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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Benn, Joachim: Friedrich Huch.*
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Beder, Franz Karl: Faulers Traum
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0495

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so sehr plastisch hervor, und das Buch ist einer der großen
Versuche, wieder einmal den deutschen Menschen zu
schildern; wenn die Wirkung trotzdem der des „Mao"
nicht gleichkommt, liegt das daran, daß „For" nicht der
Gegentyp Pitlens, sondern nur einer der möglichen
Gegentypen ist. Der Gegentyp Pitts kann nicht der
böse Mensch an sich sein, und also liegt hier ein Fehler
vor; durch die Figur Forens wird das Buch mehr witzig
als tief, und gerade weil so außerordentliche Möglich-
keiten unerschöpft scheinen, weil man an den Ernst denkt,
mit dem Jean Paul solches Thema erfaßte, ist man
schließlich unbefriedigt.
Schon „Pitt und For" läuft, bei aller Bindung im
Ganzen, an manchen Stellen in eine recht bequeme An-
einanderreihung von Münchner Genrebildern aus, wenn
auch gerade die es sind, in denen der Humor des Dichters
am übermütigsten spielt: Friedrich Huchs letztes Buch
— von den drei grotesken Komödien abgesehen, die
Richard Wagnersche Dramen persiflieren und kaum mehr
als eine witzige Zwischenaktsmusik sind — der „musi-
kalische Roman" „Enzio", ist nicht viel mehr als ein
Zusammenbruch. Auch lebt hier wohl noch die alte
Fähigkeit, Gestalten bis zu einer erstaunlichen Lebens-
deutlichkeit herauszuarbeiten, auch hier sind mit einer
scheinbar spielenden Leichtigkeit immer neue Szenen
herangeschafft, aus denen sich in lückenloser Linie die
Geschichte einer geistigen Entwicklung ergibt, und der
Versuch zu kontrapunktischer Arbeit geht weiter als je;
denn fast jede Figur hat mehrere Gegenspieler, und ganzen
Gruppen treten andere Gruppen gegenüber. Allein
diese kompositorische Arbeit ist so wenig zum Abschluß
gekommen, daß der Leser immerwährend mitdichten
muß, um das Gefüge so vor sich zu haben, wie es der
Dichter gedacht haben mag; von der ersten merkwürdig
flauen Szene an bis zur letzten ist das Buch, das doppelt
so umfangreich ist wie alle anderen, ein seltsam aus-
einanderfließendes Gemenge, das um so sonderbarer
wirkt, als in den oft geistreichen Erörterungen über
musikalische Themen darin ausschließlich das Thema
der reinen Kunstform zur Diskussion steht. — Peinlich
wirkt auch, daß alle lebenstüchtigen Gestalten des Buches
nur Gegenspieler sind, während in dem schönen Enzio,
der bei aller Begabung an seiner Charakterlosigkeit
zugrunde geht, zu wenig Widerstände zu zerbrechen
sind, als daß er tragisch wirken könnte. Von diesem Buche
aus gesehen ist Friedrich Huchs Leben ein langsamer
Zusammenbruch: Er hat im „Peter Michel" zum ersten-
mal den im Willen Gebrochenen dargestellt, diesmal so
tief, daß er an das Schicksal des germanischen Menschen
rührte, hat sich in den „Geschwistern" und „Wandlungen"
in eine Welt von märchenhafter Abseitigkeit gerettet;
er hat im „Mao" das zeitgenössische Thema vom Schicksal
überfeinerter Jugend behandelt und damit ein gutes
Zeitbuch geschaffen, im „Pitt und For" noch einmal
die Vertiefung des Themas von der Dekadence ver-
sucht und wenigstens das Schicksal des deutschen
Menschen in etwas berührt; im „Enzio" hat er zum
zweitenmal ein rein zeitgenössisches Thema gewählt
und ist dabei fast auf den Unterhaltungsroman ge-
kommen. Man möchte fast sagen, Friedrich Huchs
Schicksal sei gewesen, daß während seines Lebens der
47 Z

Friedrich Huch,
moderne Dekadent in ihm langsam den deutschen Hans
überwältigte.
So bleibt nur noch ein Wort über Friedrich Huchs
Humor übrig: Es war das Hilfsmittel einer überaus
zarten Natur, sich der fremden Gewalten zu erwehren,
die ihm wesensfremd seine Ruhe bedrohten. Seine zen-
trale Gestalt hat er nur einmal komisch zu nehmen ver-
sucht, im „Peter Michel", später ausschließlich ihre Gegen-
figuren, nämlich Menschen, die entweder in ihrer all-
gemeinen Naivität oder in einer Art phantastischer
Eigenbrödelei den Nöten des Lebens entzogen waren;
er hat ihre Gebärden und ihre Art zu sprechen mit fast
mikroskopischer Treue aufgefangen und ist auch nicht
vor den Humoren des Wahnsinns zurückgeschreckt. Noch
eine Figur hat Friedrich Huch in seinem ersten Buche
komisch zu gestalten versucht, die er fpäter nur noch ernst
nehmen konnte, so oft sie auftaucht: die herbe Mutter,
womit ein recht deutliches Licht auf die Gründe heutiger
Problematik fällt. In Friedrich Huch ist unter den zeit-
lichen Bedingtheiten der deutsche Mensch noch einmal
zertrümmert, aber er wird unter den anstürmenden
internationalen Gewalten doch wieder einmal Herr
werden und dann könnte, wenn nicht künstlerisch, so
menschlich Friedrich Huch so etwas wie eine Auferstehung
erleben. Joachim Benn.

aulers Traum.
Von Franz Karl Becker.
Einst lag Tauler, tief in der Nacht, wühlte stumm
und hastig in seinen Gedanken und jagte nach dem
zerrinnenden Flimmer ihrer Lösung. Als er nun so
dalag, merkte er auf und hörte das Sausen eines selt-
samen Sturmes. Ausblickend sah er Gott vor sich,
Gott selbst, groß, gekrönt, in feierlicher Größe. Seine
Faust hob Gott und schlug auf die Stirn Taulers. Sodaß
er im Taumel der Betäubung aufschrie, Gott abwehrte
und das Gebein seines Hauptes hielt, daß es nicht zer-
spränge.
„Was grübelst du?" schrie die Stimme Gottes, „was
grübelst du, schuf ich dich darum?"
Dann verschwand er. Im Rieseln weißer Nebel
zerrann alles. Weit breitete sich vor Tauler und höhte
sich eine smaragdfarbene Halle, gewölbt von feinem
Licht. Ringsum knieten weiße Frauen, verschleiert,
regungslos, trugen dreiarmige Lichter und knieten im
Kreise. Plötzlich aber tat sich der Kreis auf und es
kamen tanzend und lobsingend siebenzehn Priester,
rauschend im Goldbrokat, die tanzten um das Bild einer
gekrönten Frau, einer Göttin. Vier unmündige Knaben
trugen es, schön wie Engel, stumm. Und die Priester
tanzten und fangen, umtanzten das Bild mit brünstiger
Demut und ehrten es. Langsam gingen die Knaben,
in trägem, traumhaftem Maß setzten sie die Füße, wie
schlafend sahen sie vor sich hin. Immer umtanzten die
Priester das Bild, rangen die Arme in glühender Ehr-
furcht und tanzten. Dann öffnete sich die umschließende
Halle und entzog sie, Nacht verschlang sie. Alles ver-
schwand, war nicht mehr, Gott stand wieder da, groß,
 
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