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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Becker, Franz Karl: Der Mönch von Cluny
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Benn, Joachim: Parallelismus in der Epik
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0210

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Der Mönch von Cluny.
und sprachen: „Er verdarb ihn mit Mühsal und ließ
ihn hungern. Sind wir denn die Knechte des Herzogs?"
Und wieder erging sich der junge Mönch mit seinem
Beichtiger im Klostergarten. Seiner Sünde zieh er sich
an. Der Greis verstand ihn und vergab ihm. Von der
Liebe Gottes und von der Milde des Christus sprach er
ihm. Er fühlte, wie dem Jüngling Verzweiflung und
Liebe die Seele zerriß. Bei sich sprach er: „Zitternd
steht er im Getümmel seiner Sünde, allzu jung ist er.
Ihm fehlt des Mannes herbe Kraft." Einmal sah er
auch nach ihm beim Chorgebet am Morgen, sah seine
Augen fiebernd und hörte ihn heiße Worte lispeln.
Von da an hörte er nicht auf, für ihn zu sorgen. Kein
Tag verging, daß er nicht Gebete um ihn stammelte.
„Herr, Herr, erbarme dich seiner," sprach er dann.
„Seine Liebe ist allzugroß."
Der junge Mönch gedachte der Herzogin ohne Unter-
laß. Oft stand er am Fenster in der Nacht und rang die
Hände. „O meine Liebe," murmelte dann sein Mund,
„wie habe ich dich geliebt, o meine Liebe, wie habe ich
dich geliebt. Mehr als alle meine Brüder habe ich dich
geliebt. Mehr als Gott selbst und seine Gnade und
seinen Lohn.^
Er siechte immer mehr hin. Eines Abends lag er,
da stürzte Blut aus seinem Munde. Er berief Abt Odilo
zu sich, beichtete ihm und sprach: „Ich habe die Herzogin
geliebt, ich habe mit ihr des Leibes gefrönt, solange
ich bei ihr war." Darauf rang er mit dem Tode. Abt
Odilo schauderte vor der Sünde. Doch vergab er dem
Sterbenden um der Liebe Gottes willen.
Der junge Mönch seufzte und starb in seiner Qual.
Abt Odilo ließ die Totenglocke läuten und die Mönche
versammeln. Durch den Kreuzgang zogen sie nach der
Kirche und beteten laut.
Da kam ein zerfetztes, müdes Weib an die Kloster-
pforte und pochte um Einlaß. Sie setzte sich und ruhte
aus. Da kam ihre schwere Stunde, sie gebar ein Knäblein
unter Schmerzen. Als der Pförtner kam und ihr auf-
schloß, erschrak er sehr. Viele Mönche stürzten herbei.
Sie betteten sie in ein Gemach und liefen um Abt Odilo.
Als nun Abt Odilo kam, schlug sie ihre Augen auf
gegen ihn, da erkannte er die Herzogin. Schweigend
starb sie in seinen Armen.
Und Abt Odilo, der Heilige, sprach: „Herr, vergib
ihnen. Stärker als Menschenzwang und Not und Tod
ist die Liebe. Viele Wasser der Trübsal vermögen sie
nicht auszulöschen!"
Durch den Gehorsam befahl er: „Öffnet die Gruft,
daß man sie nebeneinander begrabe. Aber um das Kind-
lein will ich Sorge tragen. Gott erbarme sich unser."
So geschah es.

arallelismus in der Epik.
Als Erzähler sowohl wie als Dramatiker kann der
Dichter gemeinhin ein Begebnis aus der Wirk-
lichkeit nicht so zum Gegenstände seiner Dichtung machen,
wie es sich in Wahrheit zugetragen hat: Mehr oder-
weniger bewußt muß er vielmehr an dem ihm aus der
Wirklichkeit zukommenden Stoff Veränderungen vor-

nehmen, wenn er mit ihm zu einer starken, reinen und
damit auch dauernden Wirkung kommen will. Das
erste Gesetz, das er, mit menschlichen Handlungen
komponierend, zu befolgen hat, ist dabei wohl das der
Einheitlichkeit der Handlung, d. h. die Gesamthandlung,
die er zusammenfügt, muß eine logische und klare Be-
ziehung zwischen Anfang und Schluß aufweisen, was
die Aufgabe in sich schließt, den zugrunde liegenden
Konflikt auf seine reinste Form zu bringen und von
Rudimenten anderer Konflikte zu reinigen, die nur
durch die der Wirklichkeit entnommenen Personen
zufällig mit den: Hauptkonflikt verbunden sind. Das
zweite Gesetz, das befolgt sein will, ist das des architek-
tonischen Aufbaus der Handlung, wonach die Handlung,
wofern sie nicht in der Skizze stecken bleibt, in einer
Katastrophe kulminieren soll, die mit genügender Breite
vorbereitet, unterbaut und entsprechend dann auch auf-
gelöst werden muß. Besonders wichtig ist dabei die
Auflösung des Konflikts, denn nach dem geheimnis-
vollen Gesetz, daß der Mensch in der Kunst zwar ergriffen
aber nicht niedergedrückt sein will, darf die Handlung
nicht in der Tiefe rettungslosen Schmerzes endigen,
sondern muß, tatsächlich oder für das Gefühl des Lesers,
doch irgendwie wieder in die Höhe führen, und zwar
gerade so hoch, wie sie zuerst in die Tiefe ging. Schon
zu den Raffinements im Bau gehört das Gesetz der
Unistellung, wonach in gewissen Fällen zur Erhöhung
oder Sicherung der Wirkung gewisse Teile der Hand-
lung umgesetzt werden können, eine Pointe etwa an
den Anfang, oder die Einleitung kurz vor die Kata-
strophe. Und das Gesetz, in dem alle Komposition
gipfelt und die Kunst sich gleichsam auch in der Poesie
endgültig zum Herrn der Wirklichkeit macht, ist das
Gesetz des Parallelismus.
Das Gesetz des Parallelismus ist in unserer Zeit
schon viel genannt worden, nur nicht im Gebiet der
Dichtung, sondern in dem der Malerei; Hodler hat,
besonders in den großen Kompositionen seiner mittleren
Schaffensperiode, den Parallelismus viel benutzt, indem
er auf seinen Bildern häufig eine ganze Reihe von
Personen in gleicher Kleidung und gleicher Haltung
nebeneinander stellte. Seine Absicht war dabei natürlich
eine formale, denn die rhythmische Wiederholung des-
selben Motivs wird vom Menschen als schön empfunden,
allein die Ausführung ist bei ihm doch immer mit Ge-
danklichem verknüpft: Die gleiche Haltung und die gleiche
Kleidung soll zum Ausdruck bringen, daß die Personen
in der gleichen Gemütsverfassung leben, während
gewisse, sehr sorgfältig berechnete Unterschiede in der
Handhaltung etwa die Unterschiede in der Gemüts-
stimmung und der Charakterbildung symbolisieren.
Hodler zwingt den Beschauer also, sich gegenständlich in
den Inhalt des Bildes zu vertiefen, und gibt damit den
früheren immer wieder einen Hauch von Symbolischen:,
ja Literarischem, von einem Inhalt, der nicht vollkommen
in die Form aufgelöst ist, sondern gedanklich aufgesucht
sein will. Diesen Mangel vermeiden gewisse Bilder
der jüngsten Malerei, wo der Parallelismus allein
formalen Absichten dient; Pechstein etwa verteilt, in
der Grundform eines Dreiecks oder sonst einer Figur,
über eine Wand eine Reihe von Gestalten, die in auf-


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