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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Benn, Joachim: Thomas Mann und "Der Tod in Venedig"
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Goschmid, Kasimir: Das Wiedersehen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0331

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Das Wiedersehen.

richt von seinem Tode"; nicht Liebe, Vertrauen, Ver-
ehrung ist es denn wirklich, was man diesem Dichter
wird entgegenbringen müssen, sondern den außer-
ordentlichsten Respekt. Denn natürlich steht der Schöpfer
der „Buddenbrocks", der „Fiorenza", des „Kleider-
schranks" nicht ohne Gaben und Leistungen vor seiner
Nation. Alle drei sind Zeugnisse eines Verstandes,
einer Energie, eines Durchlebnisses seltsamster Stun-
den, die ihn durchaus zu einem Zeitrepräsentanten
machen; was ihre Schwache ausmacht, ist etwas, was —
da freilich doch wohl noch auf einem anderen Niveau —
auch den meisten Produkten Stefan Georges und der
meisten Heutigen überhaupt vorzuwerfen bleibt, wo
überall der Kunstwille starker als die eingeborene Natur-
kraft ist. Doch muß dieser Vergleich eingeschränkt werden:
Stefan George ist in weisester Erkenntnis seiner Grenzen
in seinem Schaffen niemals über ein ganz enges Maß
hinausgegangen, innerhalb dessen er sich versucht hat,
zeitlich, wie räumlich, in der Länge seiner Dichtungen.
Wenn man eine Geschichte wie den „Kleiderschrank",
wie „Das Leben" und einiges andere liest, möchte
man denn meinen, auch Thomas Mann wäre zu Ab-
soluterem, Bleibenderem gekommen, wenn er mehr
mit seinem inneren Maß gerechnet hätte. Vielleicht
ständen seine Leistungen, als ebenfalls zeitgebundene,
mit norddeutschem Timbre dann zwischen, neben dem
Besten von Altenberg, von Schnitzler, was nicht sehr
viel, aber doch vollkommen zeitsymbolisch und von diesem
Niveau aus — neben Schnitzlers „Die Fremde", Alten-
bergs: „Man braucht mehrere" — vollkommen wäre.
So hat sein Werk selbst von seiner Zeit aus allüberall
etwas Überstrecktes; wie soll da die Zukunft als große
Richterin erst sprechen. Joachim Benn.

as Wiedersehen.
Eine Novelle von Kasimir Edschmid.
Sonne wie Flut über die Hügel . . . Falken . . .
Haine von Myrten . . . Sonne . . . Feuer über dem
Fluß! . . .
Daß du sterben mußtest, Angelika! —
Seine Hände zitterten, als wüßten sie nichts von dem
Lächeln unter seinen Augen. Wolfgangs Augen lächelten:
Angelika! —
Ein Schluchzen brach aus seiner Kehle. Bang klang
es und dünn. Der Himmel hing reif und voll herüber.
Wie gewaschen glitzerte das Blau. In der Nacht war
Regen gefallen, daß der Boden dröhnte. Weit her kam
der dumpfe Ton und wurde ein nadelscharfes Prasseln
über die Fensterkreuze. Alle Straßen standen voll
Dampf am Morgen. Cordova glänzte wie eine ge-
schliffene Klinge.
Cordova: Sonne über die Hügel . . . Haine von
Myrten . . . Feuer über dem Fluß!
Daß du sterben mußtest, Angelika! . . .
Sterben ist Sichneigen vor dem roten Mond, der
an den Wäldern aufgeht. Sterben ist Schreien durch
heiße Nächte, Zucken von tastenden Händen nach einem
Stern in den Gärten. Sterben ist Einsammachen,
Angelika! . . .

Daß es sie traf im Norden, den sie haßte. Zwischen
den Schären vor dem großen Fjord. Alle Abende
waren dunkel und die Nächte wie gesponnen von furcht-
baren: Schwarz. An dem Meer, das ihr Furcht machte
wie einem Kinde; dem harten rauchenden Meer, das
an den Felsen rieb, als wolle es sie zersägen. Das die
drei roten Kinder des Fischers Heina nut dicken Köpfen,
die kleinen Leiber aufgeschwellt, so sacht an den Strand
legte, als wolle es sie höhnen; wie drei Boote neben-
einander legte, in eine Linie, jedes neben das andere.
Und an die Welle mußte er denken, die mit einem
riesigen Sprung nach ihr langte und voll entsetztem
Geheul zurückfiel. Und wie Angelika die Hände auf-
warf und schrie rind lief . . . weiter bis zu dem ab-
gestorbenen Apfelbaum lief und in die Kniee fiel und
die Arme uni ihn schlug.
Die Meere des Norden sind scharf und dunkel.
Angelika haßte sie und fürchtete sich zu Tod. Und doch
starb sie, weil ein Nagel sie über die Handfläche schnitt
und das Blut vergiftete. —
Über die Dächer liefen die Kreise der Glocken. Die
Wagen der Straße knarrten. Um ein gefallenes Maul-
tier johlten ein paar Jungen. Der Kutscher war rot
vor Arger. Ein Geistlicher schritt quer über die Straße
und verschwand in einem vergitterten Tor, um das
Blumen hingen. Kaum hörbar kau: aus dem Parterre
eines Hauses, verzerrt und geschändet vom Lärm der
Straße, dünnes Klirren einer Gitarre.
Wolfgang warf den Hut in die Stirn und ging durch
die Stadt. Die Reihen der Scheiben in den Läden
blitzten hinüber und herauf wie quecksilberne Sonnen.
Ein bläuliches spielendes Licht lief über die Erde. Frischer
Duft perlte noch in der Luft. Die Gesichter der Leute
waren belebt, in den Gebärden spannte sich Ungestüm,
die Laute der Tiere klangen Heller. Dann hatten die
Bahnen etwas weniger Schrilles im Geläute, die
Häuser waren belacht von gütigem Licht und atmeten
Freude aus, die wie ein kühlender Schatten auf die
Straße sank.
Etwas war anders. Wolfgang fühlte dies: Es floß
ein anderes Gebaren, ein neuer Lebensausdruck um
ihn, an ihm vorbei. Er fühlte: Es ist weniger heiß. —
Er dachte: Was kann mich das kümmern. Er ging
gleichgültig weiter. Ganz versunken sah er an einer
Ecke, zurückgeblieben von einer Herde, ein Lamm, das
mit hohen, rufenden Tönen ein Schaf anlief und ruck-
weise an ihm sog. Die Sonne legte sich um die Tiere
herum. Es war, als ob der Verkehr staue. Wolfgang
fühlte wieder etwas an sich anschlagen. Er verstand
es nicht. Die Fassade eines neuen Hauses strahlte wie
poliert. Er verstand es nicht. Aber es beunruhigte ihn.
Als der Himmel tiefer wurde und eine dunklere
Wölbung aufschlug, kam er zum Fluß. Die Brücke war
fast menschenleer. Das Aneinanderschlagen der Wellen,
das Hüpfen, das Überhasten und Gurgeln kam lauter
herauf, als es ihm gewohnt schien. Betäubt und willenlos
von innerer Müdigkeit lehnte er sich an die Balustrade.
Am Ufer kam ein Zug Leute aus dem Dorf vorbei.
Sie zogen in die Stadt. Gerade erkannte er noch das
Blau und das Not der Röcke bei den Trommelnden.
Ein Wagen wurde von zwei Stieren gezogen, die mit
bunten Bändern geschmückt waren. Dann warf sich


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