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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Benn, Joachim: Otto Flake
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L.: Gustav Falke
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S., L.: Selma Lagerlöfs gesammelte Werke
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S.: Der Frauenbund zur Ehrung rheinländischer Dichter
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0088

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von der sinnlichen Liebe weiter auszuführcn, indem sehr viele
Nebenpersonen eingeführt werden. Dabei sind reizvolle Episoden
entstanden, nnd manche runden sich zu kleinen Novellen; aber sie
bleiben eben Episoden, die dem Ganzen nicht streng genug eingefügt
sind, so daß sie eine Lücke zu füllen scheinen. Schließlich ist auch die
thematische Aufgabe nicht endgültig gelöst. Die plötzliche Vereinigung
der Liebenden, die so lange nicht zusammen konnten, scheint mangel-
haft motiviert; denn während der Dichter will, daß das Trennungs-
moment auf der sinnlichen Unentwickeltheit der Frau beruht,
und deshalb annimmt, daß sie langsam reif wird, hat der Leser den
Eindruck, daß Rassenunterschiede im Spiel sind. Die waren natürlich
nur durch eine sehr erhebliche Steigerung der seelischen Zuneigung
der Liebenden für einander zu überwinden, und das widerspricht dem
ganzen Grundgefühl des Buches, das das Sinnliche über das See-
lische stellt, respektive das Seelische nur als Ausdruck des Sinnlichen
gelten lassen will.
Wenn diese Mängel mit solcher Breite aufgeführt sind, ist es
nur um der beträchtlichen Werte willen, die das Buch im übrigen
auszeichnen. Diese Werte liegen zum ersten im Sprachlichen: Flakes
Roman hat eine bedeutende Sinnlichkeit in der Umsetzung land-
schaftlicher, örtlicher, menschlicher Erscheinungsform in Worte;
Dabei hat sich seine Darstellungsweise entschieden von dem einiger-
maßen extremen Impressionismus des ersten Buches entfernt
und unterscheidet sich günstig selbst von der eines Flaubert durch
eine größere Freiheit, Unmittelbarkeit und Lockerheit, wofür man
freilich gewisse Flüchtigkeiten mit in den Kauf nehmen muß. Im
ganzen ist der Roman jedenfalls durchaus erzählt, freilich nicht in
der ganz strengen Form, die auf Kleist zurückgehend und einzig auf
die Durchführung der seelischen Handlung erpicht heute alle Be-
schreibung ausschließt, sondern in einer Weise, die deutsche Linien-
strenge mit romanischer Liebe für die Farbe zu vereinigen sucht
und auch die Möglichkeit zur Einschiebung rein psychologisch gehal-
tener Referate läßt.
Dem Laien mögen die inhaltlichen Werte mehr gelten:
Daraufhin betrachtet ist der Roman em bemerkenswerter Versuch,
auch die Kämpfe zwischen Mann und Frau, die auf rein sinnliche
Unstimmigkeiten zurückgehen, zum Gegenstand der Dichtung zu
machen. Ein paarmal turnt die Darstellung ja wohl auf Messers
Schneide; das ist, wenn die männliche Arroganz des Helden,
die im ersten Buche stellenweise störte, auch hier wieder hervor-
tritt, da die Frau dadurch in ihrer reinen Linkischkeit auf eine pein-
liche Weise bloßgestellt, degradiert, entwürdigt wird. Im ganzen
herrscht aber stets ein Ernst, der dem Buche bei aller äußeren Kühle
und trotz einer gewissen Flüchtigkeit der Mache stellenweise immer
wieder etwas Bedeutendes und selbst etwas Religiöses gibt;
falls man religiös schon den Versuch nennen darf, in Ehrfurcht
Schleier von den Abgründen menschlicher Existenz zu ziehen,
wo sie auch gähnen. In dem männlichen Ernste seiner sinnlichen
Lebenserfahrung — die schon in gewissen Aphorismen des ersten
Bandes vorgedeutet war — steckt auch die spezifische Note Otto
Flakes, die ihm eine Mittelstellung zwischen dem dichterisch freieren,
phantasiereicheren Renö Schickele und dem oberflächlicheren wenn
auch geschickten Alexander Castell gibt: In der Verbindung deutschen
idealen Lebensstrebens mit romanischer Sinnenhaftigkeit besitzt
er ein Gut, das ohne Arroganz im Leben eingestellt für die deutsche
Zukunft seine Wichtigkeit bekommen könnte. Joachim Benn.
/Gustav Falke
feierte am 11. Januar seinen sechzigsten Geburtstag.
Bei diesem Anlaß sind (bei Alfred Janssen in Hamburg) seine
„Gesammelten Dichtungen" erschienen, fünf schlanke angenehm
ausgestattete Bände, die zusammen 15 A kosten und alle Gedichte
Falles in neuer Ordnung vereinigen. Da im Laufe dieses Jahres
eine ausführliche Würdigung der Falkeschen Lyrik auf diesen
Blättern erscheinen soll, wird heute nur auf diese Ausgabe hinge-
wiesen: Falke, eine zumeist liebenswürdige, oft zartest vibrierende,
manchmal auch in den Tiefen ergriffene Natur, ist mehr, als
irgend ein Andrer aus der älteren Generation, und ganz im
dichterischen Sinn des Wortes, ein Lyriker des Hauses. Kein
Macher wie Presber; kein Nachahmer wie Carl Busse, mit dem
man ihn ungerechterweise öfters zusammen nennt, nicht Haus-
und altbacken wie Otto Ernst: selbst noch die am engsten um-
grenzten unter seinen Versen sind von festlichen Lichtern immer
entzündeter Kunst beglänzt. L.

elma Lagerlöfs gesammelte Werke?
Mit den Büchern der Lagerlöf wird es gerade so gehen wie
mit Andersens Märchen oder mit Shakespeares Dramen, sie werden
in unserer Nationalliteratur bleiben, ohne daß man sich viel daran
erinnert, daß die Dichterin eine andere Sprache gesprochen hat
als wir. Wer denkt daran, wenn es nicht gerade in der Schule
mit Hamlets Monolog ,,To bo or not to bo" geplagt worden ist,
daß Shakespeare anders als „Sein oder Nichtsein" sagte? Freilich
wird es immer Leute geben, die bei jedem übersetzten Dichter-
rufen müssen, wie viel schöner doch das Original sei; in unseren
gebildeten Tagen werden es ihrer sogar immer mehr, sodaß fast
Mut dazu gehört, Bücher zu besprechen ohne sie in ihrer Ursprache zu
kennen. Bei der Lagerlöf aber fühle ich deutlich, daß die Über-
tragung von Pauline Klaiber höchstens dämpft, was uns, die wir
nicht im nordischen Licht leben, zu grell wäre. Sonst aber haben
diese Bücher eine Lebendigkeit, die über alle Sprachgrenzen hinaus
verstanden werden muß, besonders von uns Frauen.
Gösta Berling, der landfahrende Dichter, wird allen Frauen
ein Held sein, und welche Frau Liljecronas Heimat liest, muß still
werden wie bei dem süßesten Frauenlob, das uns je ein Dichter
sang. Mit ihm hat die Lagerlöf den Frauen einen der liebens-
wertesten Helden geschenkt; und ohne die eiserne Majorin auf
Eckeby, die mit den Mannesstiefeln und im Schafpelz selber ihr
Eisen in die Hütte fährt, ohne die junge Gräfin Dohna, die wie
im Märchen mit bloßen Füßen über Steine und Schnee wandern
muß, kann man sich die Romanliteratur kaum noch denken.
Die meisten Bücher dieser merkwürdigen Frau sind wie einer
von jenen Wunderbeuteln, in die man die Kinder greifen läßt
und aus denen immer etwas Neues, Nichtgehofftes hervorkommt.
Da steht in den letzten Bänden eine Geschichte (sie hieß früher
„Herrn Arnes Schatz") die ist „so furchtbar prächtig wie blutiger
Nordlichtschein": wenn sich da eine ganze Nacht von Grausen
aufrollt und alle Ängste, die uns in der Welt jagen können, und
alle Helle Stille und Ordnung, auf die wir hoffen, sich mischen.
In unseren Tagen, die bei der Unerbittlichkeit ihrer Forderun-
gen so sehr auf Wunder warten, könnte ich mir denken, daß
diese Bücher allmählich den Platz einnähmen, den in einer engeren
von Vorurteilen eingeschnürten Zeit, die um ihre Freiheit kämpfen
mußte, die Bücher von Gustav Freytag oder Spielhagen hatten.
Nicht, daß sie irgendwie damit zu vergleichen wären, so wenig die
engbrüstige Zeit von damals mit unserer Ähnlichkeit hat; aber wie
jede Zeit ihre Ideale und Träume, so wird auch jede ihre Hausdichter
haben, und zu denen, die unseren Tagen Bilder schaffen, wie unsre
Träume sie suchen, werden wir Selma Lagerlöf zählen müssen.
L. S.
er Frauenbund
zur Ehrung rheinländischer Dichter
hat in diesem Jahr den schwäbischen Dichter Christian Wagner
durch eine Auswahl seiner Gedichte geehrt, die Hermann Hesse
besorgte und einleitete. Christian Wagner, auf den ich wiederholt
herzlich hinwies, ist ein schwäbischer Bauer, der als 78jähriger
in Warmbronn bei Leonberg lebt und seit 1885 der deutschen
Dichtung eine Reihe von Büchern geschenkt hat, die bisher nur von
Wenigen geachtet und geliebt wurden. Sie sind in ihrer Gesinnung
durchaus nicht bäuerisch derb, eher könnten sie von einem ver-
einsamten Landpfarrer geschrieben sein, der inmitten der ein-
fachen Gläubigkeit seiner Gemeinde seine eigene fremde Welt
hat, darin mehr indische Weisheit als luthersches Bibelwort lebt.
Äuch die künstlerische Form seiner Dichtungen kommt eher aus
dem Reich einer vereinsamten Bildung als aus einer landläufigen
Urwüchsigkeit: die klassische Zeit klingt darin auf eigene Weise
nach und gibt den Versen etwas Zeitloses, das manchmal unmittel-
bar aus dem Geheimnis der Poesie auszuquellen scheint, unendlich
fremd in einer um ihre Modernität besorgten Welt, unendlich
rührend, manchmal erschütternd durch seine reine Schönheit.
Der Frauenbund hat mit der Ehrung Christian Wagners
das Lob, das ihm Kyser in seinen vielbemerkten Angriffen auf die
Schillerstiftung als einer vorbildlichen Einrichtung spendete, aufs
neue und, wie man diesmal mit allem Sinn der Wörtlichkeit
sagen darf: aufs schönste verdient. S.
* Selma Lagerlöfs gesammelte Werke, Originalausgabe in
10 Bänden. Einband von Alf. Woelfle. Zehn Leinenbände
35 Mk., Halbfranz 50 Mk. Verlag Alb. Langen, München.



Verantwortlich: Wilhelm Schäfer. — Druck und Verlag: A. Bagel, Düsseldorf. — Kunstdruckpapier: I. W. Zanders, B.-Gladbach.
Alle redaktionellen Sendungen sind an den Herausgeber Wilhelm Schäfer in Vallendar a. Nh. erbeten.
Für unverlangt« Manuskripte und Rezensionsexemplare wird keine Verpflichtung übernommen. Rückporto ist beizulegen.
 
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