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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Schäfer, Wilhelm: Kölnische Beichte: eine Rheinsage
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Dünwald, Willy: Hebbels Verklärung
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0166

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Kölnische Beichte.

Nun machte es der böse Feind, der selche Brüder
zu fangen stets geschäftig ist, daß noch am selben Morgen
der Herzog von Burgund auf seiner Fahrt nach Holland
mit einem Schiff in Köln anlangte, das mit Wimpeln
und kostbaren Decken den Müßigen und denen, die an
der Neugier litten, ein willkommenes Schauspiel bot.
Auch der Weinhändler war mit allen Sinnen dabei,
und als er endlich unterm Glockenschlag zwei zu Hause
ankam, da hatte er den Kopf so voller bunten Dinge, daß
er den Beichtvater schon zehnmal vergessen hatte. Weil
ihn die Frau auch noch mit Schelte empfing, daß unter-
dessen die schöne Bratwurst in der Pfanne verhotzelt
wäre: aß er kleinlaut vor ihrem Zorn die braunen
Krüstchen und besann sich erst bei der letzten Gabel,
daß er nun wider Willen das Fleischverbot doch über-
treten hatte.
So ging-er andern Tags von neuem zu seinem Beicht-
vater hin und klagte ihm, in was für eine Schlinge er
dem Bösen geraten wäre, und bat um eine andere Buße.
O, Reinhardt, tadelte der Beichtvater da und lächelte
in seinem Stuhl, so müssen wir es rascher machen, daß
er dich nicht mehr fangen kann: Geh heute stracks nach
Hause und bete drei Paternoster unterwegs, so wird
dir Sünde und Lässigkeit in einem vergeben sein!
Es langte diesmal kein Schiff nach Holland an und
es war ein windiges Regenwetter, als er von Gereon
wegging, so kam er mit dem ersten Vaterunser glücklich zu-
recht; beim zweiten sah er, wie einem Fuhrmann auf
der nassen Straße ein Pferd gefallen war. Er lief
zwar mit den andern rasch hinzu, weil es da etwas zu
gaffen gäbe, doch betete er die Worte noch tapfer bis zu
Ende; nur als er sie zum drittenmal beginnen wollte,
war es ein Fuhrmann, mit dem er häufig Geschäfte hatte,
weil er ihm von der Ahr den Wein herunter brachte.
Er stand ihm also bei mit Hüh und Hott und Peitschen-
knall, den Gaul auf seine Beine zu bringen, und ging
auch nachher mit ihm, ein Viertelchen zu trinken, wovon
er diesmal fast pünktlich um zwölf zum Essen kam.
Gerade wollte er der Frau den schwierigen Umstand
mit dem Pferd erzählen, als ihm sein letztes Vaterunser
beifiel, das er darüber vergessen hatte.
So kam er zum drittenmal vor seinen Beichtvater,
der wohl bemerkte, wer diesem Kölner die Schlingen
so listig legte: O, Reinhardt, Reinhardt, klagte er und
schüttelte den Kopf in seinem Stuhl, da es für dich so
schwer ist, das Böse zu lassen und das Richtige zu tun,
so sage mir etwas, was deiner Natur von selber zuwider
ist, damit ich dir das verbieten kann. — Ich mag um
alles keinen Knoblauch essen, sagte der Weinhändler da,
dem augenblicklich nichts Besseres beifiel, weil ihm ein
Jude über den Weg gelaufen war. — So sollst du heute
keinen Knoblauch essen und damit deiner Sünde wie deiner
zwiefachen Lässigkeit entlastet sein.
Er hatte diesmal die leichte und ihm gewisse Buße
schon vergessen, als er ins Freie kam; und da die Sonne
herrlich schien, ging er vormittags noch hinaus in seinen
Weinberg, den er am Eigeltor hatte, um nach dem
Ansatz der Frucht zu sehen. Er stand auch schon am
Pförtchen und drehte mit dem Schlüssel den rostigen
Riegel auf, da blühte im Graben wildgewachsener Knob-
lauch, den er früher nicht da gesehen hatte, und duftete

ihn an. Und weil ihm die Gedanken stets mit den Sinnen
liefen, so dachte er auch schon, ob es nicht Torheit von
ihm sei, daß er das Kraut nicht riechen könnte, mit dem
so viele Metzger doch ihre Waren würzten. Er zog eins
von den Wurzelknöllchen am grünen Stengel aus und
hielt es an die Nase und schnüffelte und biß hinein und
fand es widerlich beim besten Willen — und warf es
zornig hin und trat mit beiden Füßen darauf, weil er
nun doch vom Knoblauch gegessen hatte.
Sogleich lief er in Ängst zurück, daß ihn der Teufel
so beim Nacken hätte. Der Beichtvater, der in den Beinen
gichtig war und einen Stock gebrauchte, kam gerade
aus seinem Stuhl, als er ihn noch erwischte, die neue
Not zu klagen. So gibt es keine Buße für deine Sünde
und dreifache Lässigkeit, zürnte er und hob den Stock:
als die sonst für die unnützen Buben benötigt wird;
man müßte dir den Teufel mit diesem Ding aus-
treiben! Doch entlief ihm der Weinhändler ungesühnt,
weil ihm sein Buckel zu alt für solche Buße schien.
So kommt es, sagt man, daß in Köln trotz all der
Beichtstühle noch so viel Sünden und Lässigkeiten im
Schwange sind.
ebbels Verklärung.
Begegnung voll tiefstem Erlebnis war ihrer
jungen Seele der Klang seines Namens, ob-
gleich sie nie von seiner Wesenheit gehört und erst jüngst
mit seinen großen und starken Werken bekannt geworden
war. Duft und Klang seines Namens übten magische
Gewalt an ihr seit jeher und sie mußte, kaum vom Ohr-
vernommen, diesen Namen setzen dem Gewaltigsten
und Höchsten gleich. Und obgleich ihre Seele schreckte,
war ihr doch, als hätten einst Leib und Seele diesem
Einzigen und Kühnen nah und benachbart gelebt...
in anderen Zeiten und auf anderem Stern. Nun aber,
da dieser Name Fleisch geworden und eintrat in die
Fürstenloge, da konnte sie, junge Prinzeß Marie, den
Dichter nicht grüßen mit guten Worten wie die groß-
herzogliche Mutter. In diesem Unglück übervollen Ver-
stummens schied sie die blühende Zentifolie von ihrer
bewegten Brust und reichte sie dem Dichter. Und ihre
Lippen bebten dazu.
Wohl war Friedrich Hebbel als Dichter und Sänger
mit manchem König gegangen, wohl war seinem Rock
mancher Königsdank angeflogen, aber so wie eben war
ihm noch nie gehuldigt worden. Denn in diesem Augen-
blick fühlte er an sich das Heiligste und Hehrste geschehen;
in diesem Augenblicke vermischte sich die grausame
Grenzscheide, die das Leben von der Poesie trennt.
Der Unterschied verschwand: Poesie ward Leben, Leben
ward Poesie. Und mochte auch unten auf Goethes
Weimarbühne Golo in seinem Namen von schlimmem
Begehren und arger Verfehlung klagen, schreien und sich
blenden, mochte auch der Schauspieler Genast die Luft
durchzittern machen von Golos und Hebbels menschlicher
Schuld..., er, Friedrich Hebbel, konnte zu dieser Stunde
nicht in den dämonischen Bann von Leidenschaft, Schuld
und Anklage hineinbezogen werden. Er ward verklärt;
und in ihm das schlimm und rauh erlebte Leben.


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