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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Walser, Robert: Der Bursche
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Schäfer, Wilhelm: Die Fürstin Lichnowski: (Aus einem Brief)
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L.S.: Frauenbriefe
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0381

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Bursche.
Ein Bursche, der einem Bäckermeister als Laufbursche diente,
stahl demselben Mehl weg, um es, gleichsam als Zeichen von zärt-
licher Aufmerksamkeit, der Frau zu überreichen, die er verehrte.
Reizende Liebe, bestrickendes Verbrechen, sinnreicher Diebstahl.
Der Bursche wurde endlich bei seinem ritterlichen Bemühen er-
tappt und kam ins Gefängnis. Die gestrengen Herren Richter
hatten Mitleid mit ihm und erteilten ihm eine obgleich immerhin
angemessene, so doch verhältnismäßig nur gelinde Strafe. Armer
dummer Bursche. Ich kann nicht verhehlen, daß ich Sympathie
für ihn empfinde. Wie glücklich mögen seine Augen geglänzt haben
in den prickelnden Augenblicken, wo er das Mehl stibitzte, und wie
süß muß ihm der Kuß gemundet haben, den er geben und emp-
fangen durfte von der, in deren Interesse er Spitzbubenstreiche
verübte. Wenn je, so duftet hier, der schwelgerischen Rose ähnlich,
Romantik, und wenn je, so ist hier, wo Mehl gestohlen worden ist,
süße Liebe. Simpel ist die kleine mehlene Geschichte. Mich hat
sie gerührt, als ich sie las, und ich wage sie dem freundlichen, huld-
reichen Leser aufzutischen, in der Hoffnung, daß sie auch ihn ein
wenig rühren wird. Wie mancher, der fein gekleidet geht und sich
auf die feinste Differenz versteht, und der sich einbildet, daß er
verliebt sei, ist nicht imstande und bringt nicht den Mut auf, gleich
dem armen dummen Bäckerburschen, Mehl für die Person zu
stehlen, die er vergöttert. Was ist Geliebtsein und Beliebtsein gegen
dieses blühende holdselige Wunder: selber lieben! Und was ist
alle Bildung, alle Belesenheit, Weisheit und Feinheit, gehalten gegen
die duftende Blume: Aufrichtigkeit? Dieser Bursche, der mit
einem gestohlenen Paket Mehl dahersprang, um seiner Geliebten
eine Freude zu machen, war, als er das tat, groß, denn er war
aufrichtig; war, als er das tat, im höchsten Grad sympathisch,
denn er war tapfer, war, als er das tat, höchst liebenswürdig,
denn er tat es aus echter Zärtlichkeit und Liebe. Schenke, lieber
Leser, dem armen Burschen ein kleines gütiges Andenken, ich bitte
dich darum. Nicht wahr, du tust es? Robert Walser.
Fürstin LichnowSki.
(Aus einem Brief.)
„-Ihre Frage, gnädige Frau, nach dem Buche der
Fürstin Mechtitd Lichnowsky, „Götter, Könige und Tiere in
Ägypten", erledigt sich schwer.
Denn dies Buch vertritt zwar unzweideutig den Anspruch
auf rein literarische Bewertung; zugleich aber gibt es sich so unbe-
fangen als Dokument privatesten Erlebens, als Film eines Reise-
kodaks, daß die Zangen kritisierender Begriffe aus Gründen der
Diskretion sich beschämt und ohne weiteres senken.
Wenn ich mir nun also versagen muß, gnädige Frau, Ihnen,
wie Sie wünschten, dieses neue Buch zu beschreiben, so erlauben
Sie mir, von dem Bilde seiner Verfasserin zu sprechen, wie ich es
mir aus der Lektüre konstruiert und berechnet habe.
Im Negativen ließe es sich schnell umzeichnen: Fürstin Lich-
nowsky vermeidet durchaus jene beiden Gefahren, der sonst alle
sogenannte Reiseschriftstellerei anheimzufallen pflegt. Sie hat näm-
lich weder den Ehrgeiz, die Gelehrsamkeit der Spezialsorschungen
in einer „unterhaltenderen" Form zu verflachen, noch die Spar-
samkeit, die wohlfeilen Traulichkeiten und Witze der Wilhelmine
Buchholz zum tausendsten Male, neu arrangiert, vorzuführen.
Die unbeirrbare Herbheit des Ablehnens ist aber auf der posi-
tiven Seite völlig ausbalanciert durch die gütige Frauenweich-
heit, mit der sie die Dinge aufnimmt, die ihr genehm sind. Ihr
gnadenloser Zorn über die Verlogenheiten des gebräuchlichen
Reisepublikums wiegt keineswegs schwerer, als ihr Eingehen auf
das rührend wortlose und sinnvolle Dasein der Tiere in seiner
erdgebundenen Folgerichtigkeit und aller seiner verborgenen
Melancholie.
Der ungebrochene Lauf klarer, ehrlicher, großer Linien —
das ist es, was sie überall sucht. Daher auch kommt es, daß die
strenge Schweigsamkeit der pharaonischen Kunst vor ihr zu singen
beginnt.
Die Sonne im Niltal dagegen, die überaus zärtlichen Töne
des weiten Abendhimmels scheint sie nie ganz ohne den Zweifel
anschauen zu können, ob man sie nicht im Grunde betrügen, zu
einer banalen Entzückung verleiten wolle.
Denn die Fürstin Lichnowsky sieht — und hier liegt das Ent-
scheidende — naiv und unverbildet. Es ist durchaus von Bedeutung,
wie oftmals sie sich der Kinderzeit erinnert, der Spiele im Garten,
der Gouvernante, des milde gehandhabten Unterrichts. (Man

ahnt ein reizendes Kind aus bestem Hause, das eine glückliche
Jugend hat, ein wenig burschikos vielleicht, im Herrensitz auf einem
Shetlandpony, und ganz ohne Schulmeisterei.) Heute noch ist
Sehen und Ausdruck eins in ihr. Zugleich aber ist sie sich dieses
kostbaren Vorzugs bewußt. Sie wahrt ihn besorgt und verteidigt
ihn erbittert gegen die Anfechtungen konventioneller Gedanken
und fertiger Redensarten. (Obwohl ein Satz, wie „wir sind per
Esel am Ufer entlanggeritten" ihrer Wachsamkeit entglitt.)
Ich glaube, gnädige Frau, es ließe sich unbedenklich eine Wette
eingehen, daß Fürstin Mechtild Lichnowsky nie ein einziges Examen
bestand. Und trotzdem (ich wage im Zeitalter der Lyzeen und
Frauenschulen nicht mehr „deshalb" zu sagen) werden Sie wenige
Damen kennen lernen können, die mit solcher nie zufriedenen In-
brunst an sich arbeiten, wie die Gattin des Botschafters Seiner
Majestät in London. Ich denke sogar in ihr das zu entdecken,
was des öfteren nicht ohne Ihre Billigung als Bedingungen einer
sogenannten harmonischen Persönlichkeit entwickelt worden ist:
ein naives Temperament, einem überlegenen Verstände und Ge-
schmack gepaart.
Sie gewahren, gnädige Frau, daß, was meine Einbildung
hier erbaute, nicht das Porträt einer Literatin, sondern das einer
Dame ist.
Und deshalb, gnädige Frau, weil ich hier eine Dame von der
Art wittere, wie man sie ersehnt und verehrt, würde es mich be-
glücken, „Götter, Könige und Tiere in Ägypten" eines Nachmittags,
wenn wir wieder in der Stadt sein werden, neben Ihrer dünn-
wandigen Teetasse liegen zu sehen.
Ich würde dann, in der Stimmung dieses Buches verharrend,
gern mit Ihnen davon sprechen, wie weit Sie es für möglich halten,
daß dieses abgeschliffene Menschengeschlecht es noch einmal zu
einer großartigen, alles Einzelne durchdringenden Gesellschafts-
und Geselligkeitsform bringen wird, wie sie für die Vergangenheit
die Namen Renaissance oder Rokoko bezeichnen.
Ich möchte das nicht für ausgeschlossen halten. Ja, vielleicht
ist gerade nun, wo ihm die äußeren Mittel gegeben sind, der Deutsche,
der Tölpel von gestern, berufen, der Grandseigneur von morgen
zu werden. Warum könnte er nicht die kühle Gehaltenheit vom
rechten, die stets freie und bereite Empfänglichkeit der Sinne vom
linken Ufer des Mains nehmen, und dennoch von der unfruchtbaren
Eintönigkeit des Angelsachsen ebensoweit entfernt bleiben, wie
von der kränklichen Laxheit des Lateiners oder des Russen ?--"
(2»rauenbriefe.
Briefe sammeln und in einem Buch herausgeben, ist das
gleiche wie trockne Blumen zu einem Strauß binden. Duft und
Frische der Stunde, in der sie lebten, sind vergangen und nur etwas
Farbe ist geblieben, aus der die Phantasie einen Hauch ihres
Wesens erwecken kann. Trotzdem werden solche Bücher von unserer
Zeit besonders bereitwillig ausgenommen, fast als hoffte sie aus
ihnen die Geheimnisse zu erfahren, die ihr die Werke der ver-
gangenen Zeiten immer behalten. Neugier und der Wunsch, auch
um die Menschlichkeiten der Größten zu wissen, durchforschen
jeden Zettel, der nicht vernichtet wurde. Und aus den ge-
fundenen Stücken setzt man dann, schon fast wieder ein Kunstwerk
für sich, das Bild der Vergangenheit zusammen.
Doch der Brief, immer ein Kind der Stunde, ist ein Dia-
log, in dem die zweite Person nicht zu Wort kommt, die durch ihre
Gegenwart Inhalt und Richtung des Gesprächs bestimmen könnte.
Es steht für das Gefühl die Stimmung, weil keine Resonanz da ist
und für die Handlung keine Reflexion. Darum können Briefe von
Menschen, die eigene Werke hinterlassen haben, uns kaum mehr
sagen als ihr Werk, das zu allen spricht als Gefühl und Handlung.
Anders ist es mit den Briefen der Menschen, die sonst ohne
Spur in der Zeit verlorengegangen scheinen. Briefe, in denen be-
sonders stark die Stimmung einer Zeit enthalten ist, geschrieben
von Menschen, die, ohne schaffend oder handelnd in ihr zu stehen,
genug Empfänglichkeit für die Eindrücke hatten, um uns noch heute
einen Klang davon erstehen zu lassen. Dies werden viel öfter
Briefe von Frauen als von Männern sein, da sie von Natur und
Erziehung mehr aufs passive Erlebnis angewiesen sind.
Von solchen Briefen hat F. v. Zobeltitz* eine Sammlung
herausgegeben, die außerdem noch die Bilder der etwa zwanzig
Schreiberinnen nach zeitgenössischen Miniaturen, Stichen und Ge-
mälden enthält. Bis auf einzelne selbst nicht schöpferisch tätig,
* Briefe deutscher Frauen, ausgegeben von F. v. Zobeltitz.
Verlag: A. Krabbe, Stuttgart.

Zül
 
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