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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Benn, Joachim: Parallelismus in der Epik
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Hesse, Hermann: Abschied von der Jugend
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0212

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Parallelismus in der Epik.
sie tut, als wenn der Mönch immer znrückkäme — bis
der unglückliche Träger auch noch einen Vierten ins
Wasser wirft.
In der klassischen Periode der neueren deutschen
Dichtung findet sich der Parallelismus zweimal bei
Goethe: In der zum Noman ausgewachsenen Novelle
der „Wahlverwandtschaften" steht im Mittelpunkt ein
Ehepaar, von dem der eine wie der andere Teil einen
dritten lieb gewinnt, so daß sich zwei neue Paare bilden.
Insofern die Fremden, denen diese Liebe zuteil wird,
nach ihrer äußeren Lage beide minder glücklich dastehen,
als das Ehepaar selbst, liegt damit ein leichter Anklang
an all die klassischen französischen Dramen, wo nach
dem Muster des Parallelismus im Don Quichote
neben jedem Herrn und jeder Frau ein dienstbarer
Geist steht, der den Dienstgeber nachahmt. Allein
indem sich die Liebesfäden hier kreuzweis spinnen,
indem der Geliebte jedesmal der Freund des anderen
ist, liegt doch eine neue Art des Parallelismus vor:
Der Parallelismus dient hier nicht mehr nur dazu,
ein Motiv zu verstärken, sondern er ist gleichsam zugleich
sachliches Problem geworden, und das gilt auch von
der Novelle Goethes, die auf dem Parallelismus auf-
gebaut ist, „St. Joseph II." Der Reiz dieser Novelle,
die äußerlich die Form der Reise- oder Erlebnis-
novelle hat, besteht bekanntlich nur darin, daß langsam
die Ähnlichkeit einer Familie nut der heiligen Familie
aufgedeckt wird: Zuerst entdecken die Reisenden die
äußere Ähnlichkeit nach Zahl, Alter, Geschlecht der
Mitglieder, nach der Art, wie sie sich fortbewegen — die
Frau sitzt auf einem Esel —, nach Art ihrer Behausung
und Beschäftigung. Schließlich wird aus einem wunder-
schönen Bericht klar, daß wie in der heiligen Familie
auch hier der Vater ein Kind betreuen muß, das eigent-
lich nicht sein eigenes ist. Die Parallele dient also auch
hier nicht der Verstärkung eines Motivs, sondern ist
selber Problem, und die Urhandlung, zu der der Inhalt
die Parallele bildet, ist sogar garnicht direkt in die
Handlung einbezogen, sondern gilt als bekannt. — In
der nachklassischen Dichtung stößt man auf den Parallelis-
mus dann überall, wo wir allmählich glauben, wirklich
große Epik zu besitzen, bei Keller und Stifter. Auch
bei Keller ist es ein umfänglicher Roman, der stark mit
dem Parallelismus arbeitet, der „Martin Salander":
Zweimal läßt sich Martin Salander von seinem Schul-
freunde um sein Vermögen bringen, der Inhalt des
Romans ist dann wie ihm das fast zum drittenmal
widerfährt. Zwei Töchter hat Salander und verliert
sie an zwei Schwiegersöhne, die an ganz parallelen
Liebhabereien hängend ganz parallel zu Schaden
kommen, so daß die beiden Mädchen in strenger Parallele
zu den Eltern zurückmüssen. Wie für den ersten Salander
und seine Schicksale der leichtsinnige Freund mit seinen
Schicksalen ist dabei für die irregeführten Schwestern
umgekehrt der ernste Sohn die Gegenparallele, von der
auch sonst noch im Roman Gebrauch gemacht ist.
Wunderhübsch ist in den „drei gerechten Kammachern",
wie sich bei dem Meister ein Selbstgerechter nach den:
andern als Geselle einfindet, bis sie, nut der Frau,
ihrer vier sind. Als ein besonderer Fall des Parallelis-
mus erweist sich hier noch die Aufzählung all der Dinge,

die die Frau in ihrer kleinen Schatzkammer bewahrt;
denn die Freude an der langen Kette von Dingen, die
immer wieder denselben Charakter verraten, ist durchaus
die Freude am Parallelismus: Auszählung ist gehäufter
Parallelismus. Bei Stifter schließlich spukt der Par-
allelismus in allen Altersnovellen, die als „Erzählungen"
auf die „bunten Steine" folgten. Er geht hier so weit,
daß ein Jüngling und ein Mädchen als die handelnden
Personen in den verwandten Situationen wieder und
wieder wörtlich dasselbe sagen, wie es wohl auch im
alten Märchen ist; nur daß Stifter ein Mensch war,
dem die sinnlichen Quellen unverhältnismäßig früh
eintrockneten, so daß diese Stilisierung einigermaßen
trocken wirkt. Allein wenn die neuste deutsche Dichtung,
soweit sie Erzählung ist, von dem Kompositionsmittel des
Parallelismus fast nichts weiß, beweist das doch nur,
daß sie das psychische Material, das ihr für ihre Arbeit
zur Verfügung steht, noch nicht beherrscht. Denn wo er,
wie in manchen der neuen Novellen Jakob Schaffners
aus der „goldnen Fratze", auftaucht, zeigen sich Möglich-
keiten, modernes Seelenleben wirklich künstlerisch zu
fassen, die Erstaunliches vermuten lassen. I. Benn.

bschied von der Jugend.
Von Hermann Hesse.
Nimm, schöne Lulu! Ein Kranz von lauter Rosen!
Am Ende einer Abschiedsfahrt habe ich die losen zusammen-
gebunden und will sie alle verschenken.
Diese dunkle mit dem gesenkten schweren Purpur-
haupt ist inr Garten meines Vaters gewachsen. Der
Strauch ist so alt wie ich und kennt mich alle die Jahre
her. Wenn du diese Rose ansiehst, dann denke an meine
Heimat, wo die schwarzen Berge in den hellblauen
Himmel stechen und von wo in Herbstnächten der Traum
von meiner Kindheit und Knabenzeit zu mir herüber
kommt. In meiner Knabenzeit war jeder Tag hell
wie die Krone des Lebens, und jede Stunde glänzte
wie ein Kronjuwel. Denke dabei auch an jene in die
Erde vergrabenen ersten Gedichte, von denen ich dir
erzählte, und an die Abende, da mich die erste süße
Jugendtraurigkeit im Garten überschlich und zum
erstenmal meine Träume voll von Mädchenbildern
waren. Ich wollte diese Rose aufbewahren und heilig
halten als ein Andenken an hundert liebe verschollene
Dinge; aber es ist besser, daß sie in deinen Haaren ver-
welke.
Und die Helle da, die flatternde mit dem licht be-
blätterten Zweig, ist von der Rosenhecke inB... Ich
pflückte sie von: Wagen aus, im Abreisen, und hinter
nur sank Garten, Park und Kornblumenfeld langsam
hinab. Auf der Straße kam der Zeller Hirt an mir
vorbei, der Duft der Felder durchdrang die warme Luft,
der Staufen streckte zur Rechten seine schöne Kuppe
empor, und alles war wie ehemals, da in diesem selben
grünen Frühlingstal Elise nur begegnete, da ich jeden
Morgen Rosen pflückte, die ich ihr schenken wollte und die
ich schüchtern und traurig in meinem Zimmer verwelken
ließ. Es ist eine von diesen Rosen, und wenn du sie an-


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