Stimmung^
sich entfaltenden Gottes. Die Erscheinungen sind in
der Tat auch überall die gleichen: der künstlich Berauschte
fühlt sich ebenso wie der Schaffensstarke und der Liebes-
trunkene als eine große, gewaltige Einheit; das Bewußt-
sein seines Wertes und seiner Macht steigert sich zu dem
Gefühl absoluter Unbeschränktheit, die ihn die sonst
vorherrschende Empfindung des Gefesseltseins durch
Naturgesetze und Menschensatzungen für Augenblicke ver-
gessen, die ihn als im Mittelpunkt des Alls stehend
erscheinen läßt und ihn oft zu erstaunlichen Taten, wenn
auch solchen einer traurigen Brutalität, forttreibt. Die
Lust an der Kraft ist allen drei Arten von Rausch gemein-
sam. Nur führt sie zu ganz verschiedenen Resultaten:
dort zu Schöpfungen von höchster Schönheit, hier zur
Fortpflanzung des Lebens und dort zu Augenblicks-
äußerungen von meist bedenklichem Charakter.
Was bedeutet dies alles für unser Leben? Sollen
wir ein „Leben in Stimmungen" führen? Ja und Nein.
Wird das in dem Sinne verstanden, daß wir alle großen
und kleinen täglichen Einwirkungen und Betätigungs-
gelegenheiten so auszuwählen suchen, daß dadurch unsere
besondere Persönlichkeitsstimmung immer nur gefördert,
gestärkt, gesteigert wird, daß wir die zahllosen uns
umdrängenden Stimmungen der äußeren und inneren
Umgebungswelt nur unter dem Gesichtspunkt be-
trachten, inwiefern sie einen wertvollen Zufluß zu
unserem selbständigen Persönlichkeitsstrom bilden, wird
die Umfänglichkeit der Seele, die Fähigkeit zum Heraus-
wittern aller Einzelstimmungen nicht in der Weise miß-
braucht, daß die Einheit des Selbst verloren geht, daß
die Persönlichkeit fortwährend nach allen Richtungen
hin auseinanderflattert, so kann man „Stimmung" als
Leitwort der Lebensführung wohl gellen lassen. Aber
verwahren muß man sich gegen den schwächlichen Miß-
brauch des Begriffs durch die Überkultivierten, Über-
empfindsamen, Überverweichlichten, Überreifen. Von
ihnen wurde er um seine gesunde Naturkraft, seine
blühende Farbe gebracht. Wenn die Stimmung der
Umgebung zum Hauptfaktor der Anregung zum Schaffen
erhoben wird, wenn man sich vollkommen abhängig
von ihr macht, so wird der Schwerpunkt der Schaffens-
tätigkeit aus der Persönlichkeit hinausverlegt. Damit
wird das natürliche Verhältnis umgekehrt: das Wich-
tigste bleibt immer der kräftige Strom der Schaffens-
stimmung in der Persönlichkeit selbst. Dieses Mißver-
ständnis ist möglich nur bei Unterwertigen an Persön-
lichkeilswucht. Jeder starke Schaffende kennt das Trotz-
dem, er kennt die Ungunst der Umstände nicht nur als
Hemmung, sondern auch als Reiz und Stärkungsmittel.
Jene Behutsamkeit, jene Abhängigkeit vom Ringsum
ist Schwäche, Entartung der Schaffenskraft. Wo diese
gesund und ursprünglich quillt, da ist sie bis zu einem
gewissen Grade auch immer fähig, die Verhältnisse
zu meistern, der äußeren und inneren Einwirkungen
Herr zu werden, die Umgebung selbstsicher zu unter-
werfen.
Bis zu einem gewissen Grade. Es soll natürlich
nicht der Plumpheit und rohen Unempfindlichkeit gegen-
über der Welt ringsum das Wort geredet werden.
Die Fähigkeit zum feinsinnigen Auffassen der Stim-
mungen ist ein Hauptmerkmal der zu wertvollem
Schaffen Berufenen. Diese Feinfühligkeit soll gewiß
nicht verdorben werden. Ist es doch oft gerade die
Auffassung der besonderen Abwandlungen der Er-
scheinungswelt draußen, ihrer Stimmungsverschieden-
heiten, die einer Leistung erst ihren eigentlichen Schön-
heitsreiz verleihen. Und die möglichst günstige Lage
der Entstehungsbedingungen kann den Gesamtwert des
Geschaffenen wesentlich erhöhen. Der Schaffende muß
also gewiß, soweit es in seiner Macht steht, mit weiser
Wahl zu Werke gehen. Aber das Wichtigste bleibt immer
die Kraft, die in dem Menschen liegt. Ist etwas da,
so wird auch etwas. Und wo etwas ist, da gibt es
auch das große Zutrauen zum Können, das immer eine
Hauptbedingung des Erfolges darstellt.
Weise Wahl. Das ist die beste Parole der Lebens-
führung. Sich darüber klar werden, wohinaus es mit
uns will, wo das Ziel für unser Selbst liegt, und dann
auf Grund der erfreulichen und schlimmen Erfahrungen
entscheiden, welche Stimmungen höchste Anregung
gaben, welche dagegen hemmend wirkten, die einen
aufsuchen, pflegen, die anderen meiden — das ist weise
Lebenskunst. Hier kommt die richtige Selbsterkenntnis
zu ihrem Recht. Sie ist weit entfernt von jener unfrucht-
baren Selbstzergliederung, die in qualvoller Grübelei
die Einheit der Persönlichkeit auflöst in lauter zusammen-
hangslose Einzeltendenzen. Es handelt sich vielmehr
nur darum, daß man sich einfach der gesunden Haupt-
instinkte seiner Natur bewußt wird, daß man sich ihnen
überläßt, ihrem Ja und Nein zuversichtlich folgt. Wo
dieser reine Instinkt, wo die einheitliche volle Persön-
lichkeilsstimmung kräftig bejaht, da ist unser Element,
da erreichen wir die höchstmögliche Steigerung, da ist
die beste Gelegenheit zur Erregung der wertvollen Kräfte.
Das, was jeder braucht, wird so verschieden sein wie die
Einzelpersönlichkeiten selbst: der eine hat die feierliche
Ruhe, die Einsamkeit der großen Natur nötig zumAuf-
quellen seiner schaffenden Kraft, ein anderer das Ge-
triebe des rauschenden Menschenlebens, dieser die greif-
bare Stille innerhalb seiner vier Wände, jener den Lärm
der Straße, der eine den Frieden, der andere den Krieg,
dieser das geschriebene Wort, jener lebendige Menschen
usw. Jeden wird man auf seine Weise gewähren lassen,
jeder hat das Recht, sich seinen Weg zu wählen. So
entsteht die große freie Toleranz, die jede kräftige Be-
sonderheit als berechtigt anerkennt, die wohl das schöne
Kampfspiel der Kräfte will, aber hoch erhaben ist über
alles kurzsichtige Gezänk und Gezeter und ihre tiefe
Freude hat an dem bunten Durcheinanderfluten, an
dem Ringkampf der Stimmungen, an der köstlichen
Stimmungenmischung, die Leben heißt.
vr. Richard Oehler.
ie künstlerische Möglichkeit
des Futurismus.
Trotz allen Protestes wird es nicht anders gehen:
die neue Malerei, die expressionistische und futuristische,
muß anerkannt werden als der allgemeine Kunstwille
der jüngsten Malergeneraüon. Das braucht freilich
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sich entfaltenden Gottes. Die Erscheinungen sind in
der Tat auch überall die gleichen: der künstlich Berauschte
fühlt sich ebenso wie der Schaffensstarke und der Liebes-
trunkene als eine große, gewaltige Einheit; das Bewußt-
sein seines Wertes und seiner Macht steigert sich zu dem
Gefühl absoluter Unbeschränktheit, die ihn die sonst
vorherrschende Empfindung des Gefesseltseins durch
Naturgesetze und Menschensatzungen für Augenblicke ver-
gessen, die ihn als im Mittelpunkt des Alls stehend
erscheinen läßt und ihn oft zu erstaunlichen Taten, wenn
auch solchen einer traurigen Brutalität, forttreibt. Die
Lust an der Kraft ist allen drei Arten von Rausch gemein-
sam. Nur führt sie zu ganz verschiedenen Resultaten:
dort zu Schöpfungen von höchster Schönheit, hier zur
Fortpflanzung des Lebens und dort zu Augenblicks-
äußerungen von meist bedenklichem Charakter.
Was bedeutet dies alles für unser Leben? Sollen
wir ein „Leben in Stimmungen" führen? Ja und Nein.
Wird das in dem Sinne verstanden, daß wir alle großen
und kleinen täglichen Einwirkungen und Betätigungs-
gelegenheiten so auszuwählen suchen, daß dadurch unsere
besondere Persönlichkeitsstimmung immer nur gefördert,
gestärkt, gesteigert wird, daß wir die zahllosen uns
umdrängenden Stimmungen der äußeren und inneren
Umgebungswelt nur unter dem Gesichtspunkt be-
trachten, inwiefern sie einen wertvollen Zufluß zu
unserem selbständigen Persönlichkeitsstrom bilden, wird
die Umfänglichkeit der Seele, die Fähigkeit zum Heraus-
wittern aller Einzelstimmungen nicht in der Weise miß-
braucht, daß die Einheit des Selbst verloren geht, daß
die Persönlichkeit fortwährend nach allen Richtungen
hin auseinanderflattert, so kann man „Stimmung" als
Leitwort der Lebensführung wohl gellen lassen. Aber
verwahren muß man sich gegen den schwächlichen Miß-
brauch des Begriffs durch die Überkultivierten, Über-
empfindsamen, Überverweichlichten, Überreifen. Von
ihnen wurde er um seine gesunde Naturkraft, seine
blühende Farbe gebracht. Wenn die Stimmung der
Umgebung zum Hauptfaktor der Anregung zum Schaffen
erhoben wird, wenn man sich vollkommen abhängig
von ihr macht, so wird der Schwerpunkt der Schaffens-
tätigkeit aus der Persönlichkeit hinausverlegt. Damit
wird das natürliche Verhältnis umgekehrt: das Wich-
tigste bleibt immer der kräftige Strom der Schaffens-
stimmung in der Persönlichkeit selbst. Dieses Mißver-
ständnis ist möglich nur bei Unterwertigen an Persön-
lichkeilswucht. Jeder starke Schaffende kennt das Trotz-
dem, er kennt die Ungunst der Umstände nicht nur als
Hemmung, sondern auch als Reiz und Stärkungsmittel.
Jene Behutsamkeit, jene Abhängigkeit vom Ringsum
ist Schwäche, Entartung der Schaffenskraft. Wo diese
gesund und ursprünglich quillt, da ist sie bis zu einem
gewissen Grade auch immer fähig, die Verhältnisse
zu meistern, der äußeren und inneren Einwirkungen
Herr zu werden, die Umgebung selbstsicher zu unter-
werfen.
Bis zu einem gewissen Grade. Es soll natürlich
nicht der Plumpheit und rohen Unempfindlichkeit gegen-
über der Welt ringsum das Wort geredet werden.
Die Fähigkeit zum feinsinnigen Auffassen der Stim-
mungen ist ein Hauptmerkmal der zu wertvollem
Schaffen Berufenen. Diese Feinfühligkeit soll gewiß
nicht verdorben werden. Ist es doch oft gerade die
Auffassung der besonderen Abwandlungen der Er-
scheinungswelt draußen, ihrer Stimmungsverschieden-
heiten, die einer Leistung erst ihren eigentlichen Schön-
heitsreiz verleihen. Und die möglichst günstige Lage
der Entstehungsbedingungen kann den Gesamtwert des
Geschaffenen wesentlich erhöhen. Der Schaffende muß
also gewiß, soweit es in seiner Macht steht, mit weiser
Wahl zu Werke gehen. Aber das Wichtigste bleibt immer
die Kraft, die in dem Menschen liegt. Ist etwas da,
so wird auch etwas. Und wo etwas ist, da gibt es
auch das große Zutrauen zum Können, das immer eine
Hauptbedingung des Erfolges darstellt.
Weise Wahl. Das ist die beste Parole der Lebens-
führung. Sich darüber klar werden, wohinaus es mit
uns will, wo das Ziel für unser Selbst liegt, und dann
auf Grund der erfreulichen und schlimmen Erfahrungen
entscheiden, welche Stimmungen höchste Anregung
gaben, welche dagegen hemmend wirkten, die einen
aufsuchen, pflegen, die anderen meiden — das ist weise
Lebenskunst. Hier kommt die richtige Selbsterkenntnis
zu ihrem Recht. Sie ist weit entfernt von jener unfrucht-
baren Selbstzergliederung, die in qualvoller Grübelei
die Einheit der Persönlichkeit auflöst in lauter zusammen-
hangslose Einzeltendenzen. Es handelt sich vielmehr
nur darum, daß man sich einfach der gesunden Haupt-
instinkte seiner Natur bewußt wird, daß man sich ihnen
überläßt, ihrem Ja und Nein zuversichtlich folgt. Wo
dieser reine Instinkt, wo die einheitliche volle Persön-
lichkeilsstimmung kräftig bejaht, da ist unser Element,
da erreichen wir die höchstmögliche Steigerung, da ist
die beste Gelegenheit zur Erregung der wertvollen Kräfte.
Das, was jeder braucht, wird so verschieden sein wie die
Einzelpersönlichkeiten selbst: der eine hat die feierliche
Ruhe, die Einsamkeit der großen Natur nötig zumAuf-
quellen seiner schaffenden Kraft, ein anderer das Ge-
triebe des rauschenden Menschenlebens, dieser die greif-
bare Stille innerhalb seiner vier Wände, jener den Lärm
der Straße, der eine den Frieden, der andere den Krieg,
dieser das geschriebene Wort, jener lebendige Menschen
usw. Jeden wird man auf seine Weise gewähren lassen,
jeder hat das Recht, sich seinen Weg zu wählen. So
entsteht die große freie Toleranz, die jede kräftige Be-
sonderheit als berechtigt anerkennt, die wohl das schöne
Kampfspiel der Kräfte will, aber hoch erhaben ist über
alles kurzsichtige Gezänk und Gezeter und ihre tiefe
Freude hat an dem bunten Durcheinanderfluten, an
dem Ringkampf der Stimmungen, an der köstlichen
Stimmungenmischung, die Leben heißt.
vr. Richard Oehler.
ie künstlerische Möglichkeit
des Futurismus.
Trotz allen Protestes wird es nicht anders gehen:
die neue Malerei, die expressionistische und futuristische,
muß anerkannt werden als der allgemeine Kunstwille
der jüngsten Malergeneraüon. Das braucht freilich
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