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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Halm, August Otto: Humor und Musik
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Schäfer, Wilhelm: Karl Stauffers Lebensgang
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0129

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Daß Leichtigkeit und Anmut diesen: Anstand des
Vorher, der steten Fluchtbereitscbaft vor der Erfüllung
am besten anstehen, ist ohne weiteres verständlich. Sie
erwecken aber überdies eine Art von Wehmut, die zum
Humor gehört und vielleicht Humor ist. Das mag nun
wohl an unserer eigenen Schwere liegen, deren wir uns
noch schmerzlicber bewußt werden, wo wir das von
Schwere Befreite vor uns sehen, so wie die Götter im
Palast des Uranus beim Tanz der Amaschpands von
Scham und Trauer befallen werden.
Dann freilich läge wiederum der Humor, d. h. das,
was Humor empfindet, was ins Humoristische deutet,
wahrscheinlich gar nicbt in dem das Künstlerische genießen-
den Organ, in dem künstlerisch empfangenden Teil
unseres Geistes; und noch weniger, als in unserem eigent-
lichen Musiksinn der Eindruck von Humor zustande käme,
wäre der Humor der Musik selbst eigen — so wenig eben,
als jene Amaschpands Trauer empfanden und es auch
nur verstehen konnten, wie einer traurig sein mag, dem
ihr Anblick lacht. Der Eindruck von Humor wäre dann
das falsch gedeutete, in das Wirkende projizierte eigene
Leibes- und Seelengefübl; alles Spiel der Anmut wäre
einfach, natürlich, unschuldig und durchaus ernst: unser
aber wäre die Mischung von Beschämung, Sehnsucht,
edelgeartetem, rührendem Neid und von Verzicht.
Und wenn es sich so verhielte: begriffen wir es dann
nicht besser, daß wir Völker des trüberen Klimas, daß
wir Menschen der unfreieren, beladenen Seele, des
dickeren, bösen Blutes so viel mehr Humor haben als
die unschuldigen Naturkinder in ihrem unbewußten
Lebensgenuß?
Also Humor in der Musik zu spüren, bewiese ein
Mißverhältnis des Auhörers zu dem Gehörten? Oder
vielmehr die Musik, die humoristisch wirkt, ließe uns ein
Mißverhältnis zwischen unserem Wollen und Sein
ahnen und fühlen?
Warum auch nicht! Sehen wir endlich doch überbaupt
einer grundsätzlichen Frage ins Auge, die nahe genug
liegt. Die Musik hat ihre eigenen Lebensgesetze, die
der Komponist zu entdecken und zu erfüllen sucht. Wie
sie aber auf unser Gemüt wirkt, welche Gefühle sie
erregt: das unterliegt psychologischen Gesetzen, die
überdies individuell nuanciert sind. Stimmen die
Nuancen unter den empfangenden Individuen schon
nicht überein: wie sollten wir annehmen dürfen, daß
das psychologische in einer Art von prästabilierter Har-
monie mit den: musikalischen Geschehen verlaufe? Daß
wir den Komponisten verstehen? Daß wir vollends
mit ihm zusammen die Musik verstehen? Denn wahr-
haftig, es kann auch sein, daß der Komponist die Musik,
„seine" Musik, nach seinem Bedürfnis, aber ihrem
eigenen Bild entgegen, deutet, daß er sie mißversteht!
Und somit befänden wir uns der Musik gegenüber in
einem ähnlichen Verhältnis, wie jener Wanderer des
Dichters, der in den dunklen Stimmen der nächtlichen
Natur seine Sucht und sein Weh erklingen hört. Ich
meine jenes Gedicht, in den: der Dichter über sich selbst
hinaussieht, der deutungsunersättliche Dichter Lenau,
der dieses sein Gedicht — und mit ihm wie viele seiner
Gedichte! — mit dem Wort: „Täuschung" überschreibt.
A. Halm.

arl Stauffers Lebensgang.'
Als ich mein Staufferbuch eine „Chronik der
Leidenschaft" nannte, war ich nicht besorgt,
hierin mißverstanden zu werden; ich dachte dadurch
seine epische Wesensart schärfer zu bezeichnen, als
wenn ich es nur als Roman hinausgehen ließ. Der Erfolg
ist nun freilich der gewesen, daß mein Buch vielfach
nicht als Roman, also als Kunstwerk, sondern als ein
biographischer Versuch ausgenommen wurde. Dieses
gründliche Mißverständnis hat zu merkwürdigen Vor-
würfen — so z. B. der mangelnden Quellenangabe —
geführt, sodaß ich die Gelegenheit eines Neudrucks
zu diesen: notgedrungenen Vorwort benutze.
Auf den ersten Blick scheint ein solches Buch, das
die Lebensgeschichte eines bekannten Mannes als Roman
erzählt, freilich ein Awitter: in seiner Voraussetzung
an wissenschaftliches Studium, in seiner Ausführung
an die Gesetze epischer Kunst gebunden. Das gilt aber
mehr oder weniger für jede Biographie, auch die so-
genannte wissenschaftliche; wenigstens ließe es sich
überall da als ideale Forderung aufstellen, wo die Dar-
stellung eines Lebensbildes als chronologische Erzählung
gegeben wird; und man mag dem Tadel recht geben,
daß die landläufige Biographie in der naiven Ver-
mengung von erzählten Lebensschicksalen und erklärtem
Werk eigentlich eine dilettantische Sache sei. Ihr eigen-
tümliches Verhängnis liegt darin, daß sie jedenfalls eine
schriftstellerische Leistung ist, mag es sich um die wissen-
schaftliche Feststellung einer Entwicklung oder um die
Kunst einer epischen Folge handeln. (Bei einen: gemalten
Bildnis z. B. kann der künstlerische Charakter nicht
zweifelhaft werden, weil da das Mittel der Darstellung
ein anderes ist.) Trotzdem wird niemand der wissen-
schaftlichen Feststellung eines Lebensbildes die Be-
rechtigung absprechen wollen, sofern sie eben den epischen
Dilettantismus vermeidet. Anders scheint es um das
Bildnis als erzählende Kunst zu stehen, und ich kann mir
eine gescheite Kritik denken, die es dem Epiker nicht ohne
weiteres gestatten möchte, ein wirkliches Lebensbild
zu verdichten. Freilich würde ihr mindestens ein großer
Teil der sogenannten Memoirenliteratur in: Wege sein.
Goethe hat sich zwar in seiner Selbstbiographie durch
den Untertitel „Dichtung und Wahrheit" klug gesichert;
aber als er das wilde Lebensbuch des Benvenuto Cellin:
übersetzte, geschah es sicher nicht allein um der Wissen-
schaft willen. Da schließlich hinter manchen berühmten
Romanen der Weltliteratur, hinter den: „Simpli-
zissimus" wie „Werthers Leiden", und, wenn man ihn
als Roman gelten lassen will, dem Michael Kohlhaas
deutlich das „wirkliche" Leben steht: sollte es da eine
größere Berechtigung im Gebiet der epischen Kunst
ausmachen können, ob etwas „Wirkliches" zur all-
gemeinen Bedeutung d. h. zum Sinnbild des Lebens
gesteigert oder ob dieses Sinnbild „frei erfunden"
wurde? Entscheidend für seine Geltung und seinen Rang
kann eben doch nur sein, ob es ein wirkliches Sinnbild
* Die nachstehenden Zeilen sollen als Vorwort in dem Neu-
druck meines Staufferbuches, also von der dritten Auflage ab,
erscheinen. Sie scheinen mir grundsätzlich genug zu einem Ab-
druck vcrher an dieser Stelle.


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