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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Bab, Julius: Georg Büchner: Geboren am 17. Oktober 1813. Gestorben am 19. Februar 1837.*
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Halm, U.: Parsifal
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0456

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Georg Büchner.
Mensch muß denken", bei den braven Untertanen, die
begeistert Vivat rufen, weil man sie immerhin so gestellt
hat, daß der Wind von der Küche über sie geht und sie
den guten Braten „r i e ch e n dürfen".
Und nach dieser lachenden „Flucht ins Paradies":
Büchners höchstes Werk, die Tragödie „W o z z e ck"
(40 Jahre nach seinem Tode von Carl Emil Franzos
ausgegraben). Dies ist ein Revolutionsdrama, vor
dessen aktiver Gewalt nicht nur der Danton verblaßt.
Hiergegen ist „Kabale und Liebe" ein Leitartikel und
„Maria Magdalene" eine Doktordissertation. Hier
geht's nicht um äußere Klassengegensätze oder innere
Klassenschranken; hier geht es ums Menschenrecht in
seiner äußersten, letzten, blutigsten Gestalt. Der arme
Wozzeck mit dem schwer gedrückten slawischen Namen
wird zum Versuchstier der übergeordneten Mitmenschen
gemacht. Er soll dem Herrn Hauptmann seine Lange-
weile vertreiben, damit der seine ordentliche Sittlichkeit
recht genießen kann; er soll dem Herrn Doktor sogar
mit seiner Notdurft zu wissenschaftlichen Awecken dienen;
er soll Arbeit und Liebe einem Mädel geben, das doch
der stierhaften Imposanz eines Tambourmajors nicht
widerstehen kann. Aber dieser armen Seele „kommt
die Natur". Sie bäumt furchtbar auf und begräbt
mit Mord sich und andere. Aber an der Leiche steht
bereits wieder die naturlose Konvention und proto-
kolliert selbstgefällig „ein guter Mord, ein echter Mord,
ein schöner Mord, so schön, als man ihn nur verlangen
kann".
In den diabolischen Karikaturen, wie in den
wilden Naturalismen dieser Szenenfolge hat Büchner
zweifellos etwas mit allen Trägern des „Sturm und
Drang" gemeinsam, mit den Vorgängern Klinger und
Lenz, mit den Nachfolgern Wedekind und Eulenberg.
Aber er ist unendlich größer als sie alle durch die geistige
Atmosphäre, die um ihn weht, durch die Größe des
Bezugs, die Weite der Idee, die sich in den konkretesten
Ausbrüchen seines Temperaments keinen Augenblick lang
verleugnet. Diese Seelengröße allein macht ihn fähig,
mit absolut ebenbürtiger Kraft Töne des Volksliedes
anzuschlagen: „Mädel, was fängst du jetzt an, hast ein
klein Kind und kein Mann". — Sie befähigt ihn, Bibel-
stellen im Munde seiner Menschen zu zitieren oder zu
erfinden: „Geh einmal vor dich hin! — Über der Brust
wie ein Rind und ein Bart wie ein Löwe. So ist keiner! —
Ich bin stolz vor allen Weibern", so spricht des armen
Wozzecks Marie zu ihrem Tambourmajor. Und hernach
schreit sie auf in Reue: „Heiland, ich möchte dir die
Füße salben." Aus des zertretenen Wozzecks Mund aber
dröhnt es apokalyptisch: „Warum löscht Gott nicht die
Sonne aus!" — Diese Größe läßt Büchner wie aus
Urtiefen herauf ein Märchen erfinden, so schauerlich groß
und einfach: vom armen Kind, dem der Mond ein Stück
faul Holz, die Sonn ein verwelkt Sonnenblümlein, die
Sterne gespießte goldene Mücklein und die Erde ein
umgestürzt Häschen wird, „und da sitzt es noch und ist
ganz allein".
Derlei hat außer Shakespeare niemand sonst erfunden.
Höchste Kraft und tiefste Ohnmacht so bis in den Grund
erleben und aus dem Grund heraus gestalten, das ist
Wesen und Beweis des allergrößten Genies.
*

Georg Büchner starb, wenig über 23 Jahre alt, am
Typhus. Ein irrsinniger Blitz des Aufalls, der den
Deutschen ihre größte Kraft vernichtete? Vielleicht.
Vielleicht aber stirbt der Mensch nicht am Typhus, son-
dern an seinem Leben. Vielleicht hätte dieser Körper
hundert schlimmere Krankheiten ausgedauert, wenn ihn
nicht die Entzündungen fieberhafter Jugendjahre unter-
miniert hätten. In seinen letzten Fieberreden sprach er
von den politischen Verfolgern und von seinen Freunden
im Kerker. Vielleicht war es das deutsche Schicksal, daß
unsere zerspaltene Welt ein so einheitlich organisiertes
Genie von höchster geistiger Realität noch nicht gebrauchen
konnte und deshalb frühzeitig zerrieb.-Verloren
war seine Arbeit doch nicht. Der Dichter hat Hebbel
und Hauptmann in jungen Jahren erschüttert; er hat
in dem Dichter von „Frühlings Erwachen" alles, was
gut und stark an ihm ist, geweckt; er wird noch tausend
andere, minder bekannte Wirkungen geübt haben. Aber
es wird Zeit, daß man mehr als den Dichter, daß man
das ganze feuerflüssige Menschengenie Büchner ehren
und fühlen lernt. Dies ganz mit Materie gesättigte und
ganz vom leidenschaftlichsten Geist beflügelte Wesen,
diesen einzig realistischen Deutschen, der der Goethe
einer sozial reiferen Welt hätte werden können — wenn
diese Welt ihn hätte ertragen können. Wir müssen von
diefem ganzen Menschen sagen, was Hebbel von seinem
Danton, dem einzigen Werk, das er kannte, in seinen
Tagebüchern gesagt hat:
„Er ist herrlich. Warum schreib ich solch einen Gemein-
platz hin? Um meinem Gefühl genug zu tun."
Julius Bab.
Den Begriff Romantik fand ich zum erstenmal
in einem Aufsatz Fr. Naumanns mit Wagners Schaffen,
und zwar mit dem Musikdrama Parsifal in Verbindung
gebracht. Heute halte ichs für möglich, ihn auch bei
den andern hauptsächlichen Musikdramen Wagners, die
Meistersinger etwa ausgenommen, anzuwenden; damals
aber berührte mich ein wenig peinlich sowohl daß es
geschah, wie auch daß ich das Recht als auf Naumanns
Seite befindlich empfand.
Es wäre eben gar zu schön gewesen, hätte man im
Stofflichen dieser Werke das Geschenk eines neuen
Lebensbesitzes und -inhalts sehen dürfen.
Daß Wagner selbst glaubte, ein solches Geschenk
seinem Volk zu spenden, macht ihn zum Romantiker.
Sein wirkliches Geschenk aber ward nicht dadurch herab-
gewürdigt, daß er sich also täuschte, noch erleidet dessen
Wert Einbuße dadurch, daß eine Täuschung behoben wird
— und das nun erhebt Wagner über jenes Niveau.
Romantik war es, von dem Inhalt oder auch Gehalt
der germanischen Mythologie einen neu belebenden und
befruchtenden Einfluß auf unsere Kultur, von ihr eine
neu erstehende oder sich befreiende germanische Kultur
zu erhoffen; Romantik vollends, den im Bühnenweih-
festspiel Parsifal dargereichten religiösen Tränken eine
andere als berauschende, nämlich geradezu verjüngende
Kraft zuzuschreiben.
Das Maß und die Qualität der Gläubigkeit, die
Wagner fand, das Schwelgen im Sichtäuschen und
 
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