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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Lissauer, Ernst: Deutsche Kriegs- und Soldatenlieder
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Bab, Julius: Otto Brahm
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0049

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zurückschlichen. Es hat von seiner schlichten Monumentalität,
von seiner ganz schadenfreudelosen, wie von einem Widerschein
des jüngsten Tages getroffenen, Ergriffenheit nichts verloren:
„Trommler ohne Trommelstock,
Kürassier im Weiberrock,
Ritter ohne Schwert,
Reiter ohne Pferd.
Mit Mann und Roß und Wagen,
so hat sie Gott geschlagen."
Der andere Hauptgesang dieser Zeit ist Kleists „Germania
an ihre Kinder", der 1809 unter dem schwersten Drucke der napo-
leonischen Herrschaft im Jahre der österreichischen Erhebung ent-
stand, ungedruckt blieb und dann, im Frühjahr 1813, also erst nach
Kleists Tode, durch seinen Freund, den Oberst Pfuel, gedruckt
wurde: ein nicht in allen Strophen gleich wertvolles Gedicht,
aber katarakthaft vom ersten bis zum letzten Laut, durchbrandet
von einem ungeheuren Hassen:
„Alle Triften, alle Stätten
färbt mit ihren Knochen weiß;
welchen Nab' und Fuchs verschmähten,
gebet ihn den Fischen preis.
Dämmt den Rhein mit ihren Leichen,
laßt gestäuft von ihrem Bein,
schäumend um die Pfalz ihn weichen
und ihn dann die Grenze sein!
Eine Lustjagd, wie wenn Schützen
auf der Spur dem Wolfe sitzen!
Schlagt ihn tot! Das Weltgericht
fragt auch nach den Gründen nicht!"
Hier, wo die Gewalt eines großen Dichters Stimme und Schrei
einer Volksleidenschaft ward, hier entstand dies ganz große Kriegs-
lied, in dem Visionen wie von Michelangelo und Töne wie von
Beethoven sind. Nächst ihm, aber in weitem Abstande, der stärkste
Dichter der Freiheitslyrik ist Ernst Moritz Arndt. Es ist leicht
erkennbar, was Kleist dem Arndt überlegen macht: die Größe seiner
Menschenbildnerschaft im Drama und in der Novelle; aber es liegt
nicht offen am Tage, was, immerhin, Kleist und Arndt gemeinsam
ist. Arndt, obgleich er viele, allzuviele Gedichte, auch Märchen ge-
schrieben hat, war dennoch Dichter nur im Nebenamt; in seinem
Wesen sind mit ungefähr gleichen Teilen gemengt Elemente des
Dichters, des Agitators, des Schriftstellers, des Journalisten. Man
darf aber nicht vergessen, daß auch in Kleist Elemente des Agitators
steckten: er war nicht nur der Dichter des „zerbrochenen Krugs" und
des „Kohlhaas", sondern gab auch die „Berliner Abendblätter"
heraus und verfaßte den „Katechismus der Deutschen", eine politische
Schrift in Form des lutherischen Katechismus. Auch Arndt hat
einen Katechismus geschrieben, „für den deutschen Kriegs- und
Wehrmann", und der Vergleich dieser beiden Katechismen kann
das Wesen der beiden Persönlichkeiten belichten. Arndts Stil ist
der Bibel nachgebildet, Aufruf in pastosem Pathos, im einzelnen
öfters eng, gelegentlich sogar ins Phrasenhafte entgleitend; Kleists
ist voll eiserner, strenger Präzision, bis ins Kleinste von einem
Sprachmeister erhämmert. Kleist ist vor allem Bildner, seine
„Hermannsschlacht" ist aber nicht nur Gebild, sondern auch Vor-
bild. Arndt ist in erster Reihe Aufrufer, und es kommt für ihn
erst in zweiter Reihe, daß sein Ruf künstlerischen Klang hat. So
ist ein großer Teil seiner politischen Lyrik heut veraltet; so sind
selbst seine stärksten Stücke von tauberen Stellen durchsprengt: den-
noch sind ihm einige mächtige Klänge gelungen, im Blücberlied,
mehr noch in der „Leipziger Schlacht", in „ein Traum" (von 1842),
im „Vaterlandslied":
„Und hebt die Herzen himmelan,
und himmelan die Hände,
und rufet alle Mann für Mann:
„Die Knechtschaft hat ein Ende!"
Hier ist große Rhetorik. Eine große Geste und eine große Stimme,
die ausdrückte, was alle fühlten; darum flatterten seine Flugschriften
und Fluglieder über das ganze Land, wurden ohne sein Zutun
neugedruckt und erlangten eine ehrenvolle Anonymität. Ist für
uns Kleist der Repräsentant der Zeit auf der höchsten Stufe, des
Dichters — wenn sie ihn infolge mannigfachster Verstrickungen auch
nicht erkannt hat —, so ist es Arndt auf der zweiten Stufe, des
Schriftstellers. Schenkendorf ist für uns heute, ausgenommen ganz
wenige Strophen etwa der „Beichte" oder des „Morgenliedes",
veraltet, nicht nur, weil er als Talent schwach ist; es kommt dazu,
daß uns die mittelalterlich-verblasene Romantik, die er repräsentiert,
ferner ist als die demokratischen, fast revolutionären Elemente der
Zeit. Körner ist zweifellos nur eine kleine Kraft, die von der un-

geheuren Bewegung emporgehoben wurde, aber immerhin ist er der
Durchschnittsmensch, der zu sagen wußte, was alle taten, und einige
seiner Stücke und Strophen, vor allem das Lützowerlied, sind denn
auch heute noch lebendig und lebendiger als Schenkendorfs Poesie.
Für die Einigungskriege ist die, hier echter als sonst wirkende,
Rhetorik der Geibelschen Sedanhymne und das minder über-
zeugende des Freiligrathschen „Germania"-Liedes, auch das bal-
ladische Pathos seines „Vionville" und des Gerokschen „Gravelotte"-
stückes nicht so bezeichnend als die Dichtungen von Fontane, Lilien-
cron, Kreusler. Für 1813 ist das Pathos Kleists, Arndts, des Flucht-
liedes charakteristisch und den mehr realistischen Volksliedern, etwa
den Spottgedichten auf Napoleon, im allgemeinen überlegen; 1870
ist der stärkere dichterische Wert entschieden bei den realistischen
Stücken. Kreuslers Lied im „Prinz Eugen", im „König Wilhelm und
Benedetti in Ems" oder auch das Spottlicd: „Was kraucht denn
da im Busch herum?" haben eine gewisse Verwandtschaft mit
Fontanes Versen; gemeinsam ist eine gewisse norddeutsche Jronisch-
keit (die beiden Spottlieder haben sogar einen Einschlag von Lauten
aus der „Berliner Schnauze"), der „Mangel an Feierlichkeit", den
Fontane sich selbst als charakteristische Eigenschaft zuerteilte. Es ist
in diesem Sinne anzumerken, daß etwa von seinen 1866er Gedichten
eins, „Berliner Landwehr bei Langensalza", den höchst pathos-
losen Kehrreim „Js nich" enthält, und daß er in seine Gedichte
einen Berliner Spottvers vom Jahre 1813 ausgenommen hat, der
direkt ein Seitenstück zu den beiden zuvor genannten Stücken ist.
Auch seinen andern Kriegsgedichten ist ein legerer, genrehafter
Ton eigen, wie einem großen Teil seiner Lyrik und seiner Balladen.
Das realistisch-präzise Moment im Gegensatz zum visionär-pathe-
tischen ist denn auch die wesentlichste Eigenschaft der Liliencronschen
Kriegslieder; nicht „Telegramm"-, sondern Kommandolyrik:
„Zügel fest, Fanfarenruf,
donnernd schwappt der Rasen".
Und wenn auch diesen Stücken der geistige Ausblick, auf die Bedeu-
tung dieser Siege für die Nation, mangelt, so ist doch in ihnen
der eigentliche realistische Geist der Zeit eingefangen, der sich vom
alten Pathos abwandte.
Wir heute sind um ein neues Pathos bemüht: im Kriegslied
und politischen Lied spürt man es herauftönen. Und so ist das
„Kriegs"-Gedicht eines begabten jüngeren Wiener Balladikers,
Franz Theodor Czokors, wieder voll phantastischer Elemente:
„Fressend am Horizonte der Welt
hat ein Feuer hochgegrellt.
Dunkle Schwaden schwingen sich auf,
Blitze zerwirken das Wolkengehauf,
krächzende Vögel stoßen hernieder
mit gesträubtem Cisengefieder:
Krieg!"
Ernst Lissauer.
tto Brahm.
Wenn es vergessen werden könnte, daß es auch in der künst-
lerischen wie in jeder Welt zuallerletzt sittliche Kräfte sind, die den
Wert bilden — und unsere Zeit ist voll von denen, die dies vergessen
zu können glauben —, so war ein lebendiges Erinnern an dies Grund-
verhältnis alles Lebens jene Wirkung, die von der Todesnachricht
Otto Brahms ausging. Denn alle Menschen, die auch nur irgend
ein Gefühl für das Theater als künstlerischen und kulturellen Faktor
haben, fühlten sich erschüttert von einem schweren Verlust. Und das
war wahrhaftig nicht, weil das Berliner Lessingtheater eineinhalb
Jahr früher als vorgesehen seinen Direktor verlor. Das war auch
nicht, weil die bereits stark historische Persönlichkeit des Mannes
hinging, der in einer wichtigen aber gründlich abgeschlossenen
Epoche den Naturalismus zum Siege geführt hatte. Das war ledig-
lich, weil aus unserer Bühnenwelt ein Beispiel geistiger Haltung,
zielklarer Energie, sozialen und ästhetischen Verantwortungsgefühls
verschwand, das immer nottut, aber heut mehr nottut als je.
Der treue Schüler des großen Rationalisten Scherer war kein
genialer Literat; auch sein preisgekröntes Kleistbuch beweist nur,
daß Intelligenz, Geschmack und Sorgfalt allein das Wesen einer
dämonisch großen Leidenschaft nicht zu fassen und zu gestalten
vermag. Innerhalb jener Vernunftschranke, wo man die Kunst
an den Wahrscheinlichkeiten des Lebens (nicht den Wert des Lebens
an seinen künstlerischen Notwendigkeiten) ermißt, hat sich Brahms
Auffassung immer gehalten. Aber zu einer Zeit, da die deutsche
Produktion ein schwaches Nachtändeln abgeschlossener Kunstformen
war, konnte dieser Rückzug auf das Lebendige der Praxis doch
schon einen Fortschritt bedeuten. Und da der Geist jener Generation
es fügte, daß auch die großen Temperamente des Zeitalters für


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