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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Benn, Joachim: Frankfurts Skulpturensammlung
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0383

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Frankfurts Skulpturenfammlung.

Unsere oft wirklich schon krankhaft selbstquälerische Zeit hat sich mit vielen anderen schönen Dingen, die sie
> selber geschaffen oder doch fortgebildet hat, gelegentlich wohl auch das Kunstmuseum verleiden wollen: Da
sollte es geschmacklos, sollte es kulturlos sein, ein Kunstwerk in einer öffentlichen Sammlung zu besuchen,
weil es seine tiefsten und feinsten Reize doch nur bei dauernder und engster Gemeinschaft enthülle; es sollte
barbarisch sein, Kunstgegenstände verschiedenster Stilarten in umfangreichen Stapelhäusern zu versargen, wo doch jedes
Stück aus dem Leben und für das Leben geschaffen sei. Man kann in solchen Vorwürfen einige Berechtigung
finden und in dem Kunstmuseum doch eine der größten Schöpfungen der modernen Zeit sehen: Wundervoller
Ort, wo sich der Mensch, entzogen dem tumultuarischen Streit des Lebens, das sich erst selbst gebiert, an dem
Fertigen und Reifen erbaut, mit dem sich die Seele früherer Tage erlöst, in ihrer Sehnsucht und der Macht ihres
Könnens bildhaft ausgedrückt hat! Wundervoller Ort, an dem der Mensch, mit eins den: Toben der sinnlich-
mannigfaltigen Gewalten enthoben, im Scheine abstrakter, auf ihre Idee gebrachter und also der Ewigkeit ein-
verleibter Schönheit wandelt fast wie in dem Himmel Platons! Die Naturferne unserer späten überzivilisierten
Zeit hat es dahin gebracht, daß wir uns in den Sommermonaten in die große und freie Natur hinausftürzen,
um gegenüber Berg, Tier und Pflanze die starke Natur in uns wachzurufen und uns zu neuem Kampf zu
kräftigen. Wir brauchen als Gegenpol im Tumult des Lebens, in das wir uns gekräftigt wieder stürzen, not-
wendig den Ort, wo wir das Ziel vor Augen sehen, dem schließlich doch aller Kampf nur dienen darf: Die hohe
Harmonie, die der Mensch kraft seiner Menschlichkeit auch unter den vertracktesten Lebensbedingungen sich selbst

und der Welt unter dem Bilde des Kunstwerks schließlich zu geben vermag.

So werden, wo seeli-
sches Verantwortungsgefühl
ist, auch immer mehr
Sammlungen angelegt, und
in Frankfurt a. M. hat der
Wille einer reichen Bürger-
schaft jetzt innerhalb weniger
Iabre so etwas wie eine
deutsche Mustersammlung ge-
schaffen. Die neue Frank-
furter Galerie im Liebig-
HauS enthält nur Skulp-
turen: Der Tastsinn ist frü-
her als das Auge, das Raum-
erlebnis ursprünglicher als
das Gesichtserlebnio; es geht
deshalb in die dumpferen
und darum grundlegenderen
Schichten der menschlichen
Seele, was durch die plasti-
sche Form, nicht durch die
leicht raffinierte Malerei dar-
gestellt wird, und der sehn-
süchtig-schöpferische Wille des
Menschen fließt in der Pla-
stik unmittelbarer, primitiver
wohl aber darum auch grund-
legender in das Kunstwerk
über als in der Malerei. So
kann eine plastische Samm-
lung unter Umständen tiefere
künstlerische Erlebnisse ver-
mitteln, als eine malerische.
Und da der Leiter dieser
Frankfurter Sammlung, der
Direktor der Staedelschen


Galerie Swarzenski, als eine
Natur, die auf das Bedeu-

Abb. I. Fragment einer Königsstatuette, ägyptisch-saitisch.
7. Jahrhundert v. Ehr.

tende aus ist, bei allen histo-
rischen Interessen sich auch
als Sammler, als Werkzeug
menschlich - seelischer Bedürf-
nisse zeitgebundener Art fühlt,
so ist die Städtische Galerie
schon heute etwas ganz Sel-
tenes: Im Genüsse aus-
nahmslos schöner Werke aller
Zeiten und Regionen erkennt
man so gut wie irgendwo
den Weg, den die aben-
teuernde menschliche Seele
bisher durch die Bezirke
menschlichen Lebens geflogen
ist, und erkennt deutlicher
als irgend in einer anderen
deutschen Sammlung, wo
sich unsere deutsche Seele
flügelschlagend am liebsten
aufhält.
Schon der erste Teil
der Sammlung, der als der
zeitlich früheste symbolischer-
weise in dem Vorraum des
Museums untergebracht ist,
die kleine ägyptische Abtei-
lung, zeigt, daß es nicht so
sehr historische als seelisch-
künstlerische Erlebnisse sind,
die einen hier erwarten.
Denn wenn wir Heutigen
vielleicht von nichts so weit
entfernt sind wie von dem,
was die Ägypter in ihrer
Kunst gekonnt haben, so sind
wir vielleicht niemandem so
ähnlich in dem, was wir in

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