teil ist nach Amerika verlegt,
doch ist der so fragmentarisch und flatterig, daß er neben
dem ersten kaum in Betracht kommt. Diese Schilde-
rung brauchte ein Handlungsrückgrat, und der Dichter
wählte dafür das Thema des Mannes zwischen zwei
Frauen; aber der Mann ist mit so flüchtigen Strichen
aus einem Dichter zum Wissenschaftler umgeschminkt,
daß man hinter seiner Maske unaufhörlich sein wahres
Gesicht auftauchen sieht, von den Frauen tritt dem
Milieu entsprechend, in dem sie auftaucht, nur diejenige
deutlich hervor, die auf dem Schiffe ist, während die
Halt- und Haltungsvollere in Amerika wie der zweite
Buchteil überhaupt nebelhaft unklar bleibt.
Niemand wird abstreiten können, daß dies das typische
Schema eines Unterhaltungsromans ist, aber typisch ist
auch noch die Art, wie der Dichter nun versucht hat,
der Darstellung, der es von innen her an Bedeutung
und Fülle fehlt, von außen her aufzuhelfen, untypisch
erst die Größe, die er dabei zeigt. Das erste Mittel,
das er benutzt, ist, alle Einzelereignisse symbolisch zu
vertiefen: Dabei wird das Schiff gleichsam das Lebens-
schiff der Menschheit, der Ozean das Meer des Lebens;
was die Menschen mit irrsinniger Schnelligkeit über das
Meer treibt, ist eine sinnlose Jagd nach Luxus und
Nervenkitzel, deren Wesen in der einen der beiden Frauen,
der Tänzerin Mara, Gestalt bekommt; der Kreis dieser
Symbole wird noch erweitert durch einen zweiten, der
in der Form des Traumes in die Handlung einbezogen
wird. Das zweite Mittel ist, was dem Dichter ja nicht
schwer fallen konnte, in der Person des Helden wirklich
eine nach Worten und Gefühlserlebnissen bedeutende
Gestalt zu zeichnen. Auf diese Weise hat Gerhart Haupt-
mann dem Buche doch Großartiges mitgegeben; in der
Darstellung menschlicher Seelenstürme wie in der Aus-
malung mehr oder weniger rein visueller Dinge wie
etwa des Schiffsunterganges, in der organischen Geburt
einer phantastischen Neuwelt — die Erfindung der Licht-
bauern — wie in der abenteuerlich-bunten Verschlingung
zahlreicher Schicksale ist ihm stellenweise Außerordent-
liches gelungen. Aber ein Kunstwerk ist aus dem Buch
doch nicht mehr geworden: Offenbar nicht so sehr aus der
Absicht einer ernsten Auseinandersetzung mit der Welt als
aus der anderen entstanden, auch einmal leichtherzig zu
schaffen unter Benutzung früher verwendeter Motive, ist er
geblieben, als was er konzipiert wurde, der Unterhaltungs-
roman eines bedeutenden Menschen. I. Benn.
ie Philosophie und ihre Resultate.
Ist Banalität ein Einwand? Alles, was philo-
sophische Erkenntnis als letztes Resultat ge-
funden hat, läßt sich in einem simplen Satz aussprechen,
den nichts davor schützt, banal zu werden. Darüber ent-
scheidet der große Haufen, das Publikum im schlimmsten

Sinne des Wortes, dieser kompetente Gerichtshof für
alle die Banalität betreffenden Fragen. Doch wird
auch mancher ernste und vornehme Mensch eines Tages
mit Bestürzung wahrnehmen, wie ein imponierender
Aufwand von Scharfsinn und Tiefe des Geistes als in-
haltliches Ergebnis ein armseliges Mäuslein gebiert,
das für sich betrachtet nichts Imposantes mehr hat.
Dieses Erlebnis wird auf die verschiedenen Menschen
verschieden wirken. Einer wird sagen, ihm komme es
nicht auf die Philosophie, sondern auf das Philosophieren
an, nicht auf Resultate, sondern auf die Methode. Ein
anderer schüttelt in trauriger Verzweiflung den Kopf.
Der praktische Mann aber wird erstaunt fragen: Also
davon kann man leben? Dafür wirft der Staat sein
Geld fort? Davor hat man den Heidenrespekt? Darum
streiten sich erwachsene Männer mit gesunden Gliedern?
Diesen Mann könnte man nicht einmal widerlegen.
Es kommt eben alles darauf an, was einer von der
Philosophie verlangt. Wer sich ergriffen bewußt wird,
wie rätselhaft seine Existenz ist, wer staunt und davon
ausgehend ein Resultat erwartet, das nach seinem In-
halte oder als kunstvolle Formel seinem Staunen ent-
spricht, fordert von der Philosophie eine Wirkung, die
sie nicht im Sinn haben kann. Er wird, wenn sein Ver-
ständnis so weit reicht, die Geistesgröße des Philosophen
bewundern, seine vernichtende Klarheit und seinen
Ernst, aber trotzdem hat der Philosoph das alles nicht
aufgeboten, um bestaunt und bewundert zu werden.
Die Philosophie will nicht Eindruck machen. Daß ich
über das Leben staune, kann mich anregen zu philo-
sophieren, kann meinen Eifer wach erhalten, aber sobald
ich philosophiere, bewege ich mich in Gleisen, die mir
eine bestimmte Richtung angeben, ich unterwerfe mich
Regeln und Bewertungen, bleibe aber immer gezwungen
sie meinem Suchen zugrunde zu legen, selbst wenn es
diesen Regeln und Bewertungen gilt. Alle Wissenschaft
treibt in „erhabenem Kreisen" immer wieder zu ihren
Voraussetzungen zurück.
Der Satz Platos von der Selbstgarantie der Wahr-
heit ist einleuchtend bis zur Trivialität. Nach diesem
Satze darf nämlich niemand behaupten, es gäbe keine
Wahrheit; denn jeder, der das tut, will selbst etwas
Wahres sagen, wenn er überhaupt ernst genommen sein
will. Diesem Satze geht es wahrscheinlich wie vielen
seiner Leidensgefährten; er soll von Plato, dem gött-
lichen, stammen, und jeder sieht ihn sofort ein. Das
läßt sich niemand gefallen, dem ist nicht zu trauen, der-
artigen Selbstverständlichkeiten gegenüber packt einen
das Mißtrauen, das dem Schuljungen die allzu leichte
Aufgabe unlösbar macht. Vielleicht kommt es einem
als bloße Sophisterei vor; vielleicht wittert man mit
Unbehagen ein moralisches Postulat. Doch trotz alledem
bleibt der Satz richtig. Jemand beweist, daß man nichts
beweisen kann; in demselben Augenblick, da er das be-
wiesen hat, hat er bewiesen, daß man wohl etwas be-
weisen kann. Er will seinen Gegner treffen, aber er
trifft sich selbst mit jedem Schlage, der den Gegner
richtig trifft. Ihm ist das vielleicht auch recht; ihm
schwebt vielleicht als ideales Ende des Kampfes vor,
daß die beiden Löwen sich gegenseitig auffressen. In
Wahrheit aber ergibt sich etwas sehr Positives: man
 
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