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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Halmar, Augusto d': Typen aus der "Damnation de Faust" von Berlioz
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Rab, Julius: Rembrandt
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0415

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Typen aus der „vLinns-tion äs traust" von Berlioz.

Tiefsinn der musikalischen Charakteristik zu verderben
hatte man wohl den Mutwillen, da man nicht den Mut
hatte, den sinnlosen oder vielmehr unverständlichen Tert
anzunehmen — als ob ein starker Tert ohne Sinn schon
Unsinn, und als ob er selbst dann noch einem schwäch-
lichen, aber verständlichen Geschwätz nicht hundertmal
vorzuziehen wäre! Also, sehen wir an, was von der
kleinlich vorsichtigen und dabei so grandios leichtfertigen
Philisterhaftigkeit zu erretten uns obliegt.
Der infernalische Chor beginnt mit einem langen,
schreienden H-Our-Akkord, aus dem heraus, als aus dem
glatten und scheinbar unbewegten Spiegel einer Wasser-
fläche vor dem Fall und Absturz, die Worte: „Irimiru
Laradrao" hervorschnellen, ein Strudel, ein wahrer
Katarakt von Bosheit. Die Silben wollen sich über-
fallen und überstürzen, bis die letzte, gedehnt, mit
jähem Übergang vom H-Onr- in den I^-Vur-Akkord, der
Jagd ein Halt gebietet; die Masse scheint aufzuprallen,
sich emporzutürmen; im Orchester rollt und dröhnt es
nach, und eine Wolke von Gischt steht über dem Schau-
spiel. Nicht ganz unmöglich wäre es auch, die End-
silbe als einen Jodler der Unterweltler zu hören. So
oder so: die deutschen Worte: „Siegend der Gewalt'ge
naht, o!" sprechen dem musikalischen Charakter Hohn.
Die folgenden Peitschenschläge von Akkorden, mit dem
dreimaligen, scharf abgerissenen Ruf: „Has" werden
durch die „Übersetzung" mindestens abgeschwächt („Greif!
Faß! Würg'").
Dies war die Introduktion; nun kommt der haupt-
sächliche, der distinguierte Teil des Chors; in drei Ab-
schnitte gegliedert, ist er als kultischer Tanz kompo-
niert.
Erster Teil: ^IIe§ro vivace, im Allabrevetakt. Sie
versuchen's anfänglich mit dem Frohsein, doch will es
nicht recht gedeihen, der Schwung bleibt aus. Zwar
der Rhythmus ist willig, aber die Harmonie ist schwach,
und nicht lang währt es, so sinkt auch der erstere ins
Eintönige: nach seinem anfänglich elastischen Habitus
drückt sein zunehmend kurzes und kümmerliches Wesen
zwar weniger Verzweiflung, aber um so mehr Hoffnungs-
losigkeit aus. Das folgende ,,o mcrikariu" usw. fällt
geradezu in Melancholie, wie wir sie etwa aus Neger-
gesängen kennen; mit dem„merikarida" geht sie sogar
ins Klägliche über. Au diesem Eindruck von Vergeb-
lichkeit gesellt sich der eines ehernen Zwangs, indem
wir, von den Mittelstimmen vorgetragen, die gleich-
förmigen halben Noten ci8 beständig wiederholt hören,
als ob einigen die Qual auferlegt wäre, die Pendel-
schläge einer Ewigkeitsuhr mitzuzählen. Nach einem
früh verendenden Aufleben ein bedrückendes Abflauen
(der Abstieg bei: „lür omevixe merouäor"), ein ge-
zwungenes Raunen („mit a^sko"), ein zuckendes Wieder-
auffahren, ein Schrei — dann ein neuer Versuch, die
gebrochene Kraft anzufeuern: der zweite Tanzcharakter
beginnt (^.UsZro, ^/i-Takt).
Er verzichtet vornweg auf die Ferude des Schwung-
vollen, um sie durch die Lust der Wildheit zu ersetzen:
der primitive Stil des schnellen, fanatischen religiösen
Tanzes herrscht nun; welches Bild das zugleich Un-
gelöste und Eilige, gewissermaßen Betriebsame, Fleißige
des Rhythmus wie auch das Eckige, Ruckweise des Har-

monischen, dazu das Atemlose des Chors erstehen läßt,
der, mit höllischen Interjektionen sie jedesmal ehrend
und auszeichnend, die Namen infernaler Majestäten
anruft und zuletzt richtig herleiert: in dem plötzlichen
Piano der letzten Anrufung hören wir nämlich außer
der Ehrfurcht vor dem Namen Mephisto auch etwas
wie von Müdigkeit, sogar von Gleichgültigkeit, ja ich
wage zu sagen, daß Berlioz die letzten vier Takte vor-
der Generalpause halb im Prozessions-, halb im veri-
tablen Stundenhälterton komponiert hat: und so ist
denn auch dieser Teil, den unberechtigterweise und un-
passend genug, so als ob sie ihrer selbst spotten müßten,
eine äußerlich prächtige, solenne, aber angestrengte, und
ach, so kleine und nichtige Hymne abschließt, der Ode
geweiht.
Der dritte Teil, der Kehraus (MisZro vivace, im
Allabrevetakt), sehr kurz, von nicht minder vergeblichem
Lustigseinwollen gepeitscht und gepeinigt, mündet in
einen hohlen Triumph aus. Für das Ganze können wir
nach unsern irdischen Erfahrungen nur das Gleichnis
leidiger und lahmer Fastnachtsvergnügungen oder Knei-
pen auffinden. Wer heißt sie denn lustig sein wollen,
Lust heucheln? Ihre eigene Armut und Langeweile!
Und was verderbt ihnen die Lust, was verbannt vollends
jede Freude? Wiederum ihre Armseligkeit! Sie quälen
sich selber, und müssen es tun. Berlioz' Hölle ist ein
Ort, nicht so sehr der Schrecken als vielmehr der Öde,
an dem es, gräßlich genug, gerade noch auszuhalten ist!
August Halm.
O^embrandt.
Geliebtes Licht! Wie hast du deinen Bogen
gleich einer guten Botschaft^ausgespannt. —
Wort du des Geistes, der sich uns entzogen
und die Gestalt in stummen Stoff gebannt!
Laß alles, was die Welt mir zugewogen,
Schreibtafel sein für deine Heldenhand.
Für dich wob sich des Teppichs bunte Wand,
für dich hat der Rubin sein Blut gesogen.
Nimm du die Augen meiner lieben Frau
zum Spiegel dir, nimm meiner Stirne Bau,
nimm Leib und Kleid zum Spielplatz deiner Freuden!
Gold, Samt, Demant — o wie's den Krämern graust! —
entreiß ich ihrem Schrein, mit voller Faust
auf deinem Altar seelig zu vergeuden.
2.
Wer pocht? Die Welt! — So laß sie draußen stehn.
Mir bleibt nicht Zeit. Ihr geisternden Gestalten,
wann endlich werd ich eure Mitte halten,
die wandellose, wartend im Vergehn? —
Wer pocht und lärmt? Die Not! — So laß uns gehn.
Wirf hin den Dolch, das Diadem, den alten
geschliffenen Kelch, den Wurf der seidenen Falten. —
In jeder Scherbe wird die Sonne stehn.

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