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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Schäfer, Wilhelm: Eintwicklungsmöglichkeiten der modernen Malerei: (Eine Glosse zur Großen Kunstausstellung in Stuttgart)
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0343

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I. B. Hofner.

Schafherde.

Entwicklungömöglichkeiten der modernen Malerei.
(Eine Glosse zur Großen Kunstausstellung in Stuttgart.)
eine solche Betrachtung gerade an die Stuttgarter Ausstellung gehängt werden soll, wird wahrscheinlich
manchen wundern, der sie gesehen und nicht besonders modern gefunden hat. Sie ist im guten Sinn
akademisch, in der Auswahl und mehr noch in der Anordnung die Könner des Handwerks bevorzugend, daher
die geschmackvolle selbstsichere Haltung, daher aber auch der Widerspruch, den sie bei einem Teil der Kritik auslöste.
Wenn in diesem Widerspruch die große Kreuzabnahme von Herterich eine Rolle spielte, so kam das, weil die bevorzugte
Stellung dieses Bildes — es hing im Hauptblickpunkt der König-Wilhelm-Halle als dem Zentrum der Ausstellung —
als Sinnbild für die ganze Veranstaltung genommen wurde. Der Widerspruch blieb nicht immer sachlich, er hat sich —
als das Bild für einen hohen Preis von der Galerie angekauft wurde — zu dem Scherzwort vom Professoren-Austausch
verdichtet. Gerade das aber soll der Inhalt dieser Glosse sein: die sachlichen Grundlagen solcher Differenzen aufzusuchen.
Kein Zweifel, daß die genannte Arbeit von Herterich ein solides Stück Handwerk darstellt. Die an dem
Leichnam des Gekreuzigten wie an einem Wagebalken ausgewogene Komposition, die breite Füllung der Fläche,
die studierte Durchbildung des Details und die tonige Einheit der Farbe: das alles zeigt ein nicht alltägliches Können,
das sich zudem mit einen: großen Thema und einem umfänglichen Format das Ziel hoch genug gesteckt hat, um
alle Kräfte anzuspannen. Wenn trotzdem das Resultat — d. h. der Eindruck dieser Arbeit auf einen gebildeten
Beschauer — eher ernüchternd als überwältigend ist, muß dieser Mangel also anderswo als im handwerklicher:
Können liegen. Um es gleich zu sagen: daß es nicht mehr als handwerkliches Können an einem zufälligen Vor-
wurf zeigt, macht die Schwäche des Bildes aus. Das ist nicht in jenem poetischer: Sinn gemeint, den die Maler
so leicht verächtlich finden; im Gegenteil: weil diese Kreuzabnahme zwar in ihrer Durchbildung nicht, aber in der
Konzeption unbildlich ist, weil sie einen poetischen Vorwurf mit allen Künsten des Handwerks illustriert, statt ein
bildliches Thema zu entwickeln, darum könnte man sie wohl poetisch, besser literarisch nennen.
Um das deutlicher zu machen, muß der Vergleich mit einem anderr: großformatigen Bild der Ausstellung
erlaubt sein, das bildkünstlerisch wohl eher an einen so herrvorragenden Platz gehört hätte: der „Ausgießung des
heiliger: Geistes" von Mar Beckmann. Es wäre unvorsichtig, zu behaupten, daß dieses Bild dem andern an hand-
werklicher Durchbildung überlegen wäre. Auch das Laienauge wird manche Flüchtigkeit zu bemerken glauben, die bei
dein Bild von Herterich gewissenhaft vermieden wurde; trotzdem ist hier der Blick gefesselt, der sich dort bald gelangweilt
abwendet, weil er statt der mit handwerklicher:: Können gemachten Illustration die thematische Entwicklung einer
Bildidee fühlt. Er läßt sich auch durch die anscheinende Verworrenheit des Beckmannschen Figurenwerks nicht
abhalten — während bei Herterich der äußere Vorgang mit präziser Deutlichkeit dasteht, der Sarg, der Leichnam
und die ihn hineinlegen -, dafür stellt sich das Bild zu stark als Vision, als innere Anschauung dar. Wenn bei
Herterich die Unterschrift und das massive Stück Kreuz fehlten, könnte der Leichnam sehr wohl ein anderer als
Christus sein und höchstens noch die Prätention des Formates unterstützt die sinnbildliche Vorstellung; hier aber
wäre die Bedeutung auch ohne den biblischen Titel da, die Ekstase dieser Mensche:: braucht garnicht die „Ausgießung
des heiligen Geistes" zu heißen und die sinnbildliche Wirkung wäre doch vorhanden. Der Unterschied liegt nicht
etwa in der Verschiedenheit des Vorwurss; auch eine Beckmannsche „Grablegung" würde anders aussehen als diese; die
dumpfe Trauer um das ungeheure Schicksal, das mit dem gekreuzigten Gottessohn eingesargt wird, würde auch hier anders-
wo hinzielen als auf die solide Vermutung ausgeklügelt gestellter Modelle: weil ihm auch hier die innere Anschauung
zu einer Bildidee verhelfen würde, an deren kontrapunktischer Durchbildung er dann alle Fähigkeiten seines künstlerischen
Handwerks einsetzen würde, statt sie — wie es Herterich tut - nur an einem literarischen Vorwurf zu zeigen.

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