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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Baquet, Alfons: Schwester Mathild
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Bab, Julius: Der deutsche Weg: (Ein Epilog zum Streit um Hauptmanns Festspiel)
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0370

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Schwester Mathild.

mit alt und neu bekannten Menschen zusammenbrachten,
übertäubten vollends in Herrn Backmeister die Er-
innerung an jenen Sonntag, die ihm nur wenige Tage
vor seiner Ausreise durch einen Brief des alten Dane-
mann wieder erweckt wurde. Der Brief enthielt die
Frage an den Ingenieur, ob er bereit sei, die Braut seines
Sohnes auf dem Schiffe, mit dem er zu fahren gedenke,
hinaus zu geleiten. Es gab ein kurzes Hin und Her von
Telegrammen. Auf dem Schiff in Hamburg sah er den
Alten und die Braut des Freundes wieder, die ihre
Schwesterntracht nun abgelegt hatte. Das selbe Schiff
erwartete an der Reede von T. an der westafrikanischen
Küste der junge Missionsarzt, der aus dem Innern zur
Küste gekommen war, um die Frau abzuholen, die sein
Vater ihm sandte. Die drei begaben sich sogleich zur
Behörde, wo die Trauung vorgenommen wurde, dann
verabschiedete sich der Ingenieur, um mit demselben
Schiff, das auf der Reede wartete, seine Reise fort-
zusetzen. Fast zwei Jahre vergingen, bis er sein Ver-
sprechen wahr machen konnte, das junge Paar auf der-
selben Niederlassung zu besuchen, wo er einst krank ge-
legen und in jener Nacht vor seiner Heimreise das Ge-
spräch unter Sternen gehabt hatte, dessen Folge der
Brief gewesen war. Nun saßen sie zudritt auf der
Veranda. Wie damals leuchteten im unendlich weit
und hoch gespannten Nachthimmel die Sterne, wie
damals scholl vom Flusse her das Quaken der Frösche;
unter den Wolken, die oben segelten, schien es fast, als
zögen sie auf der dunklen Erde wie auf einem Schiffe
die geheimnisvolle Bahn. Diese beiden Menschen waren
glücklich. Doch, es war nur ein Jahr später, der Ingenieur
saß mit anderen Männern, mit hell beschienenen, harten
oder auch müden Gesichtern um den Tisch seines Klubs
und las die Zeitung, da traf ihn die Nachricht, daß die
junge Frau, dies tapfere Menschenkind, dessen einfachen
Weg er liegen sah wie die Landschaft zu Füßen der hoch-
fliegenden wilden Schwäne, an einem in jener Gegend
gefährlichen Fieber gestorben sei. Er besuchte den Freund
nicht wieder. Auch die beiden Männer in der Heimat
hörten im Leben nicht mehr von ihm.
er deutsche Weg.
(Ein Epilog zum Streit um Hauptmanns
Festspiel.)
Die Schlacht ist nicht entschieden, aber zu Ende —
die Schlacht, die um das Hauptmannsche Festspiel in
Breslau getobt hat. Die Schlachten, in denen es in
Deutschland um geistige Interessen geht, verlaufen ja
alle so. Die Menschen des geistigen Interesses erheben
einen Protest — wenn sie sich in die zuweilen etwas
kompromittierende Gesellschaft der politischen Oppo-
sitionsparteien begeben, wird sogar ein Lärm daraus —,
in jedem Falle aber geschieht oder bleibt bestehen, was
die Männer der Macht von Anfang an tun wollten
oder getan hatten. So ist es auch in diesem Fall wieder
gewesen. Die Träger der realen Macht in Deutschland,
das heißt auf deutsch jene, die zuletzt über die Bajonette,
den Geldsack und den Verwaltungsapparat verfügen,
fanden, daß ihnen das Festspiel des Dichters Gerhart
Hauptmann unsympathisch sei, und sie inhibierten es.

Nachdem eine Weile über diese Verfügung sehr viel
depeschiert, geschrieben und gesprochen worden war,
blieb es dabei. Nachdem aber die Protestler sich beruhigt
haben, ist vielleicht gerade für den, der das deutsche
Kulturproblem studieren will, die Zeit gekommen, ein-
mal zu fragen, was, abgesehen von der Erregung dieses
aussichtslosen Kampfes um die Macht, dieser Vorfall
denn bedeutet? — Der ganz gewiß erheblichste Dichter
des heutigen Deutschland soll für einen großen, die
ganze Nation interessierenden Gedenktag ein Fest-
gedicht schaffen. Er tut es, und der Effekt ist, daß die
sogenannten Edelsten, jedenfalls die Mächtigsten der
Nation sich entrüstet gegen ihn kehren. Das ist ganz
offenbar eine tief problematische Situation, und zu-
nächst die formale Verwandtschaft mit der hundert
Jahre älteren Situation, als der deutsche Dichter Goethe
den Führern der hier zu feiernden Bewegung fremd und
feindlich gegenüberstand, um schließlich in einem eis-
kalten Festspiel zu bekennen, daß er gleich dem alten
Epimenides diese Zeit der Taten verschlafen habe —
diese Verwandtschaft fällt bedeutsam auf. Es lohnt sich
wohl, in den geistigen Grund dieser wildbewegten Ober-
flächenerscheinung hinabzusteigen.
Zuerst noch einmal den Sachverhalt: Gerhart Haupt-
mann schafft ein Puppenspiel: Der Herr, der unserem
Willen ewig unfaßbar bleibt, läßt seine Marionetten
auf dem Welttheater tanzen: Aus dem Jakobinerchaos
entsteht der große Menschenbändiger Napoleon; unter
dem ungeheueren Druck seiner Macht aber erheben sich
in dem zum Karnevalsjammer entstellten Deutschen
Reich die Männer, die von den großen Ideen der Menfch-
lichkeit, der Freiheit, der Kultur getragen, die fügsame
Trägheit des umgebenden Philistertums besiegen und
die Jugend zum Aufstand fortreißen. Aus der deutschen
Mutter, die ihre Söhne nicht der Machtgier des Er-
oberers, aber diesen großen Menschheitsideen hinopfern
will, erhebt sich „Athene Deutschland", zu der am Schluß
der Festzug der friedlichen Kulturträger wallt: Land-
leute, Arbeiter, Künstler, Forscher und „auch einige
Herrscher, die sich um die echte Kultur ihrer Völker ver-
dient gemacht haben". Und die Göttin begrüßt den
Zug im Namen der allvereinigenden, allbeseelenden,
allschöpferischen Liebe, die — wie bei Beginn des
Spieles schon Pythia wahrgesagt hat — vor zwei-
tausend Jahren verkündet, aber immer noch nicht zur
Welt geboren ist.
Dies war des Spieles geistiger Kern, und wie weit
er vollkommene, künstlerische Gestalt geworden ist, diese
Frage braucht uns hier durchaus nicht zu beschäftigen.
Denn die Menschen, von denen der Protest gegen dies
Festspiel ausging, haben weder die Fähigkeit noch den
Ehrgeiz, einen guten von einem schlechten Vers zu
unterscheiden. Sie hätten die elendesten Reimereien
und Allegorien widerspruchslos hingenommen, wenn
sie der Verherrlichung einer Gesinnung, die die ihre
gewesen wäre, gedient hätten; sie können überhaupt
nicht (wie wenige können das!) den ungefähren Vor-
trag einer Meinung in Versen von einem gedichteten
Erlebnis unterscheiden. Es sind die Leute, die jene all-
zu kindlichen Freiluft-Theaterstücke, mit denen Deutsch-
land zur Jahrhundertfeier so überreich gesegnet wird,
mit b.ehaglichem Beifall aufnehmen. Die ästhetische


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