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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Walser, Robert: Fußwanderung
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Benn, Joachim: Der Mann von vierzig Jahren
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Lissauer, Ernst: "Neuer Leipziger Parnaß"
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0131

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ußwanderung.
Er schwenkte leise seinen Hut
und ging, heißt es vom Wandersmann-

Wie war der Mond auf dieser Wanderung schön, und wie
blitzten und liebäugelten die guten, zarten Sterne aus dem hohen
Himmel auf den stürmischen ungeduldigen Fußgänger herab, der
da fleißig weiter und weiter marschierte. War er ein Dichter, der
da von dem leuchtenden Tag in den sanften blassen Abend hinein-
lief? Wie? Oder war es ein Vagabund? Oder war er beides?
Gleichviel, gleichviel: Glücklich war er und bestürmt von beun-
ruhigendem Sehnen. Das Sehnen und Suchen, das Niebefriedigt-
sein und der Durst nach Schönheit trieben ihn vorwärts, und
hinter, weit hinter ihm schlummerten die bilderreichen Erinnerungen.
Was hinter ihm lag, ging ihm durch den Wanderkopf, und was
Unbekanntes vor ihm lag, zog wie Musik durch seine begierige
Seele. Die Sonne brannte, und der Himmel war blau, und der
blaue weite große Himmel schien sich immer mehr auszudehnen,
als werde, was groß sei, immer größer, und was schön sei, immer
schöner, und was unaussprechlich sei, immer unermeßlicher, un-
endlicher und unaussprechlicher. Aus golden-dunklen, dämonisch
blitzenden Abgründen duftete edle wilde Romantik herauf, und
Zaubergärten schienen rechts und links von der Landstraße zu
liegen, lockend mit reifen, süßen, schönfarbenen Früchten, lockend
mit geheimnisvollen unbeschreiblichen Genüssen, die die Seele
schon schmelzen und schwelgen machen im bloßen flüchtig-zuckenden
Gedanken. O was war das für ein lustiges, tanzendes Marschieren,
und dazu zwitscherten die Vögel, daß das Ohr am Gesang noch
lange hing, wenn es von dem Herrlichen schon nichts mehr hörte,
daß das Herz meinte aus dem Leib heraustreten und in den Himmel
hinauffliegen zu müssen. Dörfer wechselten mit weiten Wiesen,
Wiesen mit Wäldern und Hügel mit Bergen ab, und wenn der
Abend kam, wie wurde da nach und nach alles leiser und leiser.
Schöne Frauen traten aus dem Düster, Geflüster und Dunkel
groß hervor und grüßten mit stiller, königinnen- und kaiserinnen-
gleicher Gebärde den Wanderer. Und wie war es doch erst in
den stillen, von der heißen mittäglichen Sonne beschienenen und
verzauberten Dörfern, wo das heimelige Pfarrhaus stand in der
grünen rätselhaften Gasse und die Leute dastanden mit groß-
geöffneten, erstaunten und sorgsam forschenden und fragenden
Augen. Wunderbar war das Einkehren in das Gasthaus und das
Schlafen im sauberen, nach frischem Bettzeug duftenden Gasthaus-
bett. Das Zimmer roch zum Entzücken nach reifen Äpfeln, und am
frühen Morgen stellte sich der Wanderbursche an das offene Fenster
und schaute in die bläulich-goldene, grüne und weiße Morgen-
landschaft hinaus und atmete die süße Morgenluft in seine wild-
bewegte Brust hinein, von all der Schönheit, die er sah, überwältigt.
Wieder und wieder wanderte er weiter, mit heiteren und mit
düsteren Gedanken, unter dem Tag- und unter dem Nachthimmel,
unter der Sonne und unter dem Mond, unter schmerzenden und
unter glücklich lächelnden Gefühlen. Ach, und wie schmeckten ihm
Käs und Brot und die zwiebelbelegte köstliche, ländlich zubereitete
Bratwurst. Denn wenn dem rüstigen Wandersmann das Essen
nicht schmeckt, wem sonst soll es dann noch schmecken?
Robert Walser.

Mann von vierzig Jahren.
Es gibt im heutigen Schrifttum wohl kein Talent, das
sich durch so viel Dumpfheit, Trübheit und Verworrenheit hätte
durchringen müssen, wie der Wiener Dichter Jakob Wassermann;
aber auch kein Talent, das heute mit so funkelnder Klarheit, Ge-
wißheit und Übersicht sein Denken und Schaffen dirigierte wie er.
Seine Sähe blitzen wie spitze, hellgrelle Lichter, seine Kapitel
haben die scharfe Prägnanz eines gelungenen, vollen und reifen
Aphorismus. Das Ganze drückt in schöner sinnlicher Leiblichkeit
eine Idee, eine seelische Überzeugung aus, wie sie schöner und
menschlicher, tiefer und reiner schwer zu denken ist. Denn in diesem
Juden steckt und hat schon in seinen Anfängen gesteckt, wenn auch
da stets nur als ein flüchtiger Rausch, ein ahnender Hinabstieg
in eigene, tief verschüttete Tiefen eine schwindelnd schöne, sternen-
haft reine und edle Menschlichkeit: Sie lebt in dem weltabge-
wandten Sonderling, der in der letzten Novelle der „Schwestern"
nur durch die trübe Masse der andern Menschen in Verworrenheit,
Mißverständnis und Verbrechen zurückgezerrt wird; in dem Helden
des „Moloch", der als ein reiner Tor in die Stadt kommt, die sich
die andere Menschheit gebaut hat, und zugrunde geht, weil er

andern helfen wollte. Diese Menschlichkeit in dem Juden Wasser-
mann ist der größte Wert, auf den die Juden heute vor sich und
vor anderen Hinweisen können, und eine so herrliche Bestätigung
dessen, was auch in ihnen lebt, daß sie ihn vergöttern könnten.
Doch gibt es ein „Aber" in dem Satze, darin sich das Bild
dieser Persönlichkeit in Worte umsetzen soll: Funkeln diese Sätze
nicht ein wenig zu klar, ist die Prägnanz dieser Kapitelfolge nicht
ein wenig zu scharf, ist in diesem Weltbild, das klassisch zu nennen
wäre in seiner Durchbildung, wenn es nicht eigentlich einer anderen
Auffassung von der Welt als der klassischen entspräche, nämlich
der christlichen: ist es nicht alles ein wenig zu vollkommen, z u restlos,
zu kristallisch gelöst? Diese Persönlichkeit mit ihrem schwärmerisch
schönen Grund-Lebensgefühl ist echt, so echt zweifellos wie irgend
ein Stern oder ein Strauch, eine Quelle oder ein edler Stein.
Aber ist diese, um das Wort noch einmal zu brauchen, diese klassische
Klarheit und Beherrschtheit, die heute die Art seines Schaffens
bezeichnet, wirklich der Deckel für diese Persönlichkeit der Tiefe,
die doch in sich gar nicht so klar sondern schön gerade in ihrer wüsten-
haft heißen Brunst und Gier ist, die ihr neben der Seelenreinheit
eignet? — Wassermann hat vor kurzem ein Buch mit dem Titel
„Der Literat und der Mythos" geschrieben nnd darin mit einer
Geistigkeit, die neben der Rudolf Kaßners besteht, bis ins- Letzte
den Unterschied des Dichters dargestellt, der Schönheit, Form und
Ordnung gleichsam nur aus dem Begriff, dem übernommenen,
aus dem Willen und der Sehnsucht schafft, und dem, dessen Schaffen
der Ausdruck, einfach der Umdruck seiner innersten Notwendigkeit
ist: Nochmals, Wassermann selbst hat in seiner Tiefe eine ganz
starke, ja elementare Persönlichkeit. Allein ist nicht die Form,
die er ihr gibt, mitsamt der Form der Weltanschauung, die er
predigt, willensmäßig aus übernommenen Elementen gebildet,
so daß er Dichter und Literat, Schöpfer und Virtuose, Natur und
Naturlosigkeit in einem ist? —
Diese Gedanken knüpfen sich an einen neuen, kleinen Roman
Wassermanns, den des „Mannes von vierzig Jahren", der in einer
bis nun glücklichen Ehe unruhig wird und sein Heim verläßt, um
es erst nach sehr mannigfachen Abenteuern wieder zu betreten
und nach weiterer sehr langer Wartezeit als sein Heim betrachten
zu dürfen. Das Buch ist mit einer formalen Reife geschrieben,
die etwas Atemberaubendes hat, sehr schön in der Ausmalung
der sichtbaren Welt und der Ausbildung der Gestalten, sehr schön
in der Kunst, Situationen von starker Symbolik für die menschliche
Lebenswanderschaft, Lebensirrschaft zu schaffen; noch schöner
vielleicht in seiner Lebensüberzeugung. Gegen den Schluß hin
wird es sichtlich schwächer, denn daß der Mann sich der Frau gegen-
über dadurch reinigt, daß er in den Krieg zieht, ist ein wenig schwach
und zufällig, so geistreich es erklärt wird; wie es so in breite Schil-
derungen von Kriegsszenen ausläuft, scheint mit durch Zeitumstände
bestimmt, das Motiv der Sühne liegt unserer Zeit auch wohl zu
fern, als daß es sogleich restlos gelöst werden konnte. Doch wird
dieser Mangel nicht hindern, daß das Buch von Unzähligen ge?
lesen, als ein unerwartetes Lebensgeschenk betrachtet werden
wird, und es ist auch etwas anderes, was uns bedenklich stimmt:
Seine Glätte, Reife und Unantastbarkeit ist die, die der Intellekt
schafft, nicht die der Natur, aus der er kommt. Sie und mit ihr
die Zeit, der sie angehört, haben denn doch ein zu starkes Maß
an Orgiasmus in sich, als daß er in der neuen Klassizität völlig
unbemerkt bleiben dürfe. Nüchtern gesprochen, der Mann ist zu
schlecht, die Frau zu gut davongekommen, klare Ordnung über-
haupt zu unbedingt über Wirrsal und Leidenschaft gestellt, was sich
dann in der Form spiegelt. Und so fragt sich, ob nicht auch hier
wieder bei ganz großen Gaben die eigentlichen Aufgaben unserer
Zeit nicht geduldig gelöst, sondern heimlich umgangen werden.
Joachim Benn.
A)euer Leipziger Parnaß"
heißt eine kleine Anthologie, die Kurt Pinthus soeben
für die Leipziger Bibliophilen herausgibt, und die von allge-
meinem Interesse ist, weil hier jüngste Kräfte unserer Dichtung
sichtbar werden. Elsa Asenjeffs Verse sind meist naturalistisch
formlos, mehr Skizzen als Gedichte und kaum zu notwendiger
Geschlossenheit durchgebildet, aber es sind in ihnen mancherlei
Ansätze zu einer starkbrünstigen Lyrik, die auch das letzte Erotische
bildhaft zu geben versucht; über sie wird nach dem Erscheinen ihres,
vom Verlage Georg Müller in München angekündigten Gedicht-
bandes vielleicht ausführlicher zu sprechen sein. Ulrich Stein -
dorff, der Dehmels sturmharte Lyrik lebendig in sich erfahren
hat, vermag in festgebauten Strophen, die sich zuweilen doch

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