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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Benn, Joachim: Peter Altenberg
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Altenberg, Peter: Ausgewählte Skizzen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0120

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Peter Altenberg.

den Zartheit der Empfindung und des Gefühls ab-
schwächen, die er zeigt. Die Tragik dieses Lebens liegt
erst darin, daß die Überempfindlichkeit seines Wesens
Altenbergs Schaffen die Form des Impressionismus
gibt und ihn damit doch der dauernden Wirksamkeit
beraubt. Denn als ein echter Impressionist kann er
seine Lehre immer nur in Verbindung mit dem direk-
testen Leben predigen; was die weitesten Zusammenhänge
hat, zerflattert in kleinen unscheinbaren Dingen von
sehr alltäglicher Gebundenheit, wie auch seine Liebe
zum All in der Liebe zu jedem kleinen Weltweibchen
auf der Straße zerflattert. — Allerdings schwächt
sich von dem vierten Bande an der Impressionismus
bei Allenberg sichtbar ab: die Prägnanz, die die Apho-
rismen des Prodromos auszeichnet, dehnt sich auf die
Szenen und Bilder der neuen Bücher aus, die immer
kürzer, zusammenhängender und prägnanter werden.
„Neues Altes" steht darin über den „Märchen des
Lebens", und die Arbeiten des letzten Bandes wirken
neben den früheren fast wie Holzschnitte neben flüchtig-
sten Radierungen, so herb, fest und klar im Umriß sind sie.
Eine Anekdote aus zweifhaftem Milieu mit einer unglaub-
lich frechen und guten Pointe ist fast klassisch zu nennen;
nimmt man sie samt den zwei oder drei anderen aus
dem gleichen Milieu mit den besten Kinderszenen und
solchen Skizzen wie „Vor dem Konkurse", „Sterben",
„Tristan und Isolde" zusammen, fügt man dieser kleinen
Sammlung die besten Aphorismen, einige aphorismen-
hafte Landschaftsbilder und ein paar Porträts dazu,
so hat man ein Büchlein von erstaunlicher künstlerischer
Delikatesse, von dem feinen Reiz griechischer Vasen-
bilder, das dem impressionistischen Zeitalter stets zur
Ehre gereichen wird. Joachim Benn.
eter Altenberg:
Ausgewählte Skizzen.
Zwölf.
(Aus: „Wie ich es sehe".)
„Das Fischen muß sehr langweilig sein" sagte ein Fräu-
lein, welche davon so viel verstand wie die meisten Fräulein.
„Wenn es langweilig wäre, täte ich es ja nicht"
sagte das Kind mit den braunblonden Haaren und den
Gazellenbeinen.
Sie stand da, mit dem großen unerschütterlichen
Ernst des Fischers. Sie nahm das Fischlein von der
Angel und schleuderte es zu Boden.
Das Fischlein starb-
Der See lag da, in Licht gebadet und flimmernd.
Es roch nach Weiden und dampfenden verwesenden
Sumpfgräsern. Vom Hotel her hörte man das Geräusch
von Messern, Gabeln und Tellern. Das Fischlein
tanzte am Boden einen kurzen originellen Tanz wie
die wilden Völker-und starb.
Das Kind angelte weiter mit dem großen uner-
schütterlichen Ernst des Fischers.
„<l6 N6 xsrmettrais jarnuis, yne ma kille 8'aclon-
nLt a uns ocrcruxation si ornelle" sagte eine Dame,
welche in der Nähe saß.

Das Kind nahm das Fischlein von der Angel und
schleuderte es wieder zu Boden, in die Nähe der Dame.
Das Fischlein starb-. Es schnellte empor
und fiel tot nieder — — ein einfacher sanfter Tod!
Es vergaß sogar zu tanzen, es marschierte ohne weiteres
ab-.
„Oh-" sagte die Dame.
Und doch lag im Antlitz des grausamen braun-
blonden Kindes eine tiefe Schönheit und eine künftige
Seele-.
Das Antlitz der edlen Dame aber war verwittert
und bleich-.
Sie wird niemandem mehr Freude geben, Licht
und Wärme-.
Darum fühlte sie mit dem Fischlein.
Warum sollte es sterben, wenn es noch Leben in
sich hat-?!
Und doch schnellt es empor und fällt tot nieder
-ein einfacher sanfter Tod.
Das Kind angelt weiter, mit dem großen uner-
schütterlichen Ernst des Fischers. Es ist wunderschön,
mit seinen großen starren Augen, seinen braunblonden
Haaren und seinen Gazellenbeinen.
Vielleicht wird es auch einst das Fischlein bemit-
leiden und sagen: „<Is ns psrinettrais jamais, ins,
kille s'aäonnäck a uns oeoupakion si eruelle-!"
Aber diese zarten Regungen der Seele erblühen
erst auf dem Grabe aller zerstörten Träume, aller
getöteten Hoffnungen-.
Darum angle weiter, liebliches Mädchen!
Denn, nichts bedenkend, trägst du noch dein schönes
Recht in dir-!
Töte das Fischlein und angle!
Neun und elf.
(Aus: „Wie ich es sehe".)
Margueritta stand nahe bei Ihm.
Sie lehnte sich an Ihn.
Sie nahm seine Hand in ihre kleinen Hände und
hielt sie fest. Manchesmal drückte sie sie sanft an ihre
Brust.
Und doch war sie erst elf Jahre alt.
„Margueritta ist die Menschenfreundin" sagte die
Mutier zu dem jungen Manne, „Rositta ist anders-.
Sie liebt die Einsamkeit, die Natur und die Tiere.
Jetzt hat sie ihr Herz einem gelben Dachshund ge-
schenkt, Herrn von Bergmann. Sie hatte das Glück,
ihm gestern vorgestellt zu werden. Sie hat heute die
Taschen voll Würfelzucker für ihn-aber es
ist eine unglückliche Liebe."
„Wieso unglücklich-?!" sagte das Kind, „ich
liebe ihn ja! Ich denke immer an ihn-. Das
macht mich doch glücklich?!"
Rositta war neun Jahre alt, zart und bleich.
Margueritta sagte: „O, Rositta ist übertrieben —!"
„Wieso?!" fragte die Schwester und erbleichte —.
„Ja, du bist übertrieben-! Sie will Sennin
werden am Patscherkofl und Zither lernen!"
Rositta: „Der Wirt in Jgls hat so schön Zither
gespielt und gesungen! Und er hat gar nicht gewußt.


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