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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Hansen, Margret: Fête champêtre
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Stoessl, Otto: Adalbert Stifters "Nachsommer"
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0250

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Mts obainpstrs.
„Du kannst es leicht," sagte er, schob den Vorhang
zur Seite, hinter dem die Truhe halb verborgen gestanden
hatte, und enthüllte eine Türe. „Also rufe mich, wenn
ich wiederkommen soll." Sie nickten einander zu und
Clemens ging.
Beatrir streifte schnell Kleid und Schuhe ab, strich
zärtlich über das neue Gewand und legte es an, sah voll
Entzücken, wie es ihre Glieder umschmeichelte, schmückte
sich mit Band und Gürtel und zog die neuen kostbaren
Schuhe an. Dann eilte sie zur Tür und klopfte. Als
Clemens nicht gleich erschien, drückte sie leise den Griff
nieder und öffnete den einen Flügel. Sie trat in Clemens'
Arbeitsgemach, das sie kannte. Es war dunkel darin,
die Türe zum Balkon und Garten stand offen und der
Nachtwind strich herein. Beatrir rief mit verhaltener
Stimme Clemens' Namen. Es kam keine Antwort.
Beatrir ging geräuschlos über den dicken Teppich dahin,
wo ein Lichtschein aus dem anstoßenden Zimmer herein-
fiel. Dort war Clemens' Wohnraum, dessen Fenster
geschlossen waren und der erhellt wurde von Kerzen,
die in einem fünfarmigen silbernen Leuchter auf dem
Tische brannten. Der eintretenden Beatrir schritt aus
dem der Türe gegenüberhängenden großen Wandspiegel
ihr Bild entgegen. Sie sah sich — so unerwartet ge-
spiegelt — wie eine Fremde und wunderte sich ihrer
eigenen Schönheit. Ganz versunken, im reinsten, un-
schuldigsten Genießen ihres Anblicks, verharrte sie vor
dein Spiegel und sah jetzt Clemens eintreten, mit Kirsch-
blüten in der Hand, die er eben gebrochen hatte. Beatrir
rührte sich nicht und ließ Clemens nahe herantreten.
Ihre Augen grüßten sich im Spiegel. Er blieb hinter ihr
stehen und legte sanft seine Arme um sie.
„Ich sehe etwas ganz Neues," flüsterte das Mädchen.
„Was siehst du denn, Liebe?"
„Wie schön du mich machst," antwortete sie glücklich,
wandte sich und schlang rasch und heftig ihre Arme um
Clemens' Hals. Er küßte sie und begann, ihr Haar mit
den Blüten zu schmücken.
„Nun sieh dich an," und er drehte sie sanft dem
Spiegel wieder zu.
Sie nickte sich zu und antwortete: „Ja, wie eine
geschmückte Braut."
„Die du ja auch bist," lächelte er.
Sie sprach: „Ich meinte — eine Braut an ibrem
Hochzeitstage." Nach einer Pause: „Clemens, könnte
ich doch dieses Kleid, das ich von dir habe und so sehr
liebe, am Hochzeitsfeste tragen . . ."
Nach den Worten eine Stille. Und Clemens sah,
wie in dem süßen, offenen Angesicht hinter der klaren
Stirn die Gedanken zogen, und wie Beatrir in ihrem
einfachen, wahren Fühlen einem Wunsche, der plötz-
lich und überraschend aufgestiegen war, ruhig nachging.
Clemens stand ein paar Schritte von ihr entfernt,
näherte sich ihr nicht und wartete, daß sie ihr Auge auf
ihn richten würde. Sie tat es und las in seinem Blicke,
der sie voll heißer und fast ehrfürchtiger Liebe umfaßte,
daß er jeden ihrer Gedanken erraten hatte.
Ein warmes Rot überflutete langsam ihr Gesicht,
den Mund teilte ein neues Lächeln, in dem sehnendes
Bitten und süßestes Gewähren zugleich war; nicht ihr
Fuß, nicht ihr Arm rührte sich, keine Bewegung als dies

Erröten, dieses Lächeln und der hingegebene, auf dem
geliebten Manne ruhende Blick der sich voll erschließenden,
leuchtenden Augen, die rein und offen den Wunsch ver-
kündeten, den das junge Herz gefaßt hatte.
Clemens konnte sich nicht erinnern, je bei einer Frau
eine lieblichere und hoheitsvollere Gebärde der Hingabe
erlebt zu haben, und als er zu Beatrir trat, ihr blondes
Haupt in seine Hände faßte und küßte, geschah es mit
einem Gefühl der Liebe und des Dankes, das er noch
keiner Frau vorher geschenkt hatte.
q- q-
*
Der nächste Morgen war voll jenes hohen Glanzes,
wie ihn nur diese Frühlingszeit aufweisen kann, der die
Blumen ihr reiches Blühen, die Vögel ihre lieberfüllten
Lieder schenken.
Clemens bot Beatrir den Guten Morgen und legte
lächelnd einen Schlüssel in ihre Hand, von dem sie erriet,
daß er den Schrank mit den Kleidern der sieben Frauen
verschloß. Darauf neigte sich Clemens und küßte beide
Hände der Beatrir.
Mit einer unwillkürlichen Bewegung preßte sie
ihre Hände auf ihr Herz und streckte sie wieder aus, als
reiche sie Clemens das lieberfüllte entgegen. Ihre
Augen waren so leise und leicht umschleiert, daß es kaum
zu erkennen war, und doch war es dieser feine Hauch,
der, den Glanz der Blicke leicht verhüllend, sie süßer
und heißer machte, als sie vordem gewesen waren.
Das Frühstück war eingenommen. Der Diener mel-
dete, daß der Wagen vorgefahren sei, war Beatrir beim
Umlegen des Mantels behilflich, reichte Clemens Hut
und Stock und eilte, die Türen vor den Fortgehenden
zu öffnen.
Clemens bot Beatrir den Arm, beugte sich und
flüsterte, strahlend und übermütig wie ein Knabe, in
ihr Ohr:
„Frau Gräfin, wir fahren unsere erste Visite!"
dalbert Stifters „Nachsommer".*
Mit der Stellung Adalbert Stifters, des größten
österreichischen Prosaikers, in der deutschen
Welt innerhalb und außerhalb seiner Heimat, ist es
wunderlich beschaffen. In den engeren Grenzen des
Vaterlandes bedeutet Stifters Name und Werk den
guten Schutzgeist, dem die Jugend anhängt, bevor sie
ihren eigensten Zielen nachstürmt und den das Alter
verehrt, das, selbst ein Teil Vergangenheit, in den
Schöpfungen dieses Dichters das verklärte Bild zucht-
voller Menschlichkeit und anmutigen Bescheidens, mit
einem Wort: die österreichische Idealität erblickt, deren
gefaßte Resignation das Schicksal alles Größeren im
Lande und so auch Stifters höchstpersönliche, durch
Weisheit gemilderte Tragik gewesen ist.
Aber diese alten Leute und diese halben Kinder
sind von jener eigentlichen Lebensfülle gleich weit ent-
fernt, die den Geist jeder Zeit ausmacht: die alten,
weil sie neue Ideen, Mächte, Wünsche und Werke nicht
* Vorrede zu einer demnächst bei Georg Müller, München,
erscheinenden Neuausgabe.


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