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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Benn, Joachim: Palmström
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Dehler, Richard: Stimmung
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0373

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Dilettant; und wofern er in seiner Überreiztheit vielleicht
garnicht mehr zu rechtem Schaffen kommt, eine der präg-
nantesten Figuren unserer Zeit: Der Traumwüstling.
Ist der Gegenstand von Buschens Versen das Leben
des Kleinbürgers, so der Morgensterns dieser Literat und
Traumwüstling; zum Teil direkt als Palmström und
Korf, zum Teil indirekt und anonym aus seinen dich-
terischen Ergüssen zu erkennen. Aus der satirischen
Stel.ung gegen den Literaten erklären sich meist die
Gedichte, in denen die beiden Helden neue, höchst gesuchte
Dinge und Künste erfinden, weil ihre unruhigen Nerven
nach Neuem verlangen: Palmström „haut aus seinen
Betten sozusagen Marmorimpressionen", entdeckt ein
quadratisches Bühnenhaus mit drehbarem Zuschauer-
raum, einen „Aromaten", eine „Geruchsorgel", ersinnt
ein „Warenhaus für kleines Glück", das regelmäßig
Briefe an Einsame versendet, Korf entwirft Statuten
für einen Klub „zum Schutz des Sonnenscheins" gegen
Luftfahrzeuge. Aus der satirischen Stellung gegen den
Literaten ergeben sich die Zusammenstöße mit dem
realen Leben — wenn Palmström trotz entgegenstehender
Polizeigebote überfahren wird — oder mit der Polizei
selber — „Korf erhält vom Polizeibureau — ein ge-
harnischt Formular. — Wer er sei und wie und wo".
Aus der Stellung gegen den Literaten doch wohl auch
die andere Hälfte der Gedichte, in denen aus dem Keim
eines Wortwitzes gleichsam neue Sagen und Märchen
gedichtet werden: Die Reise in das „böhmische Dorf",
das Erlernen der „wetter-wendischen Sprache", das Auf-
finden jener „Flinte", die ein Zaghafter „ins Korn"
geworfen hat. Eine Fortbildung dieser Richtung ist es,
wenn solche Märchen auch um die Schuhe gesponnen
werden, die traurig sind, wenn man sie nicht richtig zu-
sammenstellt, wenn ausgezogene Kleider wie Gespenster
herumtanzen und schreien, wenn in Persiflage der ur-
sprünglichen Sage die „Elster" in einen Vogel zurückver-
wandelt und dann erschossen wird, worauf ein Professor
die Frage nach dem Verbleib der Fische stellt: Es ist der
Grundtrieb des Dichters zur Sagen- und Mythenbildung,
der in diesen Gedichten wirksam geworden ist, nur ist er
auf das Alltäglichste, Abgelegenste, Unpoetischste des
Lebens gewandt und sie wirken darum an der Oberfläche
grotesk, in der Tiefe darüber hinaus als Persiflage des
Literaten, der in seiner Überreiztheit keine Pause und
Grenze in seiner dichtenden Tätigkeit mehr einhält.
Es ist ein sich selbst überschlagender, manchmal
unheimlicher Geist, der in diesen Versgrotesken funkelt;
er kulminiert wohl in solchen Stücken wie dem von der
„Nähe", die um ihrer Trauer willen, daß sie nie dicht an
die Dinge kommt, kompariert wird zur „Näherin", als
solche aber das Streben nach der absoluten, größten
Nähe zu den Dingen verliert, und beginnt zu schneidern...
Es ist der wahrhaftige Geist, der in Literatenkreisen zu
Hause sein kann und bei allem Witz soviel Wissen um
alle menschlichen Schmerzen kennt. Ob er für sehr viele
Leser geschaffen sein wird, mag fraglich erscheinen; es
muß schon selbst recht viel Geist haben, der ihn in dieser
Konzentration bei solcher fast amerikanischer Zuspitzung
der Pointen goutieren soll. Immerhin erscheint das
Buch schon in fünfter und sechster Auflage, und so wird
es auch noch neue Freunde an der barocken Prägung
seiner Themen und Verse finden. Joachim Benn.

timmung.
Stimmung: ein viel gebrauchtes, viel miß-
brauchtes Wort. Auf der Gasse flattert es
umher; es ist wohlfeil geworden, es ist bereits der Ver-
achtung preisgegeben: nur eine Stimmung, sagt man.
Meist wird es mit seinem mißachteten Schwesterbegriff
„Laune" verwechselt. Und die für Wortcharakter Emp-
findlichen, die Feinfühligen und Feinhörigen, haben es
schon aus ihrem Sprachschatz ausgeschaltet. Greifen
wir es auf, erwerben wir es für uns, schaffen wir es
um, geben wir ihm Bedeutung, Wert, Rechtfertigung
zurück.
Stimmung. Warum soll ihr nur der Charakter des
Vorübergehenden, Leichtbeschwingten, Oberflächlichen
eigen sein? Gibt es nicht bleibende Gesamtverfassungen,
dauernde Stimmungen, Grundstimmungen? Hören wir,
was in Eckermanns Gesprächen mit Goethe darüber-
gesagt wird. Eckermann erzählt vom 2. April 1829:
„Beim Nachtisch ließ Goethe einen blühenden Lorbeer
und eine japanesische Pflanze vor uns auf den Tisch
stellen. Ich bemerkte, daß von beiden Pflanzen eine
verschiedene Stimmung ausgehe, daß der Anblick des
Lorbeers heiter, leicht, milde und ruhig mache, die
japanesische Pflanze dagegen barbarisch, melancholisch
wirke.
„Sie haben nicht unrecht," sagte Goethe, „und daher
kommt es denn auch, daß man der Pflanzenwelt eines
Landes einen Einfluß auf die Gemütsart seiner Bewohner
zugestanden hat. Und gewiß, wer sein Leben lang
von hohen ernsten Eichen umgeben wäre, müßte ein
anderer Mensch werden, als wer täglich unter luftigen
Birken sich erginge."
Also: die einzelne Pflanze, die Pflanzenwelt eines
Landes, die Natur hat ihre Stimmung. Sie haftet
ihr an, es ist das ihr Eigene, ihr Besonderes, ihre dau-
ernde Gesamtverfassung. Sie „geht von ihr aus", sie
teilt sich allem mit, was in Berührung mit ihr kommt,
unmerklich. Gilt das aber nur für die große Natur
draußen, für Bäume, Blumen, Wälder, Wiesen und
Felder, für Wasser und Fels? Gilt es nicht auch für
Mensch und Tier? Ganz gewiß! Sehen wir uns den
Menschen daraufhin etwas genauer an.
Was sind wir, als Persönlichkeit betrachtet? Das
Erzeugnis von zusammenstrebenden Familientendenzen,
von Überlieferungen, Lebensverhältnissen, Umgebung
usw. Wir sind etwas Wachsendes, Werdendes, Sich-
wandelndes bis zu dem Zeitpunkt, da die Selbstän-
digkeitselemente der Persönlichkeit zur vollen Reife
gelangt sind, da ihr Eigenes, Besonderes sich klar hervor-
kehrt, da sie sich kräftig sperrt gegen Beeinflussung,
Umbildung usw., vielmehr selbst ihre Eigenart auf-
prägt, ihren Stempel aufdrückt. Dann ist der Augen-
blick erreicht, von dem ab die Persönlichkeit eine Einheit
darstellt. Er ist schwer zu bestimmen, sowohl für die
Selbsterkenntnis wie für die Beobachtung Anderer.
Er liegt auch bei den verschiedenen Individuen an ganz
verschiedenen Stellen des Lebensalters. Aber da ist
er in jedem Einzelfall. Diese allmählich gewordene
Einheit der Persönlichkeit wollen wir ihre Stim-
mung nennen; als Persönlichkeit bilden wir eine
Gesamtstimmung. Sie ist das, was das Einzelwesen


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