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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Goschmid, Kasimir: Das Wiedersehen
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Bab, Julius: Theatralisches Jahr
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0335

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! Er zweifelte nicht mehr. Er wartete Stunden, als
ob das nichts wäre. Als greife Warten nicht in den Hals
wie eine Zange, als sei es nicht schöner, auf Disteln zu
schlafen viele Nächte lang mit seiner weißen Haut, als
eine Viertelstunde lang auf eine Frau zu warten.
Wolfgang aber wartete auf Angelika. Warten war
ihm ein Nichts.
Dann ging die Tür in einem feinen Spalt. Er
fieberte. Riß die Klingel herum. Alle Lichter sollten
sich entflammen! Es war nicht Angelika.
^„Wer bist du?" fragte seine Stimme.
„Azzahra."
Was war das? Azzahra. Den Namen hatte er
gehört. Ein schöner Name war es wohl. — Die Stimme
sagte etwas. Er hörte hin. Es klang noch einmal. Fast
näher. Nun: „Die Börse" . . .
Es wurde herzschlagstill.
Ein tickendes Geräusch hob an, fuhr fort, übereilte
sich. Er sah danach. Blut! . . . tropfte und floß schon
fast aus ihrem Ärmel. Seine Augen griffen es auf.
Nun wußten es seine Hände: Blut! Er lief nach Watte,
suchte Scharpie und Leukoplast, legte ihren Arm bis zum
Ellenbogen ins Wasser. Während er verband, erzählte
sie, langsam und leis. Immer war es, als sprächen
ihre Augen und nicht ihr Mund. „Die Börse," sagte
sie. Er nickte.
Jetzt verstand er es ganz. Ja, es war Gold darin.
Was schadete es. Sie hob den Kopf. Sie wollte von
ihm kein Gold. Stundenlang gesucht hatte sie ihn. Sie
wollte nicht tanzen mehr in den letzten Wochen. Endlich
wußte sie, wo er wohnte. Man ließ sie nicht ein. Sie
hatte das Tor überstiegen. Die Staketen wollten ihren
Arm behalten. Sie riß ihn zu sich. Blut klang auf
den Stiegen. Die Börse. —
Wolfgang holte Wein. Wie er zurückkam, lag sie
ohnmächtig am Boden. Er hob sie auf und trug sie
auf sein Bett. Ihr Kleid lockerte sich und glitt auf ihre
Füße. Die Funken der elektrischen Birnen tanzten,
zuckten glüh auf dem gehaltenen Braun ihrer Haut.
Er rieb ihr die Schläfen mit Essenzen und legte ein
nasses Tuch auf ihr Herz. Als sie Wein getrunken
hatte, liefen die Wangen rötlich an. Es war heiß im
Zimmer und Wolfgang öffnete die Fenster weit. Nach-
her schlug sie die Augen auf, lächelte. Wie konnte
sie lächeln. Sie spürte nicht, daß sie nackt war. In
ihren: Lächeln war nichts von ihrer Nacktheit. Sie
schlief über ihr Lächeln ein, während der Atem regel-
mäßig ging.
Viele Stunden überschwemmten ihn, die er neben
seinem Bette saß. Als sie abgelaufen waren, trat er
hinüber und küßte die feinen Enden ihrer Brüste. Die
Lilien in der Etagere hatten sich gelöst und einige waren
auf sie heruntergefallen.
Ehe sie erwachte, ging Wolfgang zum Fenster, um
zum letzten Male und voll Dank Angelika zu flüstern.
Er lächelte in dem Gedanken an den Mittag, wo er
gebangt hatte, in welcher Form sie zu ihm kommen
würde. Er schaute hinaus und sah das Gebirge hinter
Cordova herb vom Himmel umrissen. Deutlich sah er
die Zitronenhaine aus dem Licht herausbrechen, und die
Reihen der Myrten, die um sie geschnürt standen, hingen
glänzend und erregt dem Mond im Arm.

theatralisches Jahr.
Das Drama ist mehr als bloßes Theater, aber
das Theater ist auch mehr als bloßes Drama.
Zwei Kreise sind unlöslich ineinandergeschoben, sie
haben ein großes Stück Fläche gemeinsam, aber sie
decken sich nicht, denn sie haben einen verschiedenen
Mittelpunkt. Sie leben beide von: Schaustellen bewegter
Menschen; aber das Drama hat ein sprachlich geistiges,
das Theater ein körperhaft sinnliches Zentrum. Durch
die Körperkunst des Schauspielers tritt ein völlig neues,
legitimes und souveränes Element künstlerischer Wirkung
zu der Dichtung des Dramatikers hinzu und die Ver-
mählung der schauspielerischen Schöpfung mit der dich-
terischen Idee in einer Welt rhythmisch bewegter Sicht-
barkeiten wird die selbständige Leistung des Theaters.
Man hat deshalb keineswegs alles in diesem Umkreis
Wichtige gesagt, wenn man von der Entwicklung der
dramatischen Produktion innerhalb eines bestimmten
Zeitraumes gesprochen hat. Das Bühnenerlebnis ist
Produkt aus zwei Faktoren, die sich beständig unter-
einander beeinflussen. Ganz gewiß erzwingt ein neues
Drama sich allgemach eine neue Theaterkunst, aber
ebenso gewiß wird Tempo rind Richtung der dramatischen
Entwicklung vielfach vom Wesen der vorhandenen
theatralischen Kräfte bestimmt werden. So ist es selbst
für das Drama wesentlich, was die souveräne Würde
der Bühnenkunst schon an sich verlangen kann: eine
besondere Würdigung der spezifisch-theatralischen
Elemente vorzunehmen.
Von einer wirklich fortschreitenden, positiven Ent-
wicklung unserer Bühnen kann man, wie mir scheint,
nur auf einem Gebiet sprechen, und das ist charakteristi-
scherweise dasjenige, das vom Künstlerisch-Schöpferischen
am weitesten entfernt und dem Jndustriell-Technifchen
am nächsten ist. In der Theatertechnik machen wir
Fortschritte, zweifellos! Der weißgemauerte Horizont,
wie ihn jetzt beispielsweise das „Deutsche Theater" in
Berlin besitzt, ermöglicht dem Beleuchter Licht- und Luft-
wirkungen, wie sie im Reich der bemalten Leinwand
nie zu erreichen gewesen sind; und für das Charlotten-
burger Opernhaus hat man ein ähnlich massives Himmels-
gewölbe sogar beweglich und verstellbar eingerichtet.
Die Drehbühne bleibt, trotzdem man sie wie alle Technik
mißbrauchen kann, bei richtiger Benutzung ein glänzendes
Werkzeug, das für die Belebung eines ungestrichenen
Shakespeare zum Beispiel herrliche Dienste tut. Aber
sie kommt erfreulicherweise zu keiner Alleinherrschaft;
man studiert und probiert die Vorteile von Verschiebe-
bühnen und Versenkbühnen, die die Chancen der schnellen
Verwandlung in anderen Variationen bieten. Im
neuen Dresdner Schauspielhaus baut man jetzt an einer
Kombination all dieser Verwandlungs- und der ver-
schiedenartigen neuen Beleuchtungsanlagen, die wahr-
fcheinlich den Gipfel des heute Erreichbaren darstellen
wird.
Zumal mit ihren Erfindungen auf dem Gebiet der
Beleuchtung — die indirekten, die grellen Rampen-
schatten beseitigenden des Fortunysystems sind be-
fonders wichtig — greift die Technik nun freilich schon in
ein künstlerisches Gebiet ein: Der Theatermaler erhält
in dem Grade reinere künstlerische Möglichkeiten, in dem
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