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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Strauß, Ludwig: Die Gefangenen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0169

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ie Gefangenen.
Von Ludwig Strauß.
Fraulein Irene langweilte sich in den Gesellschaften
ihrer Eltern, die sie mitzumachen gezwungen war. Doch
hatte sie sich gewöhnt, ihrer Verachtung einen einiger-
maßen u tterhaltenden Ausdruck zu geben, indem sie
die Distanz zwischen sich und diesem Kreise von Menschen
einfach übersah. Sie sprach mehr für sich und aalt bei
ihnen, die meistens Kaufleute und Industrielle waren,
als eine irgendwie zu respektierende, jedenfalls ver-
drehte Persönlichkeit. Man schätzte immerhin alle
Sachlichkeit und brachte ihrem Wissen eine Achtung
entgegen, die ihm nicht immer zukam.
Heute saß Herr Gebhard neben ihr, ein junger
Kaufmann, wie sie im Anfang der zwanziger Jabre,
bartlos, mit dunklem Haar und klaren, ruhigen, braunen
Augen. Er war als Gesellschafter in keiner Weise be-
stechend, sondern übte die Unterhaltung mit einer soliden
Pflichttreue, ohne auch langweiliger zu sein als die
anderen.
Während Irene sich wieder ziemlich ausschließlich
mit sich beschäftigte, wäre ihr der junge Mann an ihrer
Seite leichtlich nicht weiter aufgefallen, zumal ihm
nichts daran lag. Er war ein ruhiger und ziemlich
ganzer Mensch. Die Erlebnissucht, welche manche von
Irenes inoffiziellen Bekanntschaften durcheinander-
hetzte, war ihm fremd. Er erstaunte nie während ihrer
Reden, noch suchte er ihre gelegentlichen Paradora
ängstlich zu dämpfen. Auch lag in der Art, wie er von
anderen mit ihr sprach, eine sichere Gemeinschaftlichkeit,
die aber zu selbstverständlich war, um sie aufmerken zu
lassen. So gab es sich, als man aufstand und sich in
mehrere Zimmer zerstreute, daß er ihr plötzlich fehlte.
Ohne daß sie es sich erklären konnte, fühlte sie die Distanz
zwischen ihr und ihm irgendwie verringert; und nun
sucht-» sie ihn.
Sie ging gleich mit einer fühlbaren Entschlossenheit
auf sein Inneres los. Freilich sprach sie zunächst nur
über Literatur. Er hörte ihr wohlwollend zu, um dann
mit einer fast überwundenen Verlegenheit zu gestehen,
er sei für Kunst nicht gerade interessiert. Es kam vor,
daß er ein klassisches Buch las. Dann tat er dies sehr
langsam und zog bei irgendwie zweifelhaften Stellen
einen Kommentar zu Rate.
Sie hörte das letzte mit einem nicht verheimlichten
Schauder, der ihn einen Augenblick unsicher machte.
Aber sogleich war er wieder der Überlegene, denn sie
bemühte sich nun, ihn aus seiner Verschlossenheit hervor-
zulocken. Sie fing mit Ausfällen gegen ihre gemeinsame
Umgebung an, denen er beistimmte, erfreut doch ohne
seine Ruhe an ihre leidenschaftliche Verachtung zu ver-
lieren. Gelegentlich machte es ihm Freude, ihr zu
zeigen, daß er sie im Auge behielt; und das gerade bei
Gedankensprüngen, die nicht völlig untadelig geraten
waren: so wurde sie endlich gereizt.
Sie war schon nicht mehr ganz kühl, als sie begann,
von sich selbst zu reden, anders freilich als an der Tafel:
nicht mit Ideen spielend, sondern melancholische Reize
ihrer leichten, warmen Seele in scheinbar unvorsichtigen
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Worten halb enthüllend. Das war er nicht gewohnt,
und es überlief ihn mit einer prickelnden Süßigkeit,
wenn er sie eine Blöße wieder verdecken sah, wenn ihr
erschrecktes Bedauern immer etwas von der Freude
durchließ, sich ihm gezeigt zu haben.
Es folgten schwüle Rundgänge in einem von roten
Fackeln erhellten Garten unter grauen, flockigen, an
den Rändern schwach leuchtenden Wolken. Er taute
auf und sprach irgendwelche einfachen Worte von seinem
Leben, zögernd und nicht sehr gewandt.
Sie erfuhr, daß er zurückgezogen lebte, ohne Freunde,
denn seine Kollegen interessierten ihn nicht weiter, und
er war auch so zufrieden, daß er keinen Verkehr brauchte.
Unbehagen aus inneren Gründen war ihm ebenso
unbekannt wie Glück. Mehr zum Zeitvertreib als aus
Wissensdurst beschäftigte er sich mit Philosophie und
Naturwissenschaft. Davon sprach er mit einer nicht
ganz reinen Gleichgültigkeit, als schäme er sich ein wenig,
mit so ernsten und anspruchsvollen Dingen umzugehen.
Manchmal ging er in einer schönen Nacht aus der Stadt.
Er konnte stundenlang allein wandern, wenn die Sterne
schienen und der Boden hart war, daß man sein Schreiten
hörte und sonst keinen Menschenlaut.
Sie sagte ihm, wie man etwas ganz Natürliches
sagt, sie wolle ihn auf einem solchen Gange begleiten.
Sie war sehr warm geworden; ihre Koketterie hatte
längst alles bewußte und verinnerlichte verloren. Als
er ihr überrascht dankte, und sie eine der nächsten
Nächte festsetzten, zeigte sie ihm ein süßes, schwebendes
Lächeln.
Bei diesem Zusammentreffen verfrühten sich beide.
Sie trafen sich in einem Walde nahe der Stadt, als noch
ein leichtes, kühles Licht über den Wipfeln der Buchen
hing. Unter einem der breiten Bäume stand eine Bank,
sie setzten sich. Ihr Gespräch war beengt und stockend.
Sie brachte ihn dazu, von sich zu sprechen, während sie
ihn ansah: ihre warmen, grauen Augen ruhten prüfend
auf seinem klugen, zögernden Profil. Nachdenklich
führte er aus, er sei nicht mit sich zufrieden. Sie maß
ihn erfreut und unbefangen mit einem sicheren Blick.
Diesen Blick fing er auf, begriff, lachte leise und nahm
ihre Helle, schmale Hand, die er sehr leicht wie etwas
Kostbares küßte. Sie ließen ihre Hände ineinander.
Wie immer, wenn sie glücklich war, wiegte sie sich in
Plänen und Träumen; sie schwatzte zierlichen Unsinn,
sie gefiel sich darin, Dinge zu sagen, die ihrem Wesen
zuwiderliefen, aus lauter Leichtigkeit; nichts war ihr
fremd. Mit einer körperlosen, dämmerigen Stimme
sagte sie, sie wolle Schauspielerin werden, ihre Familie
hindere sie. Nein, sie wollte ja Tänzerin werden, Sym-
phonien tanzen, Grieg oder so. Ihre Hand hielt
seine so angenehm lose; ihre Stimme entflog ihr, die
Sähe träumten; ihre Augen changierten haltlos in
Grün, Grau und Blau. Er küßte ihren weichen Hals,
während der Geruch ihres braunen, zarten Haares
ihm den Atem nahm. Er küßte ihren Mund, ihr Ge-
sicht, das sich weiß in den Mond zurückbog.
Sie waren einige Tage sehr glücklich. Zum ersten
Male verließ sie ihre klare Überlegung, die sie sonst
auch bei viel stärkeren Erlebnissen behalten hatte. Sie
dachte nicht mehr, während Triebe und Fähigkeiten
 
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