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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Hansen, Margret: Eine Stunde
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Walser, Robert: Das Götzenbild
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Gassert, Paul: Idylle
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0460

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Eine Stunde.

Sie richtet sich auf, macht sich aus seinen Armen los,
steht, glättet Haare und Kleider und sagt: „Du mußt
gehen."
Ein sanftes Rot liegt auf ihrem Gesicht, und in den
Augen ist die böse Flamme in lauter weiche Nacht ver-
sunken.
Sie tauschen einen kurzen, schnellen Blick, als führen
zwei Blitze aneinander vorbei, und jedes Herz weiß,
es fühlt das andere nie wieder schlagen.
Er geht ohne Worte.
Als er drunten aus der Türe tritt, hört er am oberen
Fenster ein Rascheln und sieht empor. Die Frau steht
da, beugt sich vor und spricht: „Verweile noch einen
Augenblick, daß ich dir zum Geleit einen Traum dieser
Nacht erzähle."
Er lehnt am Türpfosten und sieht sie an. Sie schaut
vor sich nieder und wieder hebt ein leiser Spott ihre
Brauen, wie da, als sie die ersten Worte sprach. Sie
sagt: „Auf dem Marktplatz einer Stadt war ein lustig
Gewimmel. Es schien, ein Fest wurde gefeiert. In
bunten Kleidern drängten sich Männer und Weiber
aneinander vorbei. Ein wenig abseits von dem Gewühle
hielt sich ein Mädchen. Ein dürrer und häßlicher Bursche
ging durch die Reihen. Da flog eine Blume durch die
Luft und dem Burschen zu. Das Mädchen hatte sie
geworfen. Eine Alte fragte: „Was schenktest du sie dem?"

as Götzenbild. Von Robert Walser.
Ein junger Mann, an dessen Eleganz, Bildung und Her-
kunft niemand zweifelte, und der das fraglose Glück genoß, zu
den gesitteten Menschen zu zahlen, erlebte eines Tages, indem
er das Völkermuseum besuchte, um die Altertümer zu studieren,
folgendes sonderbares, wenn nicht furchtbares und grauenhaftes
Abenteuer. Der junge Mann, nachdem er sich mit vielem Interesse
in den weitschweifigen Räumlichkeiten, vollgepfropft mit allen
nur erdenklichen Sehenswürdigkeiten, umgeschaut hatte, stand
plötzlich, er wußte nicht wie, vor einer uralten hölzernen Figur,
die, so abschreckend und plump sie auch war, einen mächtigen
und gleich darauf übermächtigen Eindruck auf ihn machte, derart,
daß er sich durch das rohe Götzenbild, denn ein solches war es,
an Leib und Seele verzaubert sah. Der Atem stockte ihm, das Herz
klopfte laut, das Blut strömte ihm, gleich einem angeschwollenen
reißenden Bach, durch alle Adern, das Haar stieg ihm zu Berg,
die Glieder zitterten, und eine ungeheuerliche, entsetzliche Lust
packte ihn jählings an, sich an den Boden zu werfen, in die Zer-
knirschung und Erniedrigung, um das furchtbare Bild, das den
Wüsten Afrikas entnommen worden war, aufs lebhafteste anzu-
beten; Barbarenwonne rieselte ihm durch die geblendete und der
Vernunft beraubte Seele. Er stieß einen Schrei aus, der durch
die weite Halle gräßlich tönte, und nur eben so viel Fassungskraft
blieb ihm übrig, als nötig war, sich mit einem verzweifelten Ruck
aus der schreckenerregenden Umdunkelung an das lieblich Helle
Bewußtsein einigermaßen emporzuraffen. Das tat er, und mit
weitausholenden stürmischen Schritten, so, als wenn hinter ihm
Feuer ausgebrochen sei, und allen eifrigen Interesses für die Wissen-
schaften mit einem Mal verlustig, jagte und stürzte er gegen die
Türe, und erst, als er sich in freier Luft befand und sich wieder
umgeben sah von lebendig-tätigen Menschen, erholte er sich vom
panikartigen Entsetzen, eine Geschichte, die ihn, der sie erlebte, tief
nachdenken machte, über die ich jedoch den Leser bitte zu lächeln.
Von Paul Gassert.
So oft ein lichter Sommersonntag heraufkommt, so ost fliegt
aus unserer engen und krummen Stadt ein Luftballon auf in
den freien Raum. Er schwankt langsam und wie ein Trunkener
zwischen beiden Gasometern hervor, und die Kinder bieten den
willkommenen Spaß herum. E Ballon! Die verhängten Fenster,

Das Mädchen blickte den Burschen an und sprach: „So
wollte es die Blume."
Der Mann drunten lächelt. „Wie ist es wahr ge-
worden," spricht er, „und bin ich nicht dürr, bin ich nicht
häßlich?" Er lacht.
Die Frau sagt langsam: „Ja, du bist häßlich."
Und sagt es mit Augen und mit einer Stimme, daß es
dem Manne kosend über das Herz geht.
Plötzlich fliegt ein tiefes Rot hastig über das Gesicht
der Frau. Sie sagt: „So gehe nun. Geh. Lebe wohl."
Er biegt um das Haus, und der Wald nimmt
ihn auf.
Die Frau blickt aus dem Fenster. Auf der Landstraße
von der Stadt wandert ihre Mutter herauf, tief im Staube
an eines Reiters Seite. Der Reiter ist bucklig, aber
der Buckel ist mit seidenem Gewände gedeckt, sein Haupt
ist kahl, aber es trägt einen Federhut. In der Tasche
spielen seine Finger mit einer goldenen Kette, die er
der Frau um den Hals legen will, die droben aus dem
Fenster sieht. Er, der Schloßherr, hat sich noch nie einen
Wunsch versagt und jetzt gefällt es ihm, gegen den
Glanz fürstlicher Gaben und für den Schein adeliger
Freuden die Gunst einer einzutauschen, die zwar nur
eines ärmlichen Weibes Tochter ist, aber den Ruf der
schönsten, hochmütigsten und sprödesten Frau hat, die
man weit und breit in der Runde findet.

um die Licht und Sonne so lange vergeblich sich bemüht haben,
springen auf, füllen sich mit Leuten, die in den Sonnenschein
hinausblinzeln. Erst die Mütter, welche auf Gassensignale dressiert
sind; sie legen ihre rote Morgenjüppe ins Fenster, und der Vater
legt sein gewürfeltes Hemd daneben. Noch wächst der Rus, er biegt
sich um alle Ecken, steigt und tanzt herab auf Sonnenstrählchen,
daß die Tochter ihre Morgentoilette unterbricht, das kleine Üors
ck'osuvrs dieses blanken Sonnentages einzunehmen; und sie reckt
den ungekämmten Haarschopf weit aus, sie, die so zierlich Samstag-
abend aus der Stadt heimtrippelte.
Vor diesem Parterre von Gaffern und müßigen Menschen
schiebt sich der Ballon gelassen hinauf, über die nächsten Häuser
hin, beständig neue Signale erzeugend und sein Schlepptau schlen-
kernd, auch etwelchen gelben Sand ins Parterre träufelnd, und
es stört niemanden, daß sie ringsherum zur Kirche läuten, aber
die Bemannung läßt jetzt die Schweizerfahne flattern.
Dann ergreifen die Lüfte den Ballon, ein sanfter Zephir
führt ihn aus dem Bereich seines Ursprungs und der ungewaschenen
Zuschauer nach dem vornehmen Stadtteil, daß die Fahne Hel-
vetien sich strafft und bläht und dem Gefährt ein stolzes Ansehn gibt.
Und er steigt hinan in die volle Lichtbahn der Sonne, daß
alles schwindet in einer Flut von Licht, und beißt den Kindern
in die Augen, daß sie blinzeln und durch Fingerspalten gucken müssen,
und eines erzählt, wie ein anderes von der Sonne blind geworden;
und sie lassen Ballon Ballon sein, blinzeln sich selber an aus Finger-
spalten — indem er die Sonnenflut durchschneidet wie ein Schiff-
lein den Strom, um jenseits wieder herauszutauchen — fernhin
über unfern grünen Bergrücken als eine schöne gelbe Kugel, ohne
Korb und ohne Fahne, als ein stilles Luftgefährt, dem die Dichter
allein nachsinnen, auf dem sie Träume und Märlein verfrachten
können.
Mitten durch den blauen Ozean unserer blauen Sommerluft
dahinschwebend als ein fremdes, seliges Ding — wer möchte da
den Himmelsstürmer erkennen, wenn es freundlich segelt übers
grüne Waldgebirg, oder hoch ob uns steht, als wär es hineingehängt
in die blanke Himmelskugel, ein Bild endlicher Harmonie zwischen
Schwere und Leichte. Aber 130 Jahre zurück, oder 130 Weih-
nachtsfeste, Erntefeste, geschah es daß die Montgolfiöre, obwohl
einer Postdiligence von Anno dazumal ähnlicher als einem Luft-
schiffe, von frommen Ländlern mit Mistgabeln attackiert und zer-
stört wurde als ein Teufelswerk, eine Ausgeburt des Hochmuts,
der freventlich den Satz verletzt, daß der Mensch auf Erden wandele.


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