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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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L. G.: Im Goethehaus zu Frankfurt a.M.
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Schäfer, Wilhelm: Ein Schauspielhaus zu verlieren!
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0423

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Hof damit entgegen, und so kann es einem begegnen, daß man
über dem modernen Betrieb dieser Handelsstadt ganz vergißt,
wie Welt-, Kunst- und Literaturgeschichte ihr zuzeiten Geschenke
von einzigem Wert gemacht haben; wenn man dann doch
auf den Römerberg geht und der Platz mit dem Brunnen daliegt
wie eine verlassene Bühne, auf der gleich wieder das Spiel der
Weltgeschichte losgehen kann, dann braucht einen nur ein Mann
mit seinem Gerüst voll Ansichtskarten anzufallen, um den heimlich
Frohen wieder ängstlich zu machen.
Aber so sind wohl nur ältere Menschen, denen schon zu oft
die Aufmachung ihre schönsten Vorstellungen gestört hat. Meine
zwölfjährige Tochter, die noch mit Hellen Iungmädelaugen diese
alte Pracht anschaute, rief auf einmal erfreut, ach, hier in Frank-
furt ist ja auch Goethe geboren! Schon hielt der Ansichtskarten-
mann einen ganzen Fächer zur Auswahl hin. Aber das Mädel
blieb bei der Sache, sie fragte wo der Hirschengraben sei, und bald
waren wir dahin unterwegs. Nie war ich dort gewesen und eine
Stimmung wie vor einem Theatervorhang stieg in mir auf. Die
Erinnerungen an die ersten Seiten aus Dichtung und Wahrheit
kamen und beim Gang durch die ziemlich breite, ganz unmalerische
Straße verglich ich rasch die Eindrücke und diese Erinnerungen,
wie einer noch eine Rolle überdenkt, die er im nächsten Augen-
blick spielen soll, ehe der Vorhang hochgeht. Das Auge suchte
nach den ersten Anzeichen der Sehenswürdigkeit, denn so ist unser
Gefühl schon gewöhnt, die bedeutsamen Stätten durch Schilder,
Cafes und einen Schwarm von Händlern angezeigt zu finden,
daß ich hier im großen Hirschengraben ein Wirtshaus, das den
Namen des großen Dichters trug, mit einer Art von Genugtuung
endlich sah. Gegenüber lag das Goethehaus. Ganz ohne Prätension
trug es seine Tafel mit dem Namen, ordentlich hielt es sich in der
Reihe der anderen Häuser, und das gelbe Auto, das vor der Tür
hielt, stand nicht anders da, als habe eben, es war gerade 12 Uhr,
jemand bei der alten Rätin seinen Besuch zu machen, und leicht
folgte ich dem Wunsch des Mädels, nun auch das Haus von innen
ansehen zu dürfen.
Man kann die Tür nicht ohne Scheu öffnen, als müsse man
eine besondere Art von Haltung und Zeremoniell annehmen;
und auf einmal hatten das Mädel und ich die Rollen getauscht:
Sie war die Unbefangene, die alles mit den Augen ansah wie
es nun war; ich war die Gebundene, auf die alles zukam, wie es
einmal gewesen war. So sehr tritt einem der Geist des Hauses
schon an der Tür entgegen, es ist nichts da von Wiederherstellung,
keinen Augenblick wird man getäuscht, daß man im Januar 1913
und nicht im Januar 1753 ist, und doch ist man in dem Hause,
wo unten im großen Familienzimmer die Mahlzeiten unter den
Augen des bürgermeisterlich strengen Hausvaters gehalten wurden.
Die leicht verstaubte Küche dahinter ist verlassen, denn für den
Geist, der das Haus bewohnt, muß ja nicht mehr gekocht werden,
und es ist einem lieber, als ständen da und dort noch die Pfannen
und Teller wie eben gebraucht. Es sind ja Geister, die in dem Hause
leben und die schöne breite Treppe benutzen, die nach dem ersten
Stock führt: Thorane, der Königsleutnant, Karl August der Fürst,
die alte Frau Rat, Wolfgang und Cornelia leben in diesen Zimmern,
die in allem keine Pracht zeigen und doch die einzig schöne Köst-
lichkeit der Räume haben, in denen Menschen von solcher Bedeu-
tung lebten, daß die Möbel ganz bedeutungslos werden. So geht
man leicht von einem Zimmer ins andere, keinen Augenblick von
dem Meiningertum gestört, das gleich unseren Kunstgewerbemuseen
die meisten Stätten historischer Erinnerung beschwert, und Menschen
gerade da abstößt, wo sie in der Erinnerung einen Augenblick
andächtig sein möchten. Diese Andacht läßt uns das Goethehaus
in Frankfurt, und ob man nun Frau Rats Musikzimmer mit den
alten Instrumenten oder die Arbeits- und Spielstuben des Knaben
Wolfgang betritt, der Geist des Hauses lebt in allen und füllt die
Leere der nur spärlich möblierten Räume. Goethes Geburts-
zimmer ist ein kleiner dämmeriger Raum, der Licht vom Hof
her hat, nun sieht es fast wie ein Sterbezimmer aus mit seiner-
weißen Büste und den paar verstaubten Kränzen, sonst ganz leer.
Und doch steht man einen kurzen Augenblick still und dann betroffen
von dem Wesen, das darin ist. Man sieht den bescheidenen Raum,
und der ältliche Mann, der die Führung so zurückhaltend und
würdig macht, bemerkt etwas über das Wunder, daß in diesem
unscheinbaren Raum der als kleines Kind lag, der noch lange
für uns als Erscheinung einzig bleiben wird. Er schließt dann noch
einmal die Festräume des Hauses auf, zeigt in einem andern
Zimmer die Tapete, die Goethe mit ausmalen helfen durfte; und
nicht ein einziges Mal verirrt er sich zu einer prahlerischen An-

merkung. Selbst ganz oben in den Stuben, die die Erinnerungen
an Goethe den Knaben, an sein Kasperletheater und an seine
Erlebnisse über der Gasse bergen, nimmt man ohne Widerwillen
das dicke Buch an, in das nun mein Mädel an Goethes Schreib-
pult mit seiner eckigen Schulschrift seinen Namen schreibt, unbe-
fangen und garnicht beschwert von der Menge der Erinnerungen,
die uns aus solchen Dingen anrufen.
So verlassen wir das Goethehaus nach einer halben Stunde,
gerade so lange wie eine kurze Visite gedauert haben könnte, und so
bestrahlt von dem Geist des Hauses, als hätte uns Frau Rat selbst
empfangen. Und dabei ist uns außer einem Schattenriß nicht mal
ein Bild von ihr oder gar ein Faden von einem Gewand begegnet.
Doch halt, es gibt auch ein Goethemuseum dabei. Das haben
wir natürlich nicht angesehen und das wird wohl das Geheimnis
dieses Goethehauses sein, man hat all den Erinnerungskram nicht
hineingelassen, und wer sich nun für Goethes Taufmützchen sowie
für die Tabakdose des alten Rat interessiert, der mag dahin gehen,
wo man, wie ich vermute, dies alles aufgestellt hat. Wer aber
den Geistern des Hauses begegnen will, der soll nur die schwere
Haustür im Hirschengraben öffnen, er braucht nicht bange zu sein,
sie sind noch immer so vornehm und gastfreundlich wie zu den
Zeiten, da Herr Rat Goethe dieses Haus mit der Bequemlichkeit
des bürgerlichen Wesens einrichtete, das noch heute für Frankfurt
als eigenstes gilt. L. S.
in Schauspielhaus zu verlieren!
Im Augustheft hat Julius Bab eine nicht erbauliche Über-
sicht über das „theatralische Jahr 1912/13" gegeben und damit
ungewöhnliche Beachtung gefunden, die sich in zahlreichen Ab-
drucken äußerte. Wie eine Illustration zu seinen pessimistischen
Betrachtungen muten die Nachrichten an, die nun über das „Düssel-
dorfer Schauspielhaus" durch die Presse gehen. Frau Dumont
und ihr Gatte Lindemann haben um Lösung ihrer Verpflichtungen
mit Ablauf dieser Spielzeit gebeten, wie es heißt, weil ihnen
infolge des Münchener Gastspiels dort Angebote gemacht worden
sind, ihre Idee einer Theaterakademie auszuführen. Cs mag
sein, daß der Wechsel von Düsseldorf nach München etwas Ver-
lockendes hat, aber darüber wird sich niemand täuschen, daß nicht
diese Lockung, sondern eine tiefgehende Verbitterung über den
Mißerfolg in Düsseldorf der Grund ist.
In unserer Zeitschrift ist oft genug von den Leistungen dieser
Bühne mit Bewunderung gesprochen worden, und daß diese Be-
wunderung berechtigt war, daran wird niemand im Rheinland,
der ihre Vorstellungen gesehen hat und zu einer eigenen Ansicht
in Theaterdingen befähigt ist, ernsthaft zweifeln: ich glaube, man
darf ruhig sagen, an Anerkennung hat es dieser Bühne nicht gefehlt
— wohl aber an Einnahmen. Wie man hört, soll die Stadt Düssel-
dorf vorhaben, auch für das nächste Jahr wie in diesem einen Zu-
schuß von 55 Tausend Mark zu bewilligen; leider aber beträgt
das jährliche Defizit, das von Freunden des Theaters getragen
wurde, mehr als das Doppelte, und das ist als jährliche Zulage
eine recht beträchtliche Summe, die den finanziellen „Erfolg" aufs
peinlichste dartut.
Es liegt natürlich nahe, aus diesem Ergebnis aus die Theater-
liebe und das künstlerische Verständnis der Düsseldorfer eine Trauer-
rede zu halten; aber gerade die Darlegungen von Bab haben dar-
getan, daß es sich nicht um einzelne Krisen, sondern um einen all-
gemeinen Zustand handelt, der sich drastisch so ausdrücken läßt,
daß im Theater das Angebot in einem grausamen Mißverhältnis
zur Nachfrage steht. Cs hat keinen Zweck, sich hierüber mit der
Annahme einer beklagenswerten Unbildung des Publikums zu
täuschen; wie man ziemlich überall sehen kann, vermag auch der
blödeste Unterhaltungskram die Bühnen nicht zu halten, und das
Düsseldorfer Schauspielhaus hat sich durchaus nicht aufs hohe
Roß eines geläuterten Repertoires gesetzt, sondern ist dem Unter-
haltungsbedürfnis notgedrungen weiter entgegengekommen, als
es der Schillerschen Schaubühne als moralische Anstalt entsprochen
hätte. So oder so, unsere Theater sind unrentable Institute, die
zum Teil im Verhältnis zu sonstigen Bildungsangelegenheiten un-
geheure Zuschüsse verschlingen; und man darf ruhig sagen, wenn
es keine Subventionen gäbe, existierte das deutsche Theater in
der heutigen Gestalt nicht mehr. Wenn man auch den anderen
Künsten Subventionen nachrechnen kann — mit Ausnahme der
Dichtkunst, die auf ihr gutes Glück allein gestellt ist —, so bean-
sprucht doch keine von ihnen solche Mittel wie die Bühne — man
sollte einmal nachrechnen, wieviel eine Stadt jedem einzelnen


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