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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Benn, Joachim: Frauen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0157

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rauen.
Der Kreis, in dem sich mit dem Beginne der
Frauenemanzipation die Frau verfing, als sie
ihrer alten Stellung in der Ordnung der Geschlechter ent-
fliehen wollte, schließt sich langsam, und die Frau steht
wieder da, von wo sie am Tage ihres sogenannten Er-
wachens ausging: Die Burg, die zu berennen sie seiner-
zeit auszog, um höher, vor allem höher vor sich selbst
dazustehen, war die Stellung des Mannes; sie wollte
für sich den restlos gleichen Begriff der Persönlichkeit
erobern, den er für sich in Anspruch nahm, sich als
metaphysisch und praktisch gleichgestelltes Wesen ganz
die gleichen Rechte, Pflichten, Aufgaben erringen, die
er von jeher besaß. In diesen Kämpfen ist eine Gene-
ration von Frauen, die heute im Anfang der Fünfziger
stehen mag, alt und grau geworden, um ihre Ideen
mit jedem Jahre ruhiger hingenommen, skeptischer
eingeschränkt zu sehen; sie hatte eine Generation von
Frauen zu Schülerinnen, die heute bis an die vierziger
Jahre heranreichen mag und mit ihrer Mißgeschicktheit
und Freudlosigkeit der älteren keine leichte Last der
Verantwortung auflüde, wenn nicht jede Lebens-
wendung notwendig wäre und die Generationen nur
deren Willen erfüllen müßten. Eine neue Generation
von Frauen, die fast noch in den Awanzigern steht,
stellt sich nun heute mit dem Schicksalsgefühl dessen,
der seine Grenzen erkannt hat, aber auch dem Erlösungs-
gefühl dessen, der endlich seinen Platz in der Welt
findet, mit Bewußtsein an die Stelle zurück, an der
die Frauenschaft zuvor stand.
Dieses Bewußtsein, dieses Schicksals- und Erlösungs-
gefühl stellt freilich einen so umfänglichen und bedeut-
samen Komplex neuer Inhalte in der Seele der Frau
dar, daß es doch nicht mehr die alte Frau scheint, die
da zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehrt: Wie jeder
Lebensweg ist auch dieser Kreisgang nicht ohne Folgen
gewesen, und wenn dies heute noch zum Teil Bewußt-
seinsdinge sind, so werden sie in ihrer Wirkung nur
um so deutlicher werden, wenn sie, wie alle Bewußt-
seinsdinge, langsam zum Instinkt geworden sind. Tat-
sächlich ist für eine Geschichte der Frauenseele heute
nicht das von Wichtigkeit, daß heute ein gegen früher
vergrößerter Prozentsatz von Frauen nach primitiverer
oder komplizierterer Ausbildung außerhalb des Heims
beruflich tätig ist: Das ist eine Notwendigkeit aus den
derzeitigen sozialen Bedingungen, die in den mittleren
Schichten dem Vater nicht mehr wie einst erlauben,
einer ganzen Familie Brot und Vergnügen zu schaffen;
das ist in den oberen Schichten eine Folge der unzeit-
gemäßen Abschließung der Stände gegeneinander, die
ein Mädchen durch das Schrifttum und sonstige Ein-
richtungen wohl dem Einfluß fremder Kreise aussetzt,
ihnen dann aber nicht ermöglicht, daß sie sich in diesen
Kreisen d§n Mann suchen. In den unteren Kreisen
war die Frau von jeher neben dem Manne beruflich
tätig, ohne daß man dort von einer fraulichen Eman-
zipation hätte reden können! Für die Geschichte der
Seele ist nie so sehr von Wichtigkeit, was der Mensch
hat, als in welcher Gesinnung er es hat; und wenn in
diesem Augenblick ein Grund vorliegt, in der Geschichte

der Frauenseele ein neues Buch zu beginnen, so ist es
einzig um des ganz neuen, merkwürdig vertieften und
differenzierten Bewußtseins willen, mit dem die führen-
den Frauen nach mannigfaltigen Erfahrungen im anderen
Lager ungeachtet ihrer Berufsstellung heute die Grenzen
ihres Wesens erkennen, empfinden und schicksalsvoll zu
lieben beginnen.
Wir haben Angst vor allen Begriffsbestimmungen,
die sich auf metaphysische Theorieen stützen, und da
wir doch alle dem Glauben leben, daß das Sinnliche
der Ausdruck eines Geistigen ist, so suchen wir heute
mit nie gekannter Intensität, das Bild der geistigen
Welt aus dem Bilde der Sinnenwelt gleichsam heraus-
zuziehen. So ist auch das Bewußtsein, das die Frau
heute von ihrer Art hegt, das Bewußtsein seelischer
Unterschiede, die sich in: Physischen spiegeln: Die Frau
empfängt, trägt, gibt das Gereifte nach geduldiger,
nicht in ihre Entscheidung gestellter Wartezeit wieder
von sich und harrt, daß sie wieder empfangen darf;
der Mann gibt aus sich heraus, unabhängig von jeder
periodischen Bindung und also nach Belieben jederzeit,
wo es not ist, in ständigen: Wechsel, er schenkt mit
Lust und erhält das Gereifte zurück, ohne Schmerz
davon gehabt zu haben. Die Frau sieht in sich hinein,
denn in ihr selbst vollzieht sich das Mysterium, das ihr
Leben bestimmt, und sie wird vom Tage der Reife
ab immer wieder an diese Bestimmung erinnert; der
Mann sieht aus sich heraus, wie alles an ihm hinaus
weist, er erlebt die Welt außer sich als ein Gegenüber:
womit seine Gefahr wird, daß er sich außer sich verliert,
verrennt, indem er den Begriff des Alls faßt und als
Einzelner daran zugrunde geht. Die Gefahr der Frau
demgegenüber ist, daß sie in sich gewiesen sich in sich
selbst, in das dumpfe Aufundab ihrer Wesensströme
verliert; und die Gebundenheit, die — ohne alle Be-
urteilung ist das verstanden — dumpfe Verschränkt-
heit der Frau in sich selbst in: Gegensatz zu der Hellen
Aggressivität des Mannes ist es auch, die die Frau heute
als Bestimmung, Grenze und Segen mit ganz neuer
Differenziertheit empfindet, wofern sie wirkliche Frau
ist und, blutvoll und stark an Trieben, von den: Leben
in ihr bestürmt wird, daß es zur Schaffung neuen Lebens
genutzt werde.
Das logische Wesen des Mannes, der aus sich heraus
sehend das Bild der Welt als ein Außersich begreift
und damit zur Objektivität und zum Begriff der Gerechtig-
keit kommt; das alogische Wesen der Frau, die die Welt
in sich erfährt und darum nach eigenen frauenhaften
Gerechtsamen lebt: (das logische Wesen des. Mannes,
der das Kind nicht aus sich empfängt, sondern von der
Frau, und die so entstehende Lücke in der Kette der
Geschehnisse als Logiker auszufüllen suchen muß; das
alogische Wesen der Frau, die das Leben als Ungebrochen-
heit und logische Folgerichtigkeit erlebt, so daß sie selber
ungebrochen und ganzer als der Mann ist — es ist ein
merkwürdig vertieftes, geklärtes Bild, was sich von den:
Verhältnis der Geschlechter zueinander aus der An-
deutung des Physischen ergibt? Es gibt eine deutsche
Dichtung, in der es seine idMe Verklärung gefunden
hat, Heinrich von Kleists „Michael Kohlhaas", wo der
Mann so tief gefaßt ist, wie es sich überhaupt nur denken


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