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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Zweig, Arnold: Das Postpaket
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Schäfer, Wilhelm: Kölnische Beichte: eine Rheinsage
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0165

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Das Postpaket.

würde heute nicht mehr zu jener Unterhaltung kommen,
die sie vorhin verschoben hatte, denn die Uhr lehrte
sie, daß es allmählich spat wurde. Nun, morgen.
„Oder nur schwer. Aber ich rechnete damit, daß
auch der Mann des kleinen Jacketts an sie dachte. Sie
waren eine moralische Ziffer. Mit einem Male traf mich
diese Idee des Moralischen. Wie? Aber Geld war sicher-
lich stärker als Moral. Arme Leute brauchen Geld mehr
als Moral. Arbeiter sind arme Leute, folglich, nun?"
Er sah sie an, um sie zu einer Äußerung zu ver-
anlassen, und sie zog den Schluß, indem sie dachte, daß
seine Augen doch sehr gütig seien: „Folglich waren sie
gegen Geld zum Schweigen zu bringen." Und die
Form seiner Stirn war sicherlich von zarter Schönheit.
„Natürlich, rief er lebhaft aus, „man konnte sie
bestechen. Reisemützchen würde für meine Bücher
eine anständige Summe haben, davon konnte er ein
paar Mark opfern und meine Zeugen waren dahin,
schwiegen, blieben stumm wie das Grab, um dem Volks-
munde nachzureden. Und unter dem Druck dieser
starken Möglichkeit blieb ich stehen, überwand Hunger
und Müdigkeit und marschierte zurück. Ich kam kurz
nach dreiviertel auf sieben an die Stelle, auf der ich mein
Volumen ausgeliefert hatte. Niemand war da. Ich
durchirrte suchend den ganzen Güterboden. ?6r8or>ri6.
Ich rief — umsonst. Endlich, um viertelacht, voll von
Ekel und Unglück über meinen Leichtsinn, hungrig und
müde doppelt so sehr als zuvor, ging ich nach Hause.
Um acht war ich in der Stadt. Ich wollte die Mutter
des Bürgers zu Rate ziehen, die Polizei, aber ich scheute
mich und dann war es mir auch schon gleichgültig."
Wozu erzählt er mir das eigentlich? fragte sie sich.
Er ist nicht besonders appetitlich. Dann schämte sie
sich jedoch und sagte als Buße mit hörbarer Teilnahme:
„Ich verstehe das."
Er streifte die Asche von der Zigarre, schwieg, und
fuhr dann schneller fort, um zu Ende zu kommen, indem
er auf ihre Hände sah, die ruhig nebeneinander auf dem
Tische lagen: „Ich schlief schlecht in der Nacht. Am Morgen
stand ich um sechs Uhr auf, es war ein Sonntag, wissen
Sie, und ich pflegte mich sonst auch Wochentags nicht vor
zehn zu erheben, ich war zur Erholung in Freiburg.
Ich stand also um sechs auf und begab mich auf den
Güterbahnhof. Natürlich war kein Mensch dort, nicht
eine Seele. Ich wiederholte diese vergeblichen Spazier-
gänge um Halbzwölf und um vier, allemal mit demselben
Erfolge. Ich dachte nicht mehr, ich war vielmehr von
der Idee besessen, das meinige wiederzuhaben." Er
schwieg und betrachtete seine Zigarre, die bald zu Ende
war. Ihr Blick ruhte nachdenklich und ein ganz klein
wenig spöttisch auf ihm: eigentlich macht er davon viel
Aufhebens.
„Nun?" fragte sie endlich. Er schrak ein wenig
zusammen.
„Ich bin gleich am Ende," sagte er und sah von
ihrem Gesicht wieder auf den Teppich. „Montag nach
neun ging mein Zug. Montag um Halbsieben war ich
im Bureau der Güterabfertigung. Natürlich sah ich,
sowie ich eintrat, mein Paket. Es lag ordnungsgemäß
da, der Mann hatte es abgeliefert, redlich, es war fertig
zum Abschicken." Er schwieg ohne aufzusehen.

„Da war ja alles gut," meinte sie geringschätzig, denn
sie fühlte, daß er auf ein Wort wartete. Er stützte den
Kopf in die Hand und blickte auf den Tisch:
„Was denken Sie also, daß ich getan habe?"
„Sie haben sich entschuldigt und sind vergnügt zur
Bahn gegangen," entgegnete sie sofort, ohne zu zaudern.
„So. Ja. Nein, ich nahm das Paket an mich, sagte,
es habe Eile, und trug es zur Post."
„Sie trugen es zur Post", staunte sie in höchster
Bestürzung.
„Ja. Zu einer andern Post als das erste Mal, ja."
Er nickte mehrere Male, ohne den Kopf aus der Hand
zu heben oder die Augen vom Tisch zu entfernen, lächelte
traurig und sagte noch einmal — „ja".
Claudias Mundwinkel zog ein Ausdruck herab, in
dem viel Spott und beinahe Verachtung enthalten war.
Sie zürnte ihm; und fast hätte sie gefragt: Wozu er-
zählen Sie mir diese läppische Affäre? Aber sie schwieg
und sah ihn an, ihn, der sehr bedrückt dasaß und die
Augen nicht hob, ihn, den doch stets Klugen, den sonst
fast übertrieben Zartfühlenden, ihn, der ihr sicherlich
am liebsten alles Häßliche aus dem Wege schaffte, damit
sie nichts davon beleidigte: warum zeigte er sich ihr
heute so hilflos, so ausdrücklich schwach? — und in
einem Augenblicke begriff sie alles. Ihre Mundwinkel
hoben sich. Sie lächelte, freier, immer verstehender,
immer zärtlicher, sie fühlte eine Wärme und einen
Druck in ihrer Brust und nannte es Glück. Sie hob
langsam ihre Hand und streckte sie ihm entgegen, reichte
sie ihm über den Tisch hin, bis die feinen Fingerspitzen
seinen Handrücken berührten. Er fuhr auf, blickte un-
begreifend, verstand sie ganz und küßte diese Hand
mit einem heißen, langen Kusse, erschüttert, überwältigt:
sie kannte ihn jetzt und behielt ihn dennoch! Es gab
eine Brücke von Mensch zu Mensch, und sie schlug sie,
und sie, Claudia, beschritt sie!
„Sie müssen jetzt gehen, mein Freund," sagte sie
indes und erhob sich, „ich danke Ihnen für Ihre Er-
zählung, ja, ich danke Ihnen. Morgen nachmittag
erwarte ich Sie zum Tee. Dann wollen wir von Weis-
ungen reden." Er hielt noch immer ihre Hand. Ihre
Stimme klang so, wie er sie noch nie gehört hatte, und
er holte tief Atem. „Ja," sagte er glücklich.

ölnische Beichte.
Eine Rheinsage, erzählt v. Wilhelm Schäfer.
Ein kölnischer Weinhändler namens Reinhardt war
den Geschäften seines Alltags leichtsinnig zugewandt
und so lässig in der Sorge um sein Seelenheil, daß ihn
sein Beichtvater regelmäßig vermahnen mußte. So
kam er einmal und gestand, daß er schon dreimal Sonn-
tags nicht in die Kirche gekommen wäre, weil immer
eine andere Abhaltung gewesen sei. Der Beichtvater,
der ihn kannte, und wie er von Natur kein schlechter
Mann und nur ein rechter Kölner war, dem leicht
die guten Vorsätze in ein Schöppchen fallen: hieß ihn
am selben Tag kein Fleisch mehr essen, dann solle die
Sünde von ihm genommen sein.


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