Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

DOI Artikel:
Ernst, Paul: Eine Liebe in Rom
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0035

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Lj»ine Liebe in Rom.
Novelle von Paul Ernst.
In einer kleinen Osteria in Nom an der Piazza del
Popolo saßen drei junge deutsche Maler beieinander,
tranken bescheiden aus einem großen Fiasko ihren Wein
und plauderten. Sie plauderten, wie so junge Leute
tun, von ihren Hoffnungen; von dem, was sie für ihre
Überzeugungen hielten; und von allerhand Erlebnissen,
welche ihnen merkwürdig erschienen.
Der jüngste von den dreien, welcher ein hochgewach-
sener Jüngling war, bartlos, nut hellblondem, weichen:
Haar und strahlenden blauen Augen, hatte eine merk-
würdig gewagte Behauptung aufgestellt, wegen deren
er von den anderen ausgelacht wurde.
„Ich habe schon manchen kennen gelernt," sagte der
Älteste, „welcher erklärte, er brauche nur eine Sache
zu wollen, und alles, was nach der Natur der Dinge
ordentlich vor sich gehen müsse, gerate zum Unglück.
Aber ein solcher Mensch ist mir noch nie vorgekommen
wie du, lieber Hermann, der nicht nur der Meinung ist,
daß alles glücke, was eine Beziehung auf ihn habe,
sondern sich sogar fest einbildet, er erhalte alles, was
er sich wünsche."
„Ich habe sonst nie davon gesprochen, Friedrich,"
entgegnete Hermann, „und eigentlich bereue ich, daß mir
der ungewohnte Wein die Junge gelöst hat. Aber da
mir einmal die Worte entschlüpft sind, so mag ich mich
nicht mit verlegenen Redensarten zurückziehen. Ja, es
ist wahr, daß ich bis heute alles bekommen habe, was
ich mir wünschte. Ihr müßt freilich verstehen: recht
wünschte. Ich meine nicht etwa jeden törichten Einfall,
der einem so einmal durch den Kopf blitzt, der vielleicht
gar nicht aus unserer innersten Natur gekommen ist;
sondern ich rede von jenen Wünschen, die tief aus uns
herauswachsen, ohne unser Wollen, die sich immer von
selber wieder erneuern, und die vielleicht so mit uns
verbunden sind, daß sie oft nur wenig oder gar nicht
in unser Bewußtsein gelangen. Ich bin das Kind einer
armen Wäscherin in einer kleinen Stadt, und hatte
außer dem schönen Marstück in unserer Kirche von
Lukas Cranach aus seiner besten Jeit nie ein Bild gesehen;
und es kam mir gar nicht der Gedanke, daß dieses wunder-
volle Werk doch von einem Manne gemalt sein müsse
und daß ich selber etwa ein solcher Mann werden könne,
welcher solches male; dennoch sehnte sich meine Seele
nach der Kunst, und die Sehnsucht zog die Erfüllung
an auf abenteuerlichen Wegen, die kein Mensch hätte
ahnen können."
„Und welcher Art müßte nun ein Wunsch sein, der
heute die Erfüllung so anzöge?" fragte der dritte Freund,
ein stiller, nachdenklicher junger Mann mit gläubigen,
großen Augen.
„Laß mich die Augen schließen, Otto," erwiderte ver-
ändere; dann begann er und fuhr in immer schnellerer
Sprechart fort: „Ich bin gestern am rückseitigen Abhang
des Gianiculo gegangen zwischen den hohen Mauern
der Vignen, wo man zuweilen durch ein zufällig geöffnetes
Tor auf das wellige Land, Weingänge und die einsam in
der Luft schwebende Kuppel von Sankt Peter sieht.
Da war ein alter kleiner Palazzo, er stand auf einer
/

Terrasse, der untere Raum war eine einzige Halle mit
drei Bogen, über welche von dem eisengeschmiedeten
Balkon von oben gelbe Rosen herunterhingen. In dem
mittleren Bogen stand eine wunderschöne Frau von einer-
königlichen Haltung in dunkelrotem Gewand, welches
durch einen goldenen Gürtel gehalten wurde. Ihr
rechter Arn: griff nach oben, zu einer von den hängenden
gelben Rosen, und der weite Ärmel war zurückgefallen,
so daß der Arm fast bis zum Ellenbogen nackt war.
Diese Frau soll mich lieben."
Hermann öffnete die Augen und lächelte verlegen,
als wolle er alles in einen Scherz ziehen. Ein Ausdruck
des Befremdens huschte über Friedrichs Gesicht. „Was
hast du?" fragte Hermann. „Nichts," erwiderte der
andere; „aber ich will dir ausmalen, wie es sein müßte,
wenn sie dich liebte. Du müßtest da zwischen den hohen
Mauern gehen, und oben auf der Mauer wäre plötzlich
ein eiserner Balkon herausgebaut, korbartig gebaucht —."
„Ein solcher Balkon ist wirklich auf der Mauer!" fiel
Hermann ein.
„Nichts Ungewöhnliches," fuhr Friedrich fort. „Du
würdest vor dich Hinsehen, und wie du, voller phantastischer
Gedanken, Hoffnungen und Träume, unter dem Balkon
durchgehst, fällt plötzlich eine gelbe Rose vor deine Füße,
und du hörst ein silbernes Lachen — ja, ein silbernes,
wie ein Silberglöckchen klingelt. Du siehst auf, aber du
erblickst niemanden. Befangen und fast wie im Traume
gehst du weiter, da stehst du vor dem großen eisernen
Tor der Vigna. Es ist nur angelehnt. Du öffnest es
zaudernd ein wenig und trittst ein; und wie du schüchtern
da stehst, den Torflügel hinter dir in der Hand, da siehst
du in der dreibogigen unteren Halle des kleinen Palazzo
im Hintergründe die Dame die Treppe hinaufgehen;
du weißt, es ist die Dame in dem dunkelroten Kleid, ob-
gleich du auf dem dunkeln Hintergründe nichts genau
erkennen kannst; — und vielleicht träumst du das auch
nur?"
Friedrich schwieg unvermittelt, und ein sonderbares
Unbehagen überkam die beiden andern. Iuerst sprach
Otto. Er sagte, mit Anstrengung lachend: „Was sind
das für Phantasien aus Büchern! und weshalb sind wir
so verstimmt? — Aber ich glaube, was uns so erschreckt
hat, das war dein Ton, Friedrich, und besonders die
Art, wie du den letzten Satz aussprachst." Friedrich
lachte, goß aus dem gerneinsamen Fiasko sich ein neues
Glas ein und trank. Mit einiger Anstrengung erreichten
die drei wieder den Ausland ihrer vorigen unbefangenen
Heiterkeit.
-i- *
*
Gegen den Abend ging Hermann den Weg am Ab-
hang des Gianiculo, von welchem gesprochen war.
Langsam ging er zwischen hohen Mauern und blickte
still vor sich hin. Alles war still, in den Lüften, und
hinter den hohen Mauern, und auf der gepflasterten
engen Straße, die sich zwischen den hohen Mauern
hinwand. Wann waren diese Mauern gebaut — vor
Jahrhunderten, vor Jahrzehnten? Aus Steinen, welche
da im Boden lagen von uralten Jeiten der Römer,
von vornehmen Landhäusern mit Springbrunnen und
Marnwrfiguren, Mosaikfußböden und Wandverkleidungen
aus kostbaren Platten. Oftmals war der Verputz ab-

25

4
 
Annotationen