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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Scholz, Wilhelm von: Gefährliche Liebe, [12]
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Bab, Julius: Wedekind
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0203

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Wedekind.

Tourvel
Ich vermag es nicht
zu glauben. Eines Richters Frau, hab ich
gelernt, jedem Gerüchte zu mißtrauen,
Tatsachen nur zu glauben oder Zeugen.
Marquise
Mögen Sie niemals Zeuge sein solch eines
Geschicks wie dies! Sie zittern, gnädige Frau,
von der Erzählung schon. Ich tat doch unrecht,
daß ich von diesen Dingen schwatzte. Hier,
wo Frömmigkeit und Friede herrscht und weit
zurückweist alles Grauen der sündigen Welt.
Vergessen Sie es! Zürnen Sie mir nicht!
So oft ich nun von Herrn von Valmont höre,
will ich an das Vertrauen denken, das
Sie in den Adel Ihres Bruders setzen
und werde zweifeln, werde Besseres glauben —
Tourvel
Wollen Sie das?
Marquise
Ja.
Tourvel
Nehmen Sie dafür
Dank, Dank!
Marquise
Nun fahr ich froh zum Fest, auf dem
ich Ihren Bruder treffe. Darf ich nicht
ihm Ihren Gruß bestellen?^
Tourvel
Bitte, tun Sies!
Doch bitte —
Marquise
Nicht ein Wort! Auf Wiedersehn!
zeremoniöse Verbeugung, ab.


edekind.
Es ist keine ganz seltene Erscheinung, daß der
sErfolg'eines Künstlers in dem Maße steigt,

in dem seine eigentliche Künstlerschaft fällt. Das hat
seinen Grund nicht nur in der sozialen Struktur des
geistigen Lebens: die Vielen sind immer „erst in Weimar",
wenn die Führenden „schon in Erfurt" sind, und sie
sprechen ein Lob oft erst dann glücklich nach, wenn es
garnicht mehr zu Recht besteht. Es kann auch einen
mehr ästhetischen Grund haben: Wenige sind imstande
einen künstlerischen Organismus, zumal einen neuen,
geistig zu umsponnenem seiner Einheit zu erleben.
Aber wenn er auseinanderfällt, wenn er einseitig
deutlich, grob faßlich seine Teile zeigt, so hat es der
Philister leicht, sich der Trümmer zu bemächtigen.
So kommt die Dekadenz manches Künstlers zu mehr
Erfolg als seine Blüte. — Das scheint mir der Fall
mit Frank Wedekind, der sich um so fester und mono-
toner in der Rolle des verkannten Genies einspielt, je
mehr Erfolge und Ehren ihm winken, je mehr ein aus
den großstädtischen Snobs und kurzsichtigen Aestheten
gebildetes Publikum ihn als den großen Dichter und

Dramatiker der deutschen Gegenwart feiert. Am Ende
der vorigen Spielzeit hat er am „Deutschen Theater"
in Berlin selbst einen Zyklus seiner Werke inszeniert
und gemimt, hat großen Erfolg gehabt und ist schließlich
von den sogenannten geistigen Repräsentanten der Reichs-
hauptstadt in einem Bankett gefeiert worden. In
diesem Winter ist sein neuestes Werk im Münchner
Kammerspielhaus begeistert ausgenommen worden, und
viele Jünger haben dem gläubigen Volk verkündet,
daß diese „Franziska" ein neuer Faust, der weibliche
Faust, ein Werk von der höchsten geistigen Bedeutung
sei. Angesichts so hochtönender, so herausfordernder
Lobpreisungen ist der dramaturgische Beobachter der
deutschen Gegenwart zu einer Auseinandersetzung mit
dem Phänomen Wedekind wohl geradezu gezwungen.
Er müßte es um der Psychologie der Zeitgenossen willen,
auch wenn die Person des Dichters nicht merkwürdig
und reizvoll genug wäre, um solche Betrachtung heraus-
zufordern.
* *
*
Frank Wedekind ist ganz gewiß ein höchst ungewöhn-
licher Mensch, ein in vieler Beziehung außerordentlich
begabter Künstler. Und trotzdem scheint mir sein Erfolg,
weder dem Umfang noch der Art nach, ein gutes Zeichen
für die Generation, die ihn bereitet. Denn den Luxus,
so völlig individualistische, so ganz exzentrische und de-
struktive Personen zu genießen, den dürfen sich eigentlich
nur vornehme Sammler geistesgeschichtlicher Kuriosi-
täten in ihren Mußestunden gestatten. Eine Gesell-
schaftsschicht — denn das Wort Volk wäre natürlich
auch in diesem Falle eine prahlerische Übertreibung —,
die einen solchen Mann als Heros feiert, zeigt ein durch-
aus ungesundes, unlebendiges Gefühl für das eigene
Wesen und das Wesen der Kunst; denn statt im Künstler
den Gestalter seiner innersten Lebenstendenzen zu
suchen, wünscht man ganz offenbar nur die Unterhaltung,
den Nervenreiz, unbekümmert darum, daß der hier
von einer Person ausgeht, die sich nicht bloß zu den
speziellen Inhalten, sondern zur ganzen Idee der Ge-
sellschaft fremd und feindlich verhält. Wenn sich Mäzene
fänden, die das absonderliche Talent Frank Wedekinds,
mit vollem Bewußtsein seiner Begrenztheit, ehrten und
unterstützten, das wäre lobenswert und unbedingt
erfreulich. Daß sich Agitatoren finden, die im Begriff
sind, diesen Mann dem großen Publikum als führenden
deutschen Geist einzureden, das ist ein Symptom unserer
allgemeinen Kulturverbildung und fordert zu ent-
schiedenem Widerspruch heraus. — Wir haben den Fall
Wedekind in der deutschen Literatur schon einmal ge-
habt, vor mehr als zwei Menschenaltern. Damals hieß
er Christian Dietrich Grabbe. Daß Grabbe den
Kunstfreund und Kenner nicht fand, der ihn über Wasser
hielt, bleibt beklagenswert; daß er nicht wie der heutige
Wedekind eine ganze Klasse von Theaterläufern fand,
die seinen Namen mit Shakespeare und Goethe in eimen
Tone nennen, wie der heutige Grabbe sie gefunden hat,
das muß eher als ein Vorzug jener beschränkteren aber
mehr geschlossenen Kultur gelten gegenüber unserer
grenzenlos offenen, willen- und gewissenlosen, snobisti-
schen Zeit.

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